Kanada-Pakt nachverhandeln? "Ding der Unmöglichkeit"

Freihandelskritiker werfen TTIP und CETA in einen Topf
Mitterlehner widerspricht Kanzler-Wunsch: "CETA ist abgeschlossen." TTIP soll hingegen zurück an den Start.

Die Verwirrung ist perfekt: Will Österreich die Freihandelsgespräche mit den USA (TTIP) ganz stoppen? Oder nur einen Neustart? Und wie sieht die Regierungslinie für das EU-Kanada-Abkommen CETA aus, wo Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) Nachbesserungen wünscht? Vizekanzler und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) versucht im KURIER-Interview aufzuklären.

KURIER: Sie sind für einen völligen TTIP-Neustart. Was soll nach der US-Wahl anders sein?

Reinhold Mitterlehner: Ein gut gemachtes, transparent verhandeltes Handelsabkommen würde Österreich als Exportland sehr nützen. Der Name TTIP ist aber so sehr mit Misstrauen aufgeladen, dass sachliche Abwägungen nicht mehr möglich sind. Das Verhandlungsmandat wurde nicht von Beginn an offengelegt, das hat eine Welle der Emotionen ausgelöst, vor allem gegen Großkonzerne und Globalisierung allgemein. Die EU-Kommission konnte das nicht entkräften. Durch die Präsidentenwahl wird die gesamte US-Administration neu aufgestellt. Da ist es sinnvoll, die Verhandlungen gleich neu aufzusetzen.

Ist TTIP nach den Vorbehalten in Deutschland und Frankreich nicht ohnehin politisch tot?

Bei TTIP existieren jetzt zwei Wirklichkeiten: Die EU-Kommission wirft Europas Verhandlungsreputation in die Waagschale. Die Nationalstaaten wissen aber, dass für einen Vertrag Vertrauen nötig ist. Das derzeitige Vorgehen ist zum Scheitern verurteilt, unabhängig davon, welche Verhandlungsergebnisse jetzt vorgelegt werden. Das ist nicht mehr die Frage einer einzelnen Partei, es fehlt quer durch die Gesellschaft die Akzeptanz.

Warum ist das so?

Es gibt Vorbehalte, dass Standards untergraben würden, die Daseinsvorsorge, der Arbeitsschutz oder Gemeindeausschreibungen in Gefahr wären oder dass Biohormone und Gentechnik auf den Markt kommen könnten. Die Kommission wollte das mit einer Generalklausel ausräumen, dem „right to regulate“ (Recht auf Regulierung) – das ist nicht gelungen. Und die Öffnung von Leseräumen für Abgeordnete hat den Vorwurf der Geheimverhandlungen ebenfalls nicht entkräftet.

Was soll aus dem umstrittenen Investitionsschutz werden?

Klar ist: Wir brauchen irgendeinen Mechanismus zur Streitbeilegung. Jetzt hat Österreich zwar 62 Abkommen mit Investitionsschutz, die sind aber mit hoch entwickelten Rechtssystemen wie in den USA und Kanada nicht vergleichbar. Trotz notwendiger Nachbesserungen ist der Eindruck einer Paralleljustiz geblieben.

Was soll ein Neustart ändern? Irrationale Vorbehalte wird es weiter geben. Und vor laufenden Kameras werden die USA nicht verhandeln wollen.

Es muss vom Start weg klar formuliert sein, was das Ziel ist und was nicht. Es muss von vornherein klar sein, dass die Standards nicht verschlechtert werden dürfen. Und es muss klar sein, dass das nicht nur in einer Präambel steht, sondern wie bei CETA auch im Vertragstext.

Wäre TTIP light eine Option, wo besonders heikle Themen ausgeklammert werden?

Auch das wäre mit der neu zusammengesetzten US-Administration denkbar. Man könnte einen Sukkus aus dem Vorliegenden ziehen und einige Klarstellungen treffen.

War die Botschaft "Stopp für TTIP" eine Verneigung vor dem Boulevard?

Nein, der Boulevard fährt diese Kampagne ja schon seit Jahren. Aber wenn mir eigene Bürgermeister ihr Unverständnis ausdrücken, dann ist in der Vermittlung der Vorteile ein Fehler passiert.

EU-Kommissarin Cecilia Malmström wirft freilich den EU-Staaten und auch Österreich vor, sich wegzuducken.

TTIP ist ein völlig neuer Typ von Abkommen, weil hier zwei Industriestaaten auf Augenhöhe verhandeln. Das hätte die Kommission von Anfang an sensibler und transparenter erklären müssen. Wegen der Geheimniskrämerei ist es nicht gelungen, den Nutzen für unsere Klein- und Mittelbetriebe zu erklären. Daraus müssen wir lernen, die Kommission und die Mitgliedstaaten.

Kanada-Pakt nachverhandeln? "Ding der Unmöglichkeit"
VP-Chef Reinhold Mitterlehner
Das CETA-Abkommen mit Kanada soll schon am 27. Oktober unterzeichnet werden. Welche Linie wird Österreich da im EU-Ministerrat vertreten?

