Jack Ma: Kleiner Mann, große Pläne
Das Ganze begann eigentlich als Scherz. 1993 waren an der chinesischen Universität Nanjing einige Studenten frustriert, weil sie am Valentinstag allein da standen. Kurzerhand riefen sie ihren eigenen Feiertag ins Leben. Der "Junggesellentag" sollte den Singlestatus hochleben lassen – und das passenderweise am 11. November (11/11).
Viele Jahre später erkannte ein früherer Englischlehrer das Geschäftspotenzial dieses Pseudo-Feiertages. Wie könnten Singles ihr Dasein besser zelebrieren, als wenn sie sich etwas gönnen? Jack Ma, schwerreicher Gründer der Handelsplattform Alibaba, rief am 11. November 2009 zur Schnäppchenjagd auf. Der erste "Singles’ Day" hatte überschaubaren Erfolg. Nur 27 Händler schlossen sich dem Aufruf zu Rabattaktionen an.
Steiles Wachstum
Doch seither ging es auf der Handelsplattform schwindelerregend bergauf. Mega-Einkaufstage wie Black Friday und Cyber Monday, an denen in den USA die Shoppinghysterie angeheizt wird, hat Alibaba längst hinter sich gelassen (Grafik): Im Vorjahr erreichten die Bruttoumsätze, die mit Verkäufen über die Alibaba-Plattformen getätigt wurden, 14,5 Milliarden US-Dollar. Und das binnen 24 Stunden.
Global und digital
Jack Mas Plan: Der Shopping-Wahnsinn soll zum globalen Ereignis reifen. Je größer, desto bester, ist die Devise des kleingewachsenen 52-Jährigen. Das galt schon beim Börsegang 2014, der 25 Milliarden Dollar einspielte und alle Rekorde brach. Und es gilt für die vierstündige Show in Shenzhen, die am Donnerstag einen wochenlangen Count-down abschloss.
US-Popsternchen Katy Perry, die Band OneRepublic und ein Oscar- und Super-Bowl-erfahrener Hollywood-Produzent sollten ein glamouröses Event garantieren, das über Webstream live übertragen wurde. US-Basketballer Kobe Bryant, der britische Fußballstar David Beckham und sein deutscher Kollege Thomas Müller hatten ebenfalls Auftritte.
Experten erwarten, dass Alibaba heuer am 11. November 17 bis 21 Milliarden Dollar umsetzt. Der Showact soll dabei nur die Bekanntheit steigern. Denn neben den 450 Millionen Kunden auf Chinas Festland können bisher nur Verbraucher in Taiwan und Hongkong am Online-Shoppingexzess teilnehmen. Südostasien und der Westen sollen in den nächsten Jahren erobert werden.
So will Ma bis 2036 zwei Milliarden Kunden weltweit erreichen. Für globale Marken und Händler wie Macy’s, Target und Costco ist die Teilnahme ein Muss.
Einmal nicken, bitte
Findig ist Ma nämlich auch bei Innovationen: So gab es Ende Oktober eine Live-Modeshow im Internet, wo die Kunden per Mausclick sofort die Roben ordern konnten. Wer vor dem Singles’ Day die Alibaba-Apps Taobao oder Tmall installiert hatte, musste nur das Handy schütteln, um an Gewinnspielen teilzunehmen. Und mit vors Auge geschnalltem Handy – der Billigstvariante einer VR-Brille (Virtuelle Realität) – schickt Ma die Onlinekunden in digital nachgebaute Supermärkte. Das Einkaufen ist denkbar simpel: einfach mit dem Kopf nicken.
Wovon hängt es ab, ob Alibaba auch in Europa und den USA Erfolg hat? Sind die Pläne der Chinesen realistisch? Der KURIER befragte dazu den eCommerce-Experten Alexander Graf. Der Deutsche gibt den Blog Kassenzone heraus, hat das Beratungsunternehmen eTribes gegründet und ist Gründer und Geschäftsführer von Spryker Systems, das IT-Lösungen für den Onlinehandel bietet.
KURIER: Alibaba will den "Singles‘ Day" weltweit ausrollen. Ist das realistisch, dass die Chinesen auch in Europa und den USA Erfolg haben? Wovon hängt das ab?
Alexander Graf: Natürlich ist es realistisch, dass Alibaba und Co. in Europa Erfolg haben. Schon heute setzen die Plattformen über Direktbesteller bei aliexpress.com, banggood.com oder ähnliche Milliarden Euro pro Jahr um. Die Seiten werden immer besser, etwa hinsichtlich der Sprache, und die Services stehen Amazon um nichts nach.
Wann wird dann voraussichtlich ihr Durchbruch erfolgen?
Graf: Der Durchbruch wird dann erfolgen, wenn ein Portal aus Asien hier stark vermarktet wird und bessere Preise als Amazon bieten kann. Und das bei ähnlicher Verfügbarkeit.
Die Alibaba-Umsätze sind in den vergangenen Jahren exponentiell explodiert, heuer sollen es am 11. November mehr als 20 Mrd. Dollar werden. Wie ist das zu erklären?
Der Nachholbedarf in Asien ist größer, es gibt deutlich mehr bestellende Kunden und sehr wahrscheinlich werden die Kunden dazu erzogen, insbesondere an solchen Tagen zu bestellen. Eine Art Event also.
Obwohl die US-EInkaufstage bereits übertrumpft werden, erhält Alibaba bei uns - außerhalb von Businessmedien - noch relativ wenig Aufmerksamkeit. Warum? Ist das ein Hinweis, dass es vielleicht doch schwieriger für die Asiaten ist, hier Fuß zu fassen?
Die Awareness ist bei den Kunden durchaus da. Anders sind die Millionen Pakete, die beim Zoll ankommen - und entsprechend Milliarden-Umsätze - nicht zu erklären. Aber das Bestellvolumen konzentriert sich auf wenige Early Adopter (technologienahe Frühstarter) und ist noch lange nicht bei Jedermann angekommen. Und erst wenn es Jedermann betrifft, schalten sich Mainstream-Medien ein.
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