Besondere Talente finden

Der gehörlose Pharmazeut Sreco Dolanc berät in der Marien Apotheke.
Zu wenige Unternehmen in Österreich beschäftigen Menschen mit Behinderung. Dabei verbirgt sich hinter ihrer Beeinträchtigung oft ein Talent.

Sreco Dolanc lächelt, gestikuliert dynamisch, ist vertieft in die Beratung zweier Kunden. Er fasst sich ans Knie, deutet ein Einreiben einer Salbe, die Kunden nicken. Er hebt den Zeigefinger, signalisiert ein "Bitte kurz warten" und dreht sich wendig zum Apotherschrank. Eine ganz normale Beratung am Apothekenschalter. Nur ohne hörbare Worte. Sreco Dolanc ist gehörlos und der erste Apotheker in Österreich, der in Gebärdensprache berät und verkauft. Vor allem Kunden, die selbst nicht hören, kommen zu ihm. Aber auch Menschen ohne Beeinträchtigung kann er beraten, eine Gebärdendolmetscherin übersetzt für ihn im Joballtag im Verkauf.

Sreco heißt Glück auf Slowenisch, erklärt der Pharmazeut. Das vermisste er bei seiner Jobsuche nach seinem Studium in Ljubljana, Slowenien, allerdings. "Mir war schon klar, dass es nicht so einfach sein wird, einen Arbeitsplatz zu finden", erklärt er. Denn er wollte einen Job, der auch seinen Qualifikationen entspricht. Erst, als er im Internet von der rund 400 Kilometer entfernten Marien Apotheke in Wien las, atmete er auf: Diese Apotheke beschäftigt unter anderem auch gehörlose Menschen. Der Pharmazeut packte seine Sachen und kaufte ein Zugticket nach Wien. Das war vor vier Jahren.

Auf Neues einlassen

Sreco Dolanc ist heute einer von drei gehörlosen Mitarbeitern in der Marien Apotheke. Chefin Karin Simonitsch setzt sich seit Jahren für eine größere Akzeptanz von Menschen mit Behinderung ein. Auch auf dem Arbeitsmarkt. Laut Sozialministerium leben in Österreich derzeit rund 70.000 Menschen mit einer schweren Behinderung. Sie sind häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen, wegen ihrer besonderen Bedürfnisse ist es für sie nicht einfach, einen Arbeitsplatz zu bekommen. Dabei haben Menschen mit besonderen Bedürfnissen auch oft besondere Begabungen. Gehörlose Menschen etwa seien schwer aus der Ruhe zu bringen, könnten auch in einer hektischen Umgebung konzentriert arbeiten. "Wir hatten auch zwei Mitarbeiter mit Asperger-Syndrom beschäftigt", erzählt Karin Simonitsch. "Sie haben Sonderbegabungen bei Tätigkeiten, die Menschen ohne Beeinträchtigung nicht so gut erledigen könnten." In ihrer Apotheke waren das etwa Aufgaben, wie Tabletten aus der Verpackung zu drücken und neu zu sortieren. Oder Zahlen zu überprüfen. "Das muss man zuverlässig machen. Für diese Mitarbeiter war das ein absoluter Anker." Sie betont: "Die Arbeit mit Menschen mit Behinderung ist keine Einbahnstraße, wir kriegen viel zurück. Es ist für alle beglückend."

Inklusion

In Österreich muss ein Unternehmen pro 25 Mitarbeiter einen begünstigt behinderten Menschen beschäftigen. Begünstigt behindert ist, wer einen Grad der Behinderung von mindestens 50 Prozent hat. Auf ein Unternehmen mit 100 Mitarbeitern kommen so also vier Mitarbeiter mit Beeinträchtigung – im Idealfall (mehr dazu, siehe Abschnitt Zahlen, Daten).

Aktuell sind laut Sozialministerium etwa 6000 begünstigte Behinderte arbeitsuchend. Beim Matching zwischen Unternehmen und passendem Mitarbeiter mit Beeinträchtigung helfen Organisationen wie Specialisterne, DisAbility Perfomance oder REiNTEGRA. Letztere etwa vermittelt Menschen mit psychischen Erkrankungen an Unternehmen und versucht, sie so zurück in einen geregelten, selbstbestimmten Alltag zurückzubringen. Diese Organisationen beraten Unternehmen auch, was die Besonderheiten im Joballtag angeht. "Aktuell arbeiten 270 Menschen hier, teilweise für uns selbst, teilweise für andere Unternehmen", sagt REiNTEGRA-Chef Stefan Brinskele. Eines davon ist etwa iSi, wo Mitarbeiter mit Behinderung seit zehn Jahre erfolgreich in der Flaschenproduktion arbeiten.

