Goldman Sachs: Es war einmal eine verschwiegene Bank

Wolfgang Fink, Vorstand von Goldman Sachs Deutschland
Deutschland-Chef Wolfgang Fink - ein gebürtiger Wiener - erklärt, warum die Bank so sehr polarisiert.

Die Heimatstadt? Das sei Wien geblieben, sagt Wolfgang Fink. Hier wurde er geboren, hat die ersten zwanzig Lebensjahre verbrachte und auch studiert. Seine gesamte berufliche Laufbahn, bisher 24 Jahre, verbrachte er bei der US-Investmentbank Goldman Sachs (GS).

Unter Bankern gilt Goldman Sachs als Topadresse. Für einen Teil der Öffentlichkeit verkörpert die Bank hingegen vieles, das verteufelt wird. Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz?

Wolfgang Fink: Bei unseren Klienten und in der eigenen Branche war die Marke immer sehr stark, einfach, weil man uns kennt und unseren Service schätzt. Deshalb hatten wir früher auch nie das Bedürfnis, in der Öffentlichkeit zu stehen. Die große Wende kam mit der Finanzkrise. Da wurde auf einmal gefragt, was sich hinter dem Partner-Modell verbirgt oder wie das Geschäft so profitabel sein kann. Für uns ging es auch darum, Goldman Sachs zu demystifizieren. Meines Erachtens wird die Debatte über die Rolle der Banken in der Finanzkrise heute viel sachlicher geführt.

Wie hat sich Ihr Geschäft verändert, gerade durch die Krise?

Ziel nach der Krise war ja, das globale Finanzsystem dauerhaft zu stabilisieren. Heute bewegen wir uns innerhalb eines strengen Regelwerks, das an der ein oder anderen Stelle vielleicht sogar zu restriktiv ist. Vor allem dann, wenn es die Bereitstellung von Kapital für wirtschaftliches Wachstum erschwert und wir unsere Aufgabe nicht mehr erfüllen können. Was sich ebenfalls geändert hat ist, dass wir mit der Erfahrung aus der Finanzkrise viel genauer schauen, welche Auswirkungen ein Geschäft oder eine Transaktion haben könnte.

Der Spitzname „Government Sachs“ kommt aber nicht von ungefähr: Es finden sich viele Ex-Goldman-Mitarbeiter in sehr einflussreichen Politfunktionen wieder.

Wir finden es positiv, wenn sich Mitarbeiter politisch oder gesellschaftlich engagieren. Das hat gerade in den USA eine lange Tradition. Umgekehrt stellt eine Ausbildung bei Goldman Sachs eine gute Referenz dar, nicht zuletzt weil wir uns in vielen Regionen und Kulturen bewegen. Und Sie können sicher sein: Selbst wenn ein Lebenslauf fünf oder mehr Berufsstationen aufweist, wird diese eine rausgepickt.

Selektive Wahrnehmung also?

Für die Bank sehe ich da zumindest keinen Vorteil, eher das Gegenteil. Manchmal kann es für unsere Wettbewerber einfacher sein, einen früheren Mitarbeiter von Goldman Sachs beispielsweise zu einer Konferenz einzuladen als für uns.

Auf Ihrer Webseite liest man sinngemäß Dinge wie: „Goldman bleibt man ein Leben lang verbunden“. Klingt schon wie eine Hand wäscht die andere.

Ist aber nicht so. Richtig ist, dass die Verbundenheit zu Goldman Sachs sehr groß ist, auch wenn man nicht mehr für die Firma arbeitet. Das liegt vor allem an der Kultur, die sehr prägend ist. Unsere Mitarbeiter sind unsere wichtigste Ressource und hoffentlich bleibt eine positive Erinnerung bei jenen zurück, die das Unternehmen verlassen. Was danach kommt, kann man nicht vorhersehen. Natürlich auch nicht, dass unser COO (Chief Operating Officer) Gary Cohn Wirtschaftsberater im Weißen Haus bei Präsident Trump wird, der in seinem Wahlkampf die Wall Street eher negativ charakterisiert hat.

Wie erklären Sie sich den „Trump Bump“? Auch die Goldman-Aktie hatte seit der Wahl kräftig an Wert gewonnen.

Dahinter stand die Erwartung, dass durch Steuerreform und Infrastrukturprogramme, die Gewinne sprudeln würden. Und auch die Erwartung, dass die Regulierung gelockert wird, hat sich in Kursgewinne umgesetzt. Der Markt war Ende 2016 äußerst optimistisch, ist aber mittlerweile weniger euphorisch, weil solche Veränderungen eben doch ihre Zeit brauchen.

Was versprechen Sie sich eigentlich von den Änderungen bei der Banken-Regulierung?

Es wird schwierig werden, die Regelwerke zu verändern. Dazu bedarf es Stimmen von republikanischen und demokratischen Abgeordneten, die vielleicht nicht unbedingt ein Interesse haben, der Wall Street Erleichterungen zu gewähren. Die Regulierung ist heute fester Bestandteil unseres Geschäfts – sie hat die Banken krisenfester gemacht. Unser Haus ist aber dafür, dass überprüft wird, was funktioniert und was nicht.

