Griechenlands Wahl der Angst

Griechenlands Wahl der Angst
Schicksalswahl: Ja oder Nein zum Sparkurs, Ja oder Nein zum Euro – bei der Entscheidung der Griechen fiebert morgen Europa mit.

Von Griechenlands Interims-Finanzminister Giannis Zanias kam die jüngste Hiobsbotschaft: Bis 20. Juli habe der Staat noch Geld, warnte er, dann seien die Kassen leer: keine Löhne für Staatsbedienstete, keine Pensionen, keine staatlichen Leistungen mehr. Genau dieses Schreckensszenario zu vermeiden, wird erste und Hauptaufgabe der neuen Regierung sein, die knapp zehn Millionen wahlberechtigte Griechen am Sonntag küren sollen.

Doch einen Tag vor den Schicksalswahlen, die in ganz Europa mit banger Sorge verfolgt werden, ist vollkommen offen, wer sich durchsetzen wird: Die traditionellen Parteien unter der Führung der konservativen Nea Dimokratia, die für eine Fortsetzung des Sparkurses eintreten – oder die radikale Linksgruppe SYRIZA, die den Sparkurs sofort aufkündigen möchte. In Umfragen liegen beide Blöcke gleichauf, ohne Koalitionspartner wird keine von ihnen auskommen.

Siegt SYRIZA mit ihrem forschen Parteichef Alexis Tsipras, riskiert Griechenland den sofortigen Staatsbankrott. Denn sowohl EU als auch IWF haben angedroht, Griechenland den Geldhahn zuzudrehen, wenn es seine Spar-Auflagen nicht erfüllt. Doch trotz aller Warnungen aus Berlin und Brüssel blieb Tsipras angriffig: "Wir sagen Ja zur Euro-Zone, Ja zum Euro, aber nicht, wenn das Volk sich dafür beugen muss – nicht um jeden Preis." Zweifel an Tsipras Wirtschaftskurs hegen aber neuerdings auch einige seiner engsten Mitarbeiter: Am Montag zog Nikos Chanias, SYRIZA-Kandidat im Wahlkreis Korinth, seine Kandidatur zurück und verließ die Partei: "Selbst wenn SYRIZA nur eine einzige Stunde regiert, wäre das eine Katastrophe für Griechenland und die Zukunft unserer Kinder", schrieb Chanias in seinem Rücktrittsbrief.

Krisen-Hektik

In Europa bereiten sich die Regierungschefs und Finanzminister auf einen dramatischen Wahlabend vor. Eine Telefonkonferenz der Euro-Finanzminister für den Sonntagabend wurde zwar offiziell dementiert: Direkt nach der Wahl gebe es noch nichts zu besprechen, sagte ein Eurogruppen-Vertreter. Inoffiziell hieß es aber, die Euro-Finanzminister würden sich sehr wohl noch am Sonntagabend telefonisch absprechen, um ihre Reaktion auf die Griechenland-Wahl zu koordinieren. Ein reguläres Treffen der Euro-Finanzminister ist für Donnerstag angesetzt. Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihren Abflug zum G-20-Gipfel in Mexiko, der für Sonntagmorgen geplant war, auf Mitternacht verschoben – aus „reisetechnischen Gründen“. Die Euro-Krise wird den Gipfel der 20 stärksten Volkswirtschaften dominieren, neben Griechenland stehen Spaniens Bankenkrise und Italiens Rezession zur Diskussion. Schon Freitag Nachmittag lud EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy Kanzlerin Merkel sowie den französischen Präsidenten Hollande, den britischen Premier David Cameron und den italienischen Premier Mario Monti zu einer Videokonferenz ein.

Derweil zeichnet sich ab, dass Frankreich mit Deutschland im Kampf gegen die Krise wieder enger kooperieren will. Premierminister Jean-Marc Ayrault betonte, Berlin und Paris müssten „Hand in Hand“ Lösungen finden. Dagegen kritisierte Merkel ungewöhnlich scharf Frankreichs schlechte Wirtschaftsleistung. Und sie warnte vor Überforderung Deutschlands in der Krise. Auch beim G-20-Gipfel will Merkel alle Forderungen nach gemeinsamer Haftung in der Euro-Schuldenkrise abschmettern. Besonders intensiv bereitet sich Europas Bankwesen auf den Ausgang der Griechen-Wahl vor: Es gilt, am Montag einen Kollaps des griechischen Bankensystems und schwere Turbulenzen an den Finanzmärkten zu verhindern. Die Notenbanken der G-20-Staaten wollen in der Krise gemeinsam vorgehen. EZB-Chef Mario Draghi kündigte an, die Europäische Zentralbank werde notfalls die Geldschleusen weiter öffnen, damit Europas Banken genug Geld bekommen, um die Wirtschaft am Laufen zu halten.

Szenario 1: Griechen bleiben beim Euro

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Rund 240 Milliarden Euro hat Griechenland aus den ersten zwei Euro-Hilfspaketen bekommen. Bleiben die Griechen in der Euro-Zone, so wird schon ein drittes Hilfspaket vorbereitet. Bedingungen der Euro-Partner: Der harte Sparkurs – mit Korrekturen – und die einschneidenden Reformen werden fortgesetzt. Der aufgeblähte Beamtenapparat muss abgebaut werden; die Steuereintreibung muss effizient werden; es müssen aber auch Wachstumsimpulse gesetzt und die griechische Exportwirtschaft gefördert werden. Die Euro-Hilfe muss mehr den Klein- und Mittelbetrieben und den Bürgern zugutekommen. Das Gesundheitssystem muss saniert werden. Dringender Rat von Experten an die Griechen: In der Euro-Zone bleiben bietet mehr Chancen als ein Austritt.

Szenario 2: Griechen flüchten zur Drachme

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Wollen die Griechen aus der Euro-Zone austreten, müssen sie auch die EU verlassen, betonen EU-Rechtsexperten. Dann würde die EU alle Zahlungen an Athen stoppen, auch die EZB dürfte keine Kredite mehr vergeben: Der griechische Staat wäre offiziell bankrott. Die Einführung einer neuen Drachme-Währung müsste schnell gehen, nach Banken­schluss an einem Freitag. Es droht ein Ansturm der Sparer, um ihre Bankkonten leer zu räumen. Die neue Währung würde sofort abgewertet, mindestens 50 Prozent. Zunächst müsste die Regierung Coupons ausgeben, bis Drachme-Scheine gedruckt sind. Exporte und Urlaub in Griechenland würden billiger, Importe nach Griechenland umso teuer. Experten warnen: Der Umstieg zur Drachme brächte ein Chaos.

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