IHS-Chef Kocher: Habe nichts gegen Mindestlohn

IHS-Chef Martin Kocher
Der Chef des Instituts für Höhere Studien sieht die Arbeitslosigkeit in Österreich derzeit auf dem Höhepunkt.

Der derzeit in Diskussion stehende Mindestlohn von 1.500 Euro brutto würde nach Ansicht von IHS-Chef Martin Kocher "keine ganz großen Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit" haben. Lediglich im Niedriglohnsektor Handel könnte die Automatisierung dann schneller vonstattengehen, also Arbeitnehmer durch Maschinen ersetzt werden.

Die Industrie hätte am wenigsten Probleme mit dem Mindestlohn, da sie ohnehin mehr zahle als der Dienstleistungssektor, sagte der Chef des Instituts für Höhere Studien am Sonntag in der ORF-Pressestunde. Den Mindestlohn per Gesetz zu verordnen, hielte Kocher aber dennoch nicht für sinnvoll, da er sonst in Wahlzeiten leicht zum politischen Spielball werden könnte.

Auf die ebenfalls im Arbeitsprogramm der Regierung erwähnte Flexibilisierung der Arbeitszeiten (Stichwort: 12-Stunden-Tag) sollte man sich "idealerweise auf Branchenebene oder sogar auf Unternehmensebene" einigen, meint Kocher. Flexiblere Arbeitszeiten brauche es, denn die derzeitige Regelung lasse zu wenig Möglichkeiten, auf Schwankungen einzugehen.

Digitalisierung

Die Bedrohung durch die Digitalisierung sieht der IHS-Chef für Österreich nicht so stark. Während eine viel zitierte US-Studie davon ausgeht, dass 45 Prozent der Jobs vor allem im mittleren Einkommensbereich wegfallen, sei dieser Effekt in Österreich mit 10 bis 15 Prozent "wesentlich geringer", hat das IHS ausgerechnet. Die entsprechende Studie ist aber noch nicht fertig, so Kocher. "Die Angst vor der Digitalisierung ist stark übertrieben", sagte der IHS-Chef. Es gingen nicht nur Jobs verloren, sondern es entstünden auch viele Arbeitsplätze. Auch Brexit und Trump treffen Österreich nur geringfügig, so der Wirtschaftsforscher.

Eine von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) geforderten Wertschöpfungsabgabe lehnt Kocher ab. Er habe noch keine solche Steuer gesehen, "die substanziell Einnahmen bringen würde und nicht gleichzeitig Innovation in Unternehmen schwieriger machen würde". Eine Wertschöpfungsabgabe, von Kritikern auch Maschinensteuern genannt, würde Gewinne stärker besteuern und den Faktor Arbeit entlasten.

Letzteres, also die Steuern auf Arbeit zu senken, hielte der IHS-Chef aber für wichtig. In der nächsten Legislaturperiode brauche es ein großes Konzept für eine Steuerreform. Ein wichtiger Punkt: die Einkommenssteuern verringern und eventuell als Ausgleich die Mehrwertsteuer erhöhen. Auch Vermögenssteuern "kann man diskutieren", so Kocher. Ebenso sinnvoll wäre eine höhere Grundsteuer sowie eine Ökologisierung des Steuersystems. Prämisse müsse aber sein, die Abgabenquote von 44 Prozent, die im EU-Vergleich ziemlich hoch sei, nicht zu erhöhen.

Kalte Progression

Bei der Abfederung der kalten Progression rechnet Kocher nicht so rasch damit, dass diese wirkt. Zudem werde dadurch der Spielraum für größere Reformen kleiner. Kocher geht aber davon aus, dass durch die Abfederung letztlich 70 bis 80 Prozent der kalten Progression abgegolten werden.

Die Arbeitslosigkeit in Österreich sei derzeit auf einem Höhepunkt, kommendes Jahr erwartet Kocher ein leichtes Sinken. Eine Beschränkung des Arbeitsmarkts für Rumänen und Bulgaren würde zwar für bestimmte Gruppen in Österreich, etwa Migranten zweiter Generation, zu Erleichterungen führen. "Aber persönlich bin ich dagegen", so Kocher. Die Aufnahme von Flüchtlingen in die Arbeitsmarktstatistik werde "keinen riesigen Effekt" haben, die Arbeitslosigkeit werde dadurch vielleicht um 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte in den kommenden Monaten steigen. Die Lockerung des Kündigungsschutzes für ältere Arbeitnehmer sei "als Signal sicher hilfreich", bringe aber "keine ganz großen Effekte". Denn die Schutzfunktion werde in der Diskussion überschätzt.

Zum Beschäftigungsbonus meinte Kocher, er hätte zu einer generellen Senkung der Lohnnebenkosten geraten. Laut Regierungsvorhaben sollen Unternehmen, die neue Jobs schaffen, drei Jahre lang nur mehr die halben Lohnnebenkosten zahlen. Die Investitionsprämie für große Unternehmen ist nach Meinung des IHS-Chefs "nicht der ganz große Wurf", denn Großunternehmen planten ihre Investitionen langfristig. Deshalb sei fraglich, "ob das noch starke Effekte zusätzlich auslöst".

Den "Österreich-Aufschlag" bei der Inflation im Vergleich zu Deutschland erklärte Kocher mit den stärker steigenden Steuern und Abgaben und dem geringeren Wettbewerb in Österreich, etwa im Einzelhandel. Das Gute: Der Abstand zwischen Österreich und Deutschland sei jetzt verschwunden, und auch für die nächsten Jahre "erwarten wir kein Differential mehr". Im Immobilienbereich sieht Kocher keine Blase, wenngleich die Wohnungs- bzw- Häuserpreise im städtischen Bereich und in guten Lagen sehr stark gestiegen seien.

Kocher äußerte sich auch zu einer kürzlich präsentierten IHS-Studie zur Sozialversicherung. Diese zeige, dass man an vielen Schauben drehen kann, um sie effizienter zu machen, so Kocher. Die Studie nenne aber keine Zahl beim Thema Zusammenlegung von Krankenkassen. Kocher plädierte in der "Pressestunde" weiters für einen Selbstbehalt für teurere medizinische Leistungen. Dies hätte den Lenkungseffekt, dass Patienten zuerst den Hausarzt oder ein Primärversorgungszentrum aufsuchen.

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