Kommt man da nicht in gefährliches Terrain? Die Krise ist vor zehn Jahren ausgebrochen. Sie ist bis heute nicht überwunden, jetzt lockert man die Zügel schon wieder?

Das Problem ist nicht, dass unerwünschte Nebenwirkungen der Regulierung eventuell beseitigt werden. Ich gebe Ihnen aber Recht, dass es nach wie vor ungelöste Probleme gibt. In den USA wurde ein radikaler Ansatz verfolgt: Die Bilanzen wurden von Altlasten befreit, es gab eine große Rekapitalisierung, am Ende haben die Aktionäre einige Verluste hingenommen. In Europa ist das nicht immer passiert. Jeder Konsument will eine gesunde Bank – dazu muss aber eine Restrukturierung möglich sein. Es wird zudem Zusammenschlüsse geben müssen, damit die Banken leistungsfähiger werden. Diese Debatte muss in Europa offen geführt werden.

Altlasten müssten auch für die Bankenunion der EU bereinigt werden. Nur: Wie kommt man dort hin?

Gemeinsam mit dem privaten Sektor müssen Lösungen gefunden werden, um die Auslagerung notleidender Portfolien zu ermöglichen. In Europa passiert meist erst etwas, wenn es eng wird – siehe Italien. Vor einer nationalen oder internationalen Konsolidierung müssen die Bilanzen natürlich aufgeräumt werden. Niemand kann seinem Eigentümer erklären, dass er eine Bank ohne nachhaltiges Geschäftsmodell übernimmt.

Brexit-Horrorszenarien scheinen bisher ausgeblieben zu sein. Alles halb so schlimm?

Wir hatten ja bisher auch noch keinen Brexit, der kommt erst.

Wie bereitet sich Goldman darauf vor?

Uns geht es darum, dass wir unsere Kunden lückenlos bedienen können. Dazu müssen wir Vorkehrungen treffen, das ist klar – aber wir schütten das Kind nicht mit dem Bade aus. Es gibt Szenarien für jedes Geschäftsfeld - je nachdem, wie hart der Brexit ausfällt. Es werden nicht tausende Mitarbeiter in eine Stadt auf dem Kontinent übersiedeln, sondern eher einige hundert in verschiedene Regionalbüros. Die Konzentration auf London war und ist aus verschiedenen Gründen effizient. Allerdings haben wir in Europa mehr politische Risiken, als wir vor ein paar Jahren gedacht hätten.

Goldman Sachs: Es war einmal eine verschwiegene Bank
Interview mit Wolfgang Fink, Geschäftsführer von Goldman Sachs Deutschland, am 26.04.2017 in Wien

Welche Rolle wird London künftig noch spielen?

London bleibt der wichtigste Finanzplatz in Europa. Goldman hat schon jetzt wichtige Standorte in Frankfurt und Paris, wir haben aber auch in anderen europäischen Ländern Büros.

Manche Investmentbanker hoffen auf geringere Steuern oder gelockerte Regeln. Erwarten Sie Vorteile aus dem Brexit?

London und Großbritannien werden neue Geschäftsmodelle entwickeln müssen, um den Standort attraktiv zu halten. Eine Senkung von Steuersätzen alleine wird dabei nicht reichen, einmal abgesehen von der Diskussion dazu mit den EU27-Staaten. Die Verlagerung von Jobs auf den Kontinent kann meiner Ansicht nach dort auch interessante „Zweitrundeneffekte“ auslösen. Wenn ich Expertise an einem Standort bündle, ziehe ich neues Geschäft an. Allerdings bringt der Brexit für unsere Branche zuerst einmal mehr Kosten.

Wien hatte überlegt, sich um die Bankenaufsicht EBA zu bewerben, es dann aber doch nicht getan. Gibt es irgendetwas, das für den Bankenplatz sprechen würde?

Als ich für Goldman das Geschäft in Moskau mit aufgebaut habe, war ich beeindruckt – österreichische Banken lagen beim lokalen Know-how und innovativen Spirit weit vorne. Im Osteuropa-Geschäft sind österreichische Unternehmen und auch der Standort Wien traditionell stark. Allerdings spielt dies für die Standortwahl für die EBA vermutlich eine geringere Rolle. Als Konferenzstandort ist Wien ohnehin hervorragend.

Wie betrifft die Digitalisierung Goldman Sachs?

Weit mehr als ein Drittel unserer Berufseinsteiger hat mittlerweile einen IT-nahen Abschluss. Dabei ist nicht nur unser Handelsgeschäft sehr stark von der Automatisierung getrieben. Wir erschließen uns auch neue Bereiche, die wir in der alten Welt gescheut hätten – etwa mit der digitalen Finanzierungsplattform Marcus. Selbst das Beratungsgeschäft ändert sich. In meinen frühen Jahren war ein Aktienkurschart ein besonderer Service. Heute hat das jeder in Sekundenbruchteilen auf dem Smartphone