Arbeitszeitverkürzung ist leistbar

Arbeitszeitverkürzung ist leistbar
AK-Experte Markus Marterbauer kann die Klage über den Facharbeitermangel nicht nachvollziehen.

In einer neuen Serie befragt der KURIER Wirtschaftsexperten aller ideologischer Lager zu den Reformnotwendigkeiten in Österreich und der EU. Wir starten mit Markus Marterbauer, Arbeiterkammer-Chefökonom und Mitglied im Staatsschuldenausschuss.

Arbeitszeitverkürzung ist leistbar
KURIER: Österreich wird durch Großpleiten und steigende Arbeitslosigkeit erschüttert. Kommen härtere Zeiten?

Markus Marterbauer: Österreich ist besser durch die Krise gekommen als die meisten anderen Länder. Dabei geholfen haben ein guter Sozialstaat und die sozialpartnerschaftliche Lohnpolitik. Aber wir haben 90.000 Arbeitslose mehr als vor der Krise. Das ist ein Alarmzeichen.

Was muss die Politik tun?

Das Wichtigste wäre ein Kurswechsel in der europäischen Wirtschaftspolitik, da müsste unsere Bundesregierung sagen: Das ist inakzeptabel. Das Sparen zum falschen Zeitpunkt hat in Europa ungefähr drei bis fünf Millionen Arbeitslose geschaffen. Unser Problem ist die Massenarbeitslosigkeit.

Kann man in Österreich allein gar nichts tun?

Natürlich, zum Beispiel in Bereiche investieren, die einerseits langfristig ökonomischen Nutzen haben, andererseits kurzfristig Jobs schaffen: in den sozialen Mietwohnungsbau, in Kindergärten und Pflege. Da bin ich zufrieden mit dem Konjunkturpaket. Wir müssen Job-Vermittlung und Qualifizierung von Arbeitslosen intensivieren. Und weil das Arbeitskräfteangebot wegen der Zuwanderung aus Deutschland und Osteuropa rasant wächst, muss man dieses Angebot innovativ reduzieren, Stichwort: Arbeitszeitverkürzung.

Können sich die Unternehmen im internationalen Wettbewerb so etwas leisten?

Ja, die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Exportindustrie ist sehr hoch. Und bei jeder Arbeitszeitverkürzung der Vergangenheit haben die Gewerkschaften die Entwicklung der Lohnstückkosten berücksichtigt.

Sie sprechen vom rasch wachssenden Arbeitskräfteangebot, die Industrie aber jammert, dass sie zu wenig Fachkräfte bekommt. Wie ist das möglich?

Jammern ist der Gruß des Kaufmanns. In den 1970er-Jahren, als es wirklich Arbeitskräftemangel gab, haben die Firmen mehr ausgebildet. Und sie haben sich bemüht, als Arbeitgeber attraktiv zu sein. Warum sonst hätten sie Betriebskindergärten errichtet? Das vermisse ich heute. Ich sehe keinen allgemeinen Fachkräftemangel. Mag sein, dass wir zu wenige Schweißer haben. Dann muss man eben mehr Schweißer ausbilden. In einer Marktwirtschaft merkt man Mangel normalerweise daran, dass die Preise steigen. Ich sehe aber nirgendwo stark steigende Löhne bei den Facharbeitern.

Sie sagen auch: Wir haben einen gut funktionierenden Sozialstaat. Viele sagen aber: Der Sozialstaat ist zu teuer.

Beim Sozialstaat zu sparen, wäre ganz falsch. Er hat sich in der Krise bewährt. Was sich nicht bewährt hat, sind die privaten Betriebspensionen. Sie brachten Einbußen bis zu 40 Prozent.

Wir befinden uns in einer Staatsschuldenkrise mit hohen Schulden. Was tun?

Mit einer Sparpolitik zum falschen Zeitpunkt zerstört man die Wirtschaft. Meiner Meinung nach müsste eine Strategie sein, die Steuern koordiniert auf europäischer Ebene zu erhöhen, also Vermögenssteuer, Spitzensteuersatz, Finanzaktivitätssteuer. Dieses Geld muss man danach in die richtigen Bereiche investieren. Das schafft den Wirtschaftsaufschwung sowie Arbeitsplätze und senkt die Schulden.

Frankreich versucht so etwas, es funktioniert aber nicht.

Weil man das fast nicht mehr allein in Europa machen kann, das muss koordiniert stattfinden.

Läuft Europa mit neuen Steuern nicht Gefahr, im globalen Wettbewerb Kapital zu verlieren?

Wir unterschätzen unsere Wirtschaftskraft. 85 Prozent aller in der EU erzeugten Güter und Dienstleistungen werden in der EU verbraucht. Wir können ganz viel bewegen.

Glauben Sie nicht, dass Firmen abwandern, wenn die Steuern steigen?

Die Zahlen belegen das nicht. Die österreichische Industrieproduktion hat sich sehr gut entwickelt, besser als in Deutschland. Es spricht also vieles dafür, dass der Standort sehr gut ist. Die gute Basis soll aber nicht zu Stillstand veranlassen.

Ist unser staatliches Umlagesystem der Pensionen eigentlich auf Dauer finanzierbar?

Das Umlagesystem ist dann finanzierbar, wenn wir gute Beschäftigungszahlen und hohe Einkommen haben. Mittelfristig wird das effektive Pensionsantrittsalter aber steigen müssen. Ab 2020, wenn die erwerbsfähige Bevölkerung nicht mehr wächst, wird das auch den Druck auf die Firmen erhöhen, die Mitarbeiter länger in Beschäftigung zu halten.

Zur Person

Karriere Markus Marterbauer, geboren 1965 in Uppsala (Schweden), studierte in Wien Volkswirtschaft und war von 1988 bis 1994 Assistent am Institut für Volkswirtschaftstheorie und -politik. Anschließend war er sieben Jahre lang Konjunkturreferent am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). Seit 2011 leitet er die Abteilung Wirtschaftswissenschaft der Arbeiterkammer Wien. Außerdem ist er Lektor an der WU Wien, Mitglied im Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen und Mitglied des Staatsschuldenausschusses.

Alle Interviews zur Serie "Was braucht Österreich? Aufträge an die Politik" finden Sie HIER.

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