Chancen erkennen

Am 6. April findet in Wien der "Zero Project Unternehmensdialog" statt, bei dem es genau um dieses Thema geht: Integration von Menschen mit Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt. "Beschäftigung von Menschen mit Behinderung wird derzeit noch hauptsächlich als Sozialprojekt und zu wenig als wirtschaftliches Anliegen verstanden", sagt Founder der Essl Foundation und Initiator des Zero Project Unternehmensdialogs, Martin Essl. Unternehmen sollen bei der Konferenz von anderen Unternehmen erfahren, wie die Integration von Menschen mit Behinderung gelingen kann und welche Rahmenbedingungen es dafür braucht. Denn: Chancen, wie die Nutzung der Begabungen von Menschen mit Behinderung, die Erschließung neuer Kundengruppen, hohe Sympathiewerte und ein gutes Betriebsklima blieben heute noch weitgehend ungenutzt.

Initiativen wie diese bewegen viel – auf Unternehmer- und auf Mitarbeiterseite. Martin Essl: "Menschen mit Behinderung sollen die Möglichkeit und Chance haben, ein eigenes Einkommen durch eigene Arbeit zu verdienen. Damit erfahren sie Anerkennung und das Gefühl, gebraucht zu werden."

Am Donnerstag, den 6. April 2017, findet in Wien der „Zero Project Unternehmensdialog“ zum Thema „Vielfalt ist MehrWert: Menschen mit Behinderung in Ihrem Unternehmen“, statt. Hier können sich Unternehmen beraten und informieren lassen, wie die Zusammenarbeit mit Menschen mit Beeinträchtigung funktionieren kann.
Role Models aus der Wirtschaft, wie T-Mobile Austria, OBI, PwC oder auch die Marien Apotheke erklären hier, warum sie Mitarbeiter mit Behinderung beschäftigen, wie der Job-Alltag wirklich läuft und erklären zudem den Nutzen fürs Unternehmen.


Auch das Matching zwischen Firmen und den passenden Mitarbeitern wird behandelt: Specialisterne (vermitteln Menschen mit Autismus), REiNTEGRA (helfen Menschen mit psychischen Erkrankungen bei der Reintegration in den Arbeitsmarkt) und DisAbility Perfomance (Unternehmensberatung, spezialisiert auf Beschäftigungschancen von Menschen mit Behinderung) beraten hierzu. Die Wirtschaftskammer Wien, das AMS und das Sozialministerium klären zudem darüber auf, welche Förderungen und Assistenz-Leistungen Unternehmen in Anspruch nehmen können. Veranstaltet wird der Unternehmensdialog von der Essl Foundation, Caritas Wien und dem Fonds Soziales Wien/Stadt Wien. Der KURIER ist Kooperationspartner.


Info: Am 6. April von 10 bis 15 Uhr im Wiener Rathaus, Eingang Lichtenfelsgasse 2, Feststiege 2, Wappensaal, 1. Stock, 1010 Wien.
Die Veranstaltung ist barrierefrei, die Teilnahme kostenlos.

In Österreich muss ein Unternehmen pro 25 Mitarbeiter einen begünstigt behinderten Menschen beschäftigen. Begünstigt behindert ist, wer einen Grad der Behinderung von mindestens 50 Prozent hat. Blinde Menschen oder Rollstuhlfahrer werden als schwer behinderte Dienstnehmer eingestuft und daher „doppelt“ gezählt. Unternehmen können sich von dieser Pflicht freikaufen und eine Ausgleichstaxe zahlen. Sie beträgt mindestens 253 Euro pro Monat pro nicht besetzte Pflichtstelle. Aktuell sind 20.000 Unternehmen in Österreich einstellungspflichtig, heißt es aus dem Sozialministerium. Bedeutet, diese 20.000 sollten aufgrund ihrer Mitarbeiteranzahl begünstigte Behinderte beschäftigen. Von diesen Betrieben erfüllen jedoch 15.000 nicht oder nicht zur Gänze diese Pflicht.

Insgesamt gibt es in Österreich 108.000 Pflichtstellen, in denen Menschen mit Behinderung arbeiten müssten. Nur 71.000 dieser Stellen sind heute auch tatsächlich besetzt – das sind rund zwei Drittel. „Wir haben zwar viele Unternehmen, die die Einstellungspflicht nicht zur Gänze erfüllen, aber insgesamt weniger offene Pflichtstellen“, heißt es aus dem Sozialministerium. Genug sei das trotzdem nicht. „Eine höhere Quote wäre wünschenswert.“

Kommentare