Hightech für unser Essen

"Eddy" misst, was Pflanzen brauchen
Protein aus Insekten, Selektion befruchteter Eier, Sensoren und Drohnen.

Milliarden männlicher Küken werden weltweit jedes Jahr aussortiert und getötet. Weil die Geflügelindustrie nur Hennen braucht. Was wäre, wenn man das Ei durchleuchten und erkennen könnte, was daraus schlüpfen wird? Kurz gesagt: Der "männliche" Teil würde zu Eierspeise verarbeitet, nur der "weibliche" ausgebrütet. Damit beschäftigt sich das israelische Start-up mit dem beziehungsvollen Titel eggXYt. Ein Projekt, das auch für Österreich interessant wäre. Es spart Geld und ist tierfreundlicher. Wer den Durchbruch schafft, kann das große Geld machen. Wobei die Konkurrenz hart ist: So arbeitet auch die deutsche Firma Lohmann, Weltmarktführer in der Legehennenzucht, an einer Eier-Selektion.

Die RWA – " Raiffeisen Ware Austria" – machte sich vergangene Woche auf, um Kooperationsmöglichkeiten mit spannenden israelischen Agro-Gründern auszuloten. Der KURIER begleitete die Reise.

Warum ausgerechnet Israel? Weil es sich als Start-up-Land weltweit profiliert hat, sagt Ohad Reifen von "Start-Up Nation Central" im KURIER-Gespräch. Das von einem US-Mäzen gegründete, ausschließlich privat finanzierte Non-Profit-Institut bringt internationale Unternehmen mit israelischen Gründern zusammen. Wer seine Geschäftsidee schlüssig erklären kann, hat eine Chance, unter die Fittiche von Start-Up Central Nation genommen zu werden. Ist es bereits der zweite Anlauf des Gründers, wird das übrigens positiv gesehen.

Der junge Staat Israel ist selbst eine Art Start-up. Gerade in der Landwirtschaft muss man hier erfinderisch sein, der Platz ist knapp. Die Kleinheit des Landes (plus die hohe Zahl an Immigranten) zwingt zu globalem Denken. (Und die Bedrohung hat auch die Cyber-Security-Industrie beflügelt.) Nirgendwo auf der Welt gibt es mehr Risikokapital. Auf 2000 Einwohner kommt ein Start-up – rekordverdächtig viel.

Heuschreckenschnitzel

Was sind die auffälligsten Trends in der Landwirtschaft? Big Data, Roboter, Sensoren aller Art, die die Bodenqualität prüfen, mit hochauflösenden Kameras ausgestattete Drohnen und kleine Flugzeuge. Sie erkennen winzigste Veränderungen im Feld. Wenn ein Schädling mit freiem Auge erkennbar ist, ist es für Gegenmaßnahmen manchmal zu spät.

Spannend ist auch die Suche nach Protein, das nicht aus Fleisch kommt, sondern zum Beispiel aus der Insektenzucht. Das Granulat ist geruchsloser als Fischmehl und billiger als Algen. Ein Heuschreckenschnitzel ist angeblich gesünder als eines aus Tofu. Behauptet zumindest Gründer Dror Tamir von Hargol Food Tech und drückt seinen Gesprächspartnern ein Gläschen mit getrockneten Insekten in die Hand. Künstliches Fleisch wachsen lassen? Für ihn kein Thema. Zu teuer, zu kompliziert ist die Entwicklung.

Grüne Weltrettung

Es geht bei den Start-ups aber auch um Lebensmittelsicherheit, längere Haltbarkeit, Abfallvermeidung und biologischen Anbau. Der ist auch auf kleinstem Raum möglich. "Wir wollen die Welt retten und nicht nur Geld verdienen", sagt zum Beispiel Karin Kloosterman, Mitbegründerin von "Flux". Die nach Israel ausgewanderte Kanadierin setzt seit drei Jahren auf Urban Gardening (Anbau im städtischen Raum) und stützt sich auf Erfahrungen des israelischen Militärs, das im Land ein starker Wissenschafts- und Technikmotor ist. Auf ihrem privaten Hausdach steht ein Plastik-Iglu, in dem Pflanzen wuchern. Das Geheimnis ist "Eddy" – ein Sensor, der die Sprache der Pflanzen dekodiert, wie Kloosterman selbstbewusst erzählt: Er meldet, was die Pflanze braucht.

Was auffällt: Europa ist wegen seiner hohen Regulatorien für Erfinder eher uninteressant. Männer trifft man in dieser Szene deutlich häufiger als Frauen. Und erstaunlich oft haben sie schon weiße Haare. Das Gründer-Klischee vom jungen Computer-"Nerd" trifft nur selten zu. Im Agro-Bereich stammen die Gründer meist selbst aus bäuerlichen Familien.

Das Start-up Nation Central, untergebracht in der hippen Büro-Gemeinschaft "Mind Space", hat auch einen Online-Start-up Finder (finder.startupnationcentral.org). Vergangene Woche fand sogar eine eigene Start up-Messe in Tel Aviv statt (Trendlines Company Showcase). Für den Berater Daniel Kapp, der die israelische Start-up-Szene mit österreichischen Unternehmen vernetzt, ist das alles höchst nachahmenswert. Aber um so ein Klima auch daheim zu erzeugen, bräuchte Österreich unter anderem dringend eine Belebung des Kapitalmarkts. Das vermisst er schmerzlich im "Plan A" des Bundeskanzlers.