Die Vorentscheidung fällt am 18. Oktober im Rat, wo voraussichtlich der Außenminister teilnehmen wird. Die Regierungslinie müssen wir vorher klären. Sollten wir uns gegen das Abkommen entscheiden, würden wir voraussichtlich überstimmt, weil sich eine qualifizierte Mehrheit für CETA abzeichnet. Das heißt, Österreich müsste das Abkommen trotzdem beim EU-Kanada-Gipfel unterzeichnen. Wenn das Europäische Parlament zustimmt, tritt die vorläufige Anwendung von CETA in Kraft. Wir fordern, dass dabei der Investitionsschutz und das Nachhaltigkeitskapitel ausgenommen wären – das ist aber rechtlich nicht definitiv geklärt.

Kanzler Christian Kern möchte auch bei CETA noch Nachbesserungen. Ist das realistisch?

Den Vertrag kapitelweise neu zu verhandeln wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Der Text ist abgeschlossen, entweder er wird angenommen oder nicht. CETA ist nach Meinung vieler Experten ein gutes Abkommen, weil es Zölle abbaut, Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen einräumt und nichttarifäre Hürden abbaut. Es würde Kanada und der EU weiterhelfen.

Für Sie ist also nur noch offen, was von der vorläufigen CETA-Anwendung ausgenommen ist?

Ja, unter der Annahme, dass es eine qualifizierte Mehrheit der EU-Staaten dafür gibt. Einige große Staaten sind zwar gegen TTIP. CETA sehen die meisten als ein gutes Abkommen.

Kanzler Kern sieht bei TTIP und CETA ähnliche Probleme.

Bewerten wir das Für und Wider von CETA sachlich, dann lässt sich entkräften, dass es ein TTIP durch die Hintertür wäre. Beide Verträge sind politisch und formal völlig entkoppelt. Und die Vorstellung, dass sich alle US-Konzerne in Kanada ansiedeln werden, ist lächerlich.

Wie wollen Sie eine Regierungslinie zustandebringen?

Bei TTIP sehe ich kein Problem, weil die Zeit ohnehin abläuft, nachdem in wenigen Monaten die US-Wahlen anstehen. Für CETA werden wir eine Linie finden, da nähern wir uns ganz gut an.

Ein Nachverhandeln schließen Sie aus?

Ich sehe dafür keinen konkreten inhaltlichen Ansatz.

Beim Investitionsschutz haben die Kanadier die EU-Idee eines neuartigen Schiedsgerichtshofs akzeptiert. Warum reicht das nicht?

Darüber werden die nationalen Parlamente bei der Ratifizierung abstimmen. Ich sehe in CETA auch eine Verbesserung, das räumt aber trotzdem nicht alle Zweifel aus.

Die vorläufige Anwendung von CETA könnte dazu führen, dass große Teile in Kraft sind, obwohl ein oder mehrere nationale Parlamente Nein dazu sagen. Droht ein Zombie-Abkommen?

Die handelsrechtlichen Kompetenzen liegen bei der Kommission, so sind die Spielregeln. Das wurde auch immer so gelebt. Das Südkorea-Abkommen hat gezeigt, dass sich in der Praxis viele der Befürchtungen nicht bestätigen.

Warum gehen die Wogen gerade bei den USA und Kanada hoch, während etwa das Japan-Abkommen niemanden interessiert?

Weil es ein wunderbares Thema für manche Interessenvertretungen ist. Wegen ihrer Wirtschaftskraft und Großkonzerne werden die USA von Globalisierungsgegnern als Feind schlechthin dargestellt. Das ist zwar absoluter Nonsens, hat aber die Emotionen so aufgeheizt.

Kanada-Pakt nachverhandeln? "Ding der Unmöglichkeit"
epa04971649 Participants of a rally raise placards reading 'StopTTIP' during a demonstration against the trade agreements TTIP and Ceta, in Berlin, Germany, 10 October 2015. More than 50,000 protesters were expected at Berlin's main train station on Saturday as part of a nationwide protest in Germany against the historic free trade agreements the European Union is negotiating with the United States and Canada. The Stop TTIP CETA rally has been called to oppose the EU's Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) with the US and the Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) with Canada. EPA/JOERG CARSTENSEN

EU-USA-Abkommen TTIP

TTIP ist das englische Kürzel für „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“. Die Verhandlungen der EU mit den USA über den Abbau von Zöllen, Handelshürden und Marktöffnung laufen seit 2013, treten aber nach 14 Runden auf der Stelle.

EU-Kanada-Abkommen CETA

CETA steht für „umfassendes Wirtschafts- und Handels-
abkommen“. Der 1600- Seiten-Vertrag ist fertig, aber noch nicht beschlossen. 99 Prozent der Zölle sollen fallen. 145 EU-Herkunftsbezeichnungen wie Tiroler Speck sind geschützt.

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