Bildung gegen Überbevölkerung

Bildung gegen Überbevölkerung
Interview: Ist Bildung die Lösung für die Überbevölkerung der Erde? Wolfgang Lutz hat darauf eine elegante Antwort.

Sieben Milliarden Menschen bevölkern die Erde. Im Jahr 2050 könnten es zehn Milliarden sein - zu viele für Umwelt und Infrastruktur. Ein möglicher Ausweg ist Bildung. Denn das Bevölkerungswachstum hängt direkt vom Bildungsfortschritt ab, zeigt eine Studie der Wissenschaftler Wolfgang Lutz und Samir K.C. Der Wittgensteinpreisträger Wolfgang Lutz über gebildete Frauen, die sich mehr trauen.

KURIER: Sie sagen, das Bevölkerungswachstum kann durch Verbesserungen im Bildungsbereich beeinflusst werden. Wie hängen diese Faktoren zusammen?
Wolfgang Lutz: Wir reden hier von Gesellschaften, in denen die Geburtenrate sehr hoch ist, wo Frauen im Durchschnitt vier oder mehr Kinder haben. Das sind oftmals mehr Kinder, als die Frauen sich wünschen.

Der Grund dafür?
Viel Unwissenheit. Man nimmt eben so viele Kinder, wie einem Gott schenkt. So war das bei uns in Österreich auch im 19. Jahrhundert.

Wieso ergibt Bildung einen Geburtenrückgang?
Schon mit einfacher Bildung, schlichtweg mit Alphabetisierung, geht die Frau das Thema Familie rationaler an und achtet mehr auf ihre eigenen Wünsche. Besser gebildete Frauen können sich auch besser durchsetzen - in allen Bereichen der Gesellschaft.

In Europa und in Österreich ist im Gegensatz dazu die Geburtenrate unerwünscht niedrig.
Höher gebildete Frauen haben weniger Kinder als niedrig gebildete. Das hängt in erster Linie mit der schlechten Vereinbarkeit von Beruf und Familie zusammen. Karriere geht vielleicht mit einem oder zwei Kindern, aber nicht mit drei, vier. Dazu kommt, dass die Männer bei uns auch weniger Kinder wollen. Ein Drittel der jungen Männer in Österreich will laut Eurobarometer Umfrage gar keine Kinder. Erstens, weil sie glauben, dass das nur Troubles bringt und zweitens, weil sie dann das eingehen müssen, wovor sie am meisten Angst haben: eine langfristige Bindung. Sechs bis sieben Prozent der Frauen wollen keine Kinder.

Das Thema Bevölkerung ist politisch heikel.
Ja, aus ideologischen Gründen. Hier prallen zwei Welten aufeinander. Die Planer sagen, dass die Bevölkerung in vielen Entwicklungsländern zu schnell wächst - das hat in Zwangsmaßnahmen wie in China geendet. Die anderen sagen, dass man Frauen nicht vorschreiben kann, wie viele Kinder sie bekommen, weil es eine urprivate Entscheidung ist - ein Menschenrecht.

Sie probieren das Problem auf anderem Weg - über die Bildungsdebatte - zu lösen?
Es ist eine recht elegante Lösung, weil es zum Vorteil aller ist. Niemand kann etwas gegen Bildung haben. Wenn die Frauen gebildet sind, haben sie nicht nur freiwillig weniger Kinder,
sondern sie sind auch selbst gesünder, ihre Kindersterblichkeit ist geringer und auch für die Gesellschaft bedeutet das mehr Demokratie und Wirtschaftswachstum.

Das starke Bevölkerungswachstum in Entwicklungsländern trägt zur Armut bei. Je stärker die Bevölkerung zunimmt, desto mehr Menschen konkurrieren um die knappen Ressourcen.
In Kenia hat sich die Bevölkerung seit 1950 von sechs Millionen auf heute 42 Millionen versiebenfacht. Weder der Ausbau der Schulen noch andere Infrastrukturprojekte kommen mit diesem Wachstum mit. Auch die Produktion von Nahrungsmitteln auf begrenzter Landfläche und andere für das Überleben wichtige Infrastruktur kommt nicht mit dem Wachstum mit.

Bevölkerungswachstum ist also nicht wünschenswert?
Bevölkerungswachstum an sich ist nichts Schlechtes, problematisch ist dieses extrem schnelle Wachstum. Auch ein schnelles Schrumpfen, wie in manchen osteuropäischen Ländern, bringt Probleme. Zum Beispiel Bulgarien: 1990 waren es noch neun Millionen, heute liegt die Bevölkerung bei 7,3 Millionen, 2030 wird die Bevölkerung auf sechs Millionen sinken. Extrem schnelle demografische Veränderungen sind schlecht.

Verläuft die Veränderung der Bevölkerungsstruktur nach einem Schema?
In den Entwicklungsstaaten läuft jetzt mit Verzögerung dasselbe ab, was bei uns zur Jahrhundertwende stattgefunden hat. Derzeit wächst die Weltbevölkerung um knapp 80 Millionen pro Jahr. Bis zum Jahr 2050, wenn es mit der Bildung von Frauen in Entwicklungsländern gute Fortschritte gibt, werden 8,8 Milliarden Menschen auf der Welt leben. Gibt es keine Fortschritte, werden es bis zu zehn Milliarden Menschen sein. Noch mehr Menschen sind aber auch für die globale Umweltveränderung ein wichtiger Faktor.

Das ambitionierteste Szenario - die 8,8 Milliarden - führt Singapur und Südkorea als Best Practise Beispielen an. Wieso diese beiden?
Die beiden haben es sehr schnell geschafft, ihr Bildungssystem auszubauen. Das Bevölkerungswachstum ist schnell zurückgegangen und das Wirtschaftswachstum ist explodiert. Heute ist Südkorea ein reiches OECD-Land und die Jungen höher gebildet als in Österreich.

Wie sieht es nun in Österreich aus?
Österreichs Bevölkerungszahl wird voraussichtlich relativ stabil bleiben, aber recht stark altern. Und wir müssen alles daransetzen, bei der Bildung nicht mehr und mehr von früheren Entwicklungsländern überholt zu werden. Sonst können wir unseren Wohlstand im globalen Wettbewerb auf lange Sicht garantiert nicht halten.

Preisgekrönt: Demograf Wolfgang Lutz

Person Wolfgang Lutz, geboren 1956 in Rom, aufgewachsen in Deutschland und Österreich, studierte zunächst Philosophie, Mathematik und Theologie in München, schloss sein Diplomstudium der Sozial- und Wirtschaftsstatistik an der Universität Wien im Jahr 1980 ab und ging anschließend für zwei Jahre an die University of Pennsylvania.1983 kehrte er nach Österreich zurück.

Schwerpunkt Lutz ist seit 2002 Direktor des Vienna Institute of Demography der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, er leitet seit 1994 das World Population Program des IIASA in Laxenburg. 2010 erhielt Lutz den Wittgensteinpreis. Mit seiner Forschung hat er zu bahnbrechenden Leistungen bei der Analyse von Bevölkerungsentwicklungen beigetragen.

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