Löhne: Europäer nicht überbezahlt

Guy Ryder, Director-General of the International Labor Organization (ILO) gestures during a news conference for the launch of the Global Wage Report at the United Nations European headquarters in Geneva December 7, 2012. REUTERS/Denis Balibouse (SWITZERLAND - Tags: POLITICS BUSINESS EMPLOYMENT)
Es sei eine Illusion zu glauben, dass Europas Wettbewerbsvorteil von niedrigen Löhnen abhänge, so Guy Ryder.

Der Chef der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), Guy Ryder, hält die Europäer nicht für überbezahlt. Es sei eine Illusion zu glauben, dass Europas Wettbewerbsvorteil von niedrigen Löhnen abhänge, sondern Europa habe Vorteile bei der Produktivität, in der Ausbildung und in der Technologie. Im Interview mit der Presse am Sonntag bezeichnet er die Jugendarbeitslosigkeit als "menschliche Tragödie". Die EU werde das Problem der Arbeitslosigkeit nicht mit Geld allein lösen können - "aber man braucht Geld", betont Ryder.

Zwar seien in Spanien und Griechenland die Löhne sicher stärker gestiegen als die Produktivität. "In den meisten EU-Ländern und in den Industrieländern weltweit war es in den vergangenen 20 Jahren jedoch umgekehrt. Die Produktivität stieg viel schneller als die Löhne. Da kann man kaum sagen, dass die Europäer überbezahlt sind", erläutert Ryder. Seit 2000 seien die Reallöhne in den Industriestaaten um fünf Prozent gestiegen. "Wir erleben eine Verschiebung der Einkommen weg von Arbeit und hin zum Kapital."

Jugendarbeitslosigkeit als menschliche Tragödie

Die hohe Jugendarbeitslosigkeit sieht der ILO-Chef als menschliche Tragödie: "Wenn Junge am Anfang ihres Berufslebens länger als ein halbes Jahr nicht beschäftigt sind, spüren sie das ein Leben lang. Sie leben kürzer, sind kränker, verdienen weniger." Die Reaktion der Betroffenen sei unterschiedlich: Manche jungen Arbeitslosen gingen auf die Straße und demonstrierten, andere zögen sich zurück. Seit Beginn der Krise hätten sich mehr Menschen vom Arbeitsmarkt zurückgezogen, als arbeitslos geworden seien, erläutert Ryan in der "Presse am Sonntag".

Kritisch sieht der Brite die Reformen am Arbeitsmarkt in Spanien und Griechenland. In Spanien habe es eine Strukturreform ohne Einbindung der Sozialpartner gegeben. Schon vor der Krise seien viele Menschen prekär beschäftigt gewesen, der Arbeitsmarkt war geteilt in einen Bereich für geschützte Arbeitskräfte und einen für Neuankömmlinge mit wenig Chancen. "Aber was haben wir seither gesehen? Einen Anstieg des Prekariats. Die Lösung für einen geteilten Arbeitsmarkt ist nicht, jeden in prekäre Beschäftigung zu drängen", betont Ryan.

In Griechenland seien die Kollektivvertragsverhandlungen komplett neu aufgestellt worden. "Leider haben die Reformen nicht die Resultate gebracht, die wir erhofft hatten. Die Arbeitslosigkeit steigt weiter. Strukturreformen können Teil der Lösung sein. Allein funktionieren sie nicht." In Südeuropa sei die Sozialpartnerschaft unter dem Druck der Krise zerbrochen. Als Positivbeispiel sieht der ILO-Chef eine "neue Sozialpartnerschaft" in Irland.

Kommentare