Industrie erwartet weitere Ermittlungen

Industrie erwartet weitere Ermittlungen
Die Ermittlungen der Wettbewerbshüter im Lebensmittelhandel – bisher bei Rewe – könnten bald ausgeweitet werden, glaubt Industriesprecher Michael Blass.

Kräftig gestiegene Lebensmittelpreise sorgten zuletzt bei vielen Konsumenten für Ärger. In der Lebensmittelbranche dominierte hingegen ein anderes Gesprächsthema: Razzien bei Händler Rewe. Michael Blass, Geschäftsführer des Fachverbandes der Lebensmittelindustrie, bezieht zu beiden Themen Position.

KURIER: Die Hausdurchsuchungen bei Rewe haben die Branche aufhorchen lassen. Rechnen Sie mit weiteren Nachforschungen?
Michael Blass:
Was wir in Österreich erleben ist eine Entwicklung, die wir auch in anderen Ländern sehen. Dass sich nun auch bei uns die Wettbewerbsbehörde dieses Themas annimmt, ist verdienstvoll. Es ist aber nicht das erste Mal: 2005 gab es bereits einen Sonderbericht zu diesem Thema. Dass sich die BWB auf Basis dieses Berichts und der Klagen zahlreicher Lieferanten nun die Marktmacht der größten Player ansieht, ist nicht überraschend.

Die Behörde spricht auch von Preisabsprachen mit Herstellern. Noch mal: Erwarten Sie weitere Ermittlungen bei Ihren Mitgliedern?
Nach Ankündigung der BWB muss sich die Branche darauf einstellen, dass es weitere Erhebungen geben wird. In welcher Form, muss die Behörde entscheiden.

Wird sich nun etwas ändern am Lebensmittelsektor?
Kurzfristig wird es zu großen Verunsicherungen führen, die zunächst den Handel treffen. Aber auch die Lebensmittelerzeuger werden sehr aufmerksam sein. Langfristig ist jede Maßnahme, die einer Korrektur des Machtgefälles in Verhandlungen zwischen Anbietern und Nachfragern dient, willkommen zu heißen.

Haben die Konsumenten etwas davon?
Ich gehe davon aus, dass die Konsumenten einen enormen Wert haben, wenn sie in einem Land mit einer funktionierenden Lebensmittelwirtschaft leben. Sie wollen Qualitätsprodukte, Auswahl und Vielfalt. Aber sie wissen auch, dass es das alles nicht zum Nulltarif geben kann. Genau diese Illusion hat der Handel mit seinen ausufernden Preisschlachten bisher erzeugt. Schlicht die Marktmacht zum Einsatz zu bringen, um die ökonomischen Gesetze zeitweise auszuknipsen wie einen Lichtschalter wird es wohl nicht mehr spielen.

Auch die Brauereien standen im Visier der Wettbewerbshüter. Mit einem Bußgeld von nur 1,1 Mio. Euro hat man die Sache aus der Welt geräumt. Wie beurteilen Sie das?
Die Brauereien haben bereits die Konsequenzen gezogen im Streit um die Belieferung von Cash-und-Carry-Märkten (Großhandel, Anm.) , da hätte es die Auseinandersetzung gar nicht gebraucht. Viel zu kurz kam in der Diskussion das Qualitäts-Argument, denn bei Fassbier sind z.B. saubere Schankanlagen ein sehr sensibles Thema.

Reden wir über ein anderes heißes Thema, die Teuerung: Immer wieder gibt es Vorwürfe, Lebensmittel würden in Österreich übermäßig teurer.
Wir haben offene Grenzen: Wäre Österreich tatsächlich so teuer, würden wir sofort von ausländischen Anbietern geflutet. Und die Arbeiterkammer vergleicht unser Preisniveau immer mit Deutschland, nie aber mit dem in Norditalien, Tschechien oder gar der Schweiz.

Trotzdem gilt Essen in Österreich als Preistreiber...
Im Fünf-Jahres-Vergleich sind die Gesamtausgaben im Haushalt um 14,6 Prozent gestiegen, jene für Energie und Wohnen um 22 Prozent. Bei Nahrung und alkoholfreien Getränken lag das Plus nur bei 6,4 Prozent.

Wo müssen wir mit neuen Preissteigerungen rechnen?
Jeder Hersteller muss selbst kalkulieren. Die Konsumenten müssen sich vor allem auf stärkere Preis-Schwankungen einstellen, weil kleinere Erschütterungen an den Rohstoffmärkten nun unmittelbar durchgereicht werden.

Wie wirkt sich der kräftig gestiegene Ölpreis auf die Lebensmittelpreise aus?
Öl ist die Leitwährung für viele Rohstoffe, weil es im verarbeitenden Bereich eine Reihe von Substitutionsmöglichkeiten gibt. Wenn man sich die Lebensmittel-Preise ansieht, wird der Höhenflug bei Öl nicht ohne Folgen bleiben können.

Während die Lebensmittelbranche im Inland oft kritisiert wird, sind die Produkte im Ausland hoch geschätzt. Wie viel Umsatz macht man im Export?
Die Branche hatte zuletzt einen Bruttoproduktionswert von über sieben Milliarden Euro. Zwei Drittel der Wertschöpfung erfolgt bereits im Export. 1995 lag unsere Exportquote noch bei 16 Prozent.

Wie hat sich der Branchenumsatz 2011 entwickelt?
Die Mengen haben im Vorjahr rund vier bis sechs Prozent zugelegt, bei den Umsätzen waren es dank höherer Preise sogar 20 Prozent. Damit sind wir deutlich über Vorkrisenniveau.

In der Politik wird seit Jahren um eine Gütesiegelverordnung gerungen. Die Bauern wollen das AMA-Siegel erweitern, das Gesundheitsministerium will neue Siegel. Wie steht die Industrie dazu?
Wir möchten im Sinne unserer Konsumenten mehr Klarheit. Es gibt mit dem AMA-Zeichen ein hervorragend etabliertes System, dem die Konsumenten vertrauen. Es ist schwer zu verstehen, warum dieses System nicht zur Grundlage gemacht wird für ein generelles Gütesiegel. Aber viele Lebensmittelhersteller haben heute noch Sympathie für das Austria-Qualitätszeichen, das Goldene A, das leider abgeschafft wurde. Was wir dringend brauchen, ist ein österreichisches Wertschöpfungsgütesiegel, auch wenn die Rohstoffe nicht zu 100 Prozent aus Österreich kommen. Die Leistung der Verarbeiter hat eben auch für sich ihren Wert.

Essen: Fast 230 Industriebetriebe

Lebensmittelindustrie Recht kleinteilig erfolgt die Lebensmittelproduktion in Österreich. Zu zahlreichen Gewerbebetrieben gesellen sich 229 Industriebetriebe, die im Fachverband der Lebensmittelindustrie zusammengeschlossen sind. 2011 stieg ihr Umsatz von 7,0 auf 7,7 Milliarden Euro. 5,4 Milliarden Euro wurden im Ausland erwirtschaftet – ein Plus von 18,5 Prozent. Die Firmen beschäftigen in Summe mehr als 27.000 Beschäftigte.

Michael Blass Drei Jahre lang versuchte der studierte Jurist einst sein Glück im Verein für Bewährungshilfe. 1983 kam Blass, heute 53, zum Fachverband der Nahrungsmittelindustrie, seit 1998 ist er Geschäftsführer und sitzt in zahlreichen Branchengremien.

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