Problem: Forscher-Ego

Und wie ticken eigentlich die Investoren? Ohad Zuckerman (der viel Geld mit dem Verkauf der elterlichen Tomatensamen-Firma gemacht hat) verwaltet den Venture-Capital-Fonds Copia für Agrar-Innovationen und meint trocken: "Forscher sollten ein nicht zu hohes Ego haben und auch zuhören können. Manchmal wird eine großartige Idee nichts wegen der Gründerpersönlichkeit. Und manchmal wird aus einer durchschnittlichen Idee etwas Großes wegen der Gründerpersönlichkeit."

KURIER-Interview mit Raiffeisen Ware Austria-Chef Reinhard Wolf. Mit ihrem 2016 gegründeten Agro Innovation Lab will die RWA Mentor für Start-ups sein. Der zweite Wettbewerb startete gerade. Was sich Raiffeisen davon erwartet.

KURIER: Junge Start-up-Gründer halten Europa für überreguliert. Ein Problem?
Reinhard Wolf: Ja, natürlich. Das hat auch mit der europäischen Kulturgeschichte zu tun. Wir sind obrigkeitsstaatliche Organisation gewohnt.

Polemisch gesprochen passt Raiffeisen mit seiner vormundschaftlichen Struktur für die Bauern da aber gut dazu.
Ja, wir haben eine starke Position in der Versorgung des ländlichen Raums. Raiffeisen mit seiner Genossenschaftsidee ist aber ein Beispiel für nachhaltiges Wirtschaften und das Gegenmodell für problematische Entwicklungen, Stichworte: Shareholder value, schnelle Gewinnentnahmen. Die Lagerhaus-Genossenschaften sind demokratisch organisiert. Wir zeigen, wie man Kräfte bündeln und dennoch Individualität und Flexibilität wahren kann.

Welche neuen technischen Trends interessieren Raiffeisen im Agro-Bereich?
Big Data vor allem. Sprich: Man erfasst Daten über Pflanzen – durch Sensoren und Drohnen. Diese Daten steuern automatisch Maschinen, zum Beispiel bei der Düngung.
Heimische Kunden wollen lieber handgestreichelte Äpfel.
Stimmt schon, aber wer zum Beispiel die österreichische Paradeiser-Saison verlängern will, braucht dafür Glashaustechnik. Es geht außerdem um Qualitätssicherung, Abfallvermeidung, effizienteren Dünger-Einsatz und die Verschränkung der sogenannten konventionellen Landwirtschaft mit dem Bio-Anbau. Von dort kommen Lösungen, die auch für den konventionellen Bereich interessant sind, etwa die Bekämpfung des Traubenwicklers im Weinbau. Früher wurde da ordentlich gespritzt. Heute bekämpfen wir ihn biologisch mit Pheromonen (Sexual-Lockstoffe). Wir wollen uns in diesem Bereich stärker engagieren. Deshalb haben wir uns auch an der Firma Bio-Health beteiligt.

Man kann jetzt schon jedes Feld durchleuchten.
Das tun wir. Wir haben auf Pick-ups montierte Geräte, mit denen wir an genau vermessenen GPS-Punkten Bodenproben ziehen. Auf diese Weise zeichnen wir eine Landkarte über den Ernährungszustand des Feldes. Die Bauern bekommen einen speziell auf ihren Boden abgestimmten Dünger. Das ist Hightech.

Was erhoffen Sie sich von Ihrem Start-up-Engagement?
Neue Technologien, aber auch eine Öffnung der Organisation. Lagerhaus – das klang immer ein wenig verstaubt. Es gibt noch immer Leute, die uns nur mit Gummistiefel verbinden. Und vielleicht verdienen wir ja auch einmal mit einer Beteiligung.

Wie viel Geld stecken Sie rein?
Start-ups, die es in unser Programm schaffen, bekommen 50.000 Euro. Sie kriegen aber natürlich auch andere Unterstützung.

Die RWA ist das Großhandels- und Dienstleistungsunternehmen der Lagerhaus-Genossenschaften (Umsatz 2,4 Milliarden €). Sie versorgt Bauern mit Saatgut und Dünger und kümmert sich um die Produkt-Vermarktung. Die RWA hat zahlreiche Tochtergesellschaften und Beteiligungen, auch im Ausland. Mit der deutschen BayWa bildet sie seit 1999 eine strategische Allianz.
Das Agro Innovation Lab der RWA unterstützt Gründer. Beim ersten Durchgang im Vorjahr bewarben sich 160 Start-ups aus 50 Staaten. Die vier Finalisten (aus Israel, der Slowakei, Italien und Österreich, sie entwickeln u.a. Sensoren) wurden vier Monate lang begleitet.
Seit letztem Jahr fliegen RWA-Drohnen über Österreichs Felder, und mit „Rentflex“ wurde für Landwirte ein Mietmodell für Traktoren entwickelt.

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