Schlecht geschlafen? Warum das schlecht für die Karriere ist

Schlafen und Ausschlafen ist heute Luxus
Während die alten Römer sogar ihre Tage gern liegend verbracht haben, schaffen wir heute gerade einmal sieben Stunden Schlaf pro Nacht. Es ist schick, in der Leistungsgesellschaft wenig zu schlafen. Mit welchen Auswirkungen? Eine Anleitung für eine bessere Nachtruhe.

Die alten Römer im 6. Jahrhundert vor Christus verbrachten ihre Tage im Liegen. Essen, schreiben, Gäste empfangen – dafür stand man nicht auf. Ausflüge unternahmen die Betuchteren gerne auf Tragbetten, nur so konnte bei bei nahender Erschöpfung schnell mal kurz die Augen schließen. Jahrhunderte später: König Ludwig XIV nahm die Arbeit mit ins Bett und regierte Frankreich von seinem Schlafzimmer aus. Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert kam dann die Wende. Die Nachtruhe bekam immer stärker einen fahlen Beigeschmack. Wer schläft, arbeitet nicht – ergo ist er faul, so der neue gesellschaftliche Tenor.

Noch einmal 300 Jahre später. "Schlafen und Ausschlafen ist heute Luxus", ordnet die Psychotherapeutin und Schlafforscherin Brigitte Holzinger ein. Wir schaffen mit Mühe und Not im Schnitt sieben Stunden die Nacht, inklusive Wochenende. Schon jeder Vierte Österreicher leidet an Schlafproblemen. Nicht unproblematisch in einer Gesellschaft, die durch die digitalen Möglichkeiten Zeit und Ort aufhebt; in der Unternehmen am Limit wirtschaften und der Druck auf Mitarbeiter wächst; in der ruhige Stunden für das Aufladen der eigenen Batterien dringender wären als je zuvor.

Leisten, leisten, leisten

Zur Erinnerung: Im Schlaf erholt sich der Körper, das Immunsystem, die Muskeln, das Nervensystem und die gesamte Psyche. Wir festigen Erlebtes und entwickeln uns im Schlaf. Wenn man wenig schläft, kommt diese lebensnotwendige Erholung zu kurz. Laut einer Allianz-Studie achten aber nur neun Prozent der berufstätigen Österreicher in Stresszeiten auch auf ausreichend Schlaf. "Wir leisten, leisten, leisten nur mehr. Obwohl wir die Kraft für Arbeit und Freizeit aus dem Schlaf schöpfen, kommt der in unserer Gesellschaft an letzter Stelle."

Warum?

Eine Zeiterscheinung, sagen Experten. "Die Schlafhygiene war vor Thomas Edison und dem künstlichen Licht ganz anders. Heute arbeiten wir länger, das wirkt sich auch auf den Schlaf aus", sagt Neurologe und Schlafmediziner Michael Saletu. "Es ist zudem en vogue zu sagen, man braucht wenig Schlaf", so Holzinger. Manager machen das öffentlich vor: US-Präsident Donald Trump und Noch-Yahoo-CEO Marissa Mayer reichen vier Stunden Schlaf (sagen sie), Tesla-Gründer Elon Musk gönnt sich höchstens sechs. Wer oben ist, ist fleißig und hat keine Zeit zum Schlafen. "Manager und Leistungsorientierte haben vergessen, wie man entschleunigt. Sie arbeiten oft so lange, bis sie in einen Erschöpfungsschlaf fallen. Sie schlafen möglicherweise gut ein, schlafen aufgrund der Stresshormone, die sich nicht beruhigen konnten, aber nicht durch", mahnt Saletu. Der Körper wird nicht heruntergefahren, Regeneration findet nicht statt. "Am Morgen sind sie immer noch erschöpft."

Es ist paradox, dass gerade jene an der Spitze wenig Schlaf propagieren. Denn es ist bewiesen: Wer unausgeschlafen ist, macht Fehler. Politiker setzen Verhandlungen am Abend deshalb als strategisches Druckmittel ein – argentinische Forscher haben herausgefunden, dass hinter einer schneller werdenden Entscheidungsfindung gen Abend hin einzig Müdigkeit steckt. Schlafentzug war früher eine Foltermethode, wer wenig oder nicht schläft, bekommt heftige Stimmungsschwankungen und Halluzinationen (mehr dazu siehe Weltrekord-Kasten unten). Interessant: Man kann auch zu viel schlafen. "Erholt ist man, wenn man das für sich richtige Schlafpensum gefunden hat und dieses pflegt. Unter zu langem Schlaf kann die Schlafqualität leiden", sagt Holzinger.

Richtig schlafen

Das richtige Schlafpensum ist übrigens individuell, Experten raten zu sieben Stunden. Essenziell für die Erholung sei aber die Entschleunigung vor dem Zu-Bett-Gehen. "Man muss sich am Abend Zeit nehmen und auch einmal etwas für sich tun", rät Michael Saletu. Nur so kann der Kopf die Arbeit loslassen, der Körper die Anspannung entweichen lassen (mehr dazu siehe Kasten Rituale). Wie man aufwacht, hat allerdings keinen Einfluss auf uns.

Beim Zusammenspiel von Schlaf mit unserer Jobwelt, ist übrigens eindeutig: "Guter Schlaf macht leistungsfähiger", sagt Saletu. Manche Unternehmen haben auch bereits erkannt, dass ausgeruhte Mitarbeiter die besseren sind und verankern Schlaf sogar in ihre Firmenkultur (siehe Bonus-Kasten unten). Sie begünstigen Ruhezeiten und schaffen geeigneten Raum für einen würdevollen Powernap. Experten finden’s gut. Schlafforscherin Holzinger: "Wer ein Nickerchen macht, will effektiver sein und ist es im Endeffekt auch, als jemand, der diese Erholung nicht würdigt."

Na dann, gute Nacht.

Ein guter Schlaf beginnt nicht mit dem Hinlegen. Sondern mit den Ritualen, die idealerweise schon mehrere Stunden bevor man ins Bett gehen möchte, beginnen. Man muss lernen, abzuschalten. „Wer direkt nach der Arbeit erschöpft ins Bett fällt, nimmt Restgedanken mit. Die Stressbotenstoffe, die ihren Tiefpunkt um Mitternacht erreichen und so einen ausgeruhten Schlaf erst ermöglichen, können sich nicht beruhigen. Man schläft nicht ein, ist verzweifelt, hat Angst, nicht genug Schlaf zu bekommen und das verursacht wiederum noch mehr Stress. Es ist eine ewige Negativspirale“, erklärt Schlafexperte Michael Saletu. Ein Cooldown am Abend sei essenziell für die so wertvolle Erholung. „Man muss eine Barriere ziehen, den Stress runtertunen.“ Im Schlafzimmer empfiehlt er: Keine blauen Lichtquellen (Handy, Fernsehen), höchstens 18 Grad Zimmertemperatur und Pflanzen, weil sie gut für die Luft sind. „Es sollte ein ganz persönlicher Rückzugsort sein.“

Der Brite Tony Write hat es vor zehn Jahren geschafft, 266 Stunden am Stück wach zu bleiben. Mehr als elf Tage und elf Nächte hat er nicht geschlafen. Für diese Leistung steht er heute im Guiness Buch der Rekorde. Vorher war an dieser Stelle Jahrzehnte lang der Student Randy Gardner, er hat 264 Stunden geschafft. Die beiden Männer werden die letzten sein, die sich in dieser Rekord-Kategorie finden – der Schlafentzug gilt heute als lebensbedrohlich, das Spiel mit ihm als verboten. Warum? Man verliert sukzessive die Kontrolle über seinen Geist und Körper. Ab Tag vier ohne Schlaf, das berichtete Write damals den Medien, sei er in eine Art Drogenrausch geschlittert – aus medizinischer Sicht am Limit. Der Körper reagiert auf Schlafentzug nach und nach mit Konzentrationsschwäche, Halluzinationen bis hin zu Depression, früher war er sogar eine Foltermethode. Ein Experiment mit Ratten hat zudem gezeigt: ab Tag sieben ohne Schlaf sind sie gestorben.

Es gibt unzählige Bücher zum richtigen Einschlafen, Schlaflabore und Institute analysieren und therapieren Schlafstörungen. Mittlerweile leidet rund jeder Vierte in Österreich an einer Schlafstörung, sagt Michael Saletu, der selbst ein Schlaflabor betreibt und Schlafcoaching anbietet. Rund 100 unterschiedliche Störungen begleiten unsere Nächte mittlerweile, unter www.schlafmedizin.at finden sich die geläufigsten und eine Liste der akkreditierten Schlaflabore in Österreich. Die Schlafexperten Brigitte Holzinger und Gerhard Klösch bieten regelmäßig von der Medizinischen Universität Wien zertifizierte Kurse an, die berufsbegleitend zum Schlafcoach ausbilden, Zielgruppe sind Personen, die sich mit Schlaf und Schlafstörungen beschäftigen. Wem drei Semester zum Schlafprofi zu lang sind, liest das Buch der beiden: „Schlafcoaching – Wer wach sein will, muss schlafen“ oder www.schlafcoaching.org.

Die US-Krankenversicherung Aetna hat das Thema Schlaf vergangenes Jahr in ein positives Licht gerückt. Vorstand Mark Bertolini hat angekündigt, ausgeschlafene Mitarbeiter zu belohnen: Das Unternehmen zahlt ihnen für je 20 Nächte mit mehr als sieben Stunden Schlaf 25 US-Dollar, also 24 Euro. Wer ausreichend schläft, kann sich so bis zu 500 Dollar im Jahr dazu verdienen, ein Fitnessarmband soll die Schlafdaten überwachen. Bertolini ist einer der Manager, der erkannt hat, dass Schlaf zu einem produktiven Arbeitsleben dazu gehört. Und der erkannt hat, dass ein Unternehmen von ausgeruhten Mitarbeitern mehr hat, als von dauergetriebenen Vielarbeitern. Bertolini ist in dieser Sache Vorreiter: Aetna bietet seinen Mitarbeitern zur Entspannung auch Yoga- und Meditationsstunden an. Aber auch Microsoft Österreich stellt ihren Mitarbeitern Ruheräume zu Verfügung, bei Google gibt es in den Zentralen ganze Trakte mit Schlafräumen.

Der vergangene Montag war für viele noch anstrengender als sonst. Die innere Uhr war im Tiefschlaf, draußen ist es gerade einmal hell geworden – und trotzdem hat der Wecker geläutet. Am Abend wiederum war man noch gut bei Kräften – die Uhr hat aber schon Schlafenszeit eingemahnt. Zwei Mal im Jahr pfuscht uns die Zeitumstellung in den Organismus hinein, rüttelt an unserem Hormonhaushalt. Das wirkt sich auf den Schlaf-Wach-Rhythmus aus und manche brauchen Tage, um sich in der neuen Tagesordnung einzupendeln. In der Zwischenzeit haben sie einen Mini-Jetlag, der von Müdigkeit, Konzentrationsschwäche oder Appetitlosigkeit begleitet werden kann. Ältere, Kinder oder Kranken sollen hier besonders empfindlich reagieren. Immer wieder fordern Politiker, die Zeitumstellung abzuschaffen, so wie es etwa Russland vor zwei Jahren gemacht hat. Wahrscheinlicher ist es, dass wir am 29. Oktober die Uhr wieder um eine Stunde zurückdrehen.

Mediziner und Experten sind sich einig: Ein kurzer Zwischendurch-Schlaf (Powernap) würde die Leistung der Mitarbeiter erheblich steigern. „Wer sich am Nachmittag für 20 Minuten ausruht, ist fast so leistungsfähig, wie am Morgen“, sagt Schlafforscherin Brigitte Holzinger. Wichtig dabei sei, nicht in den Tiefschlaf zu kommen, den Schlaf also vorher abzubrechen. „Sonst kommt man in einen schlaftrunkenen Zustand“, so Neurologe und Schlafmediziner Michael Saletu. Im Schnitt plagen wir uns rund jeden zweiten Tag mit Müdigkeit am Arbeitsplatz. An ganzen 161 Tagen im Jahr sollen wir laut einer neuen Studie eines US-Bekleidungsherstellers ein Nachmittagstief haben. Es beginnt um 14:40 und soll 38 Minuten und 11 Sekunden anhalten. Quasi verlorene, nicht produktive Zeit für den Arbeitnehmer – und das Unternehmen. Die Studie zeigt auch: Wir überbrücken das Tief aktuell mit Kaffee. Schlaf wäre die bessere Lösung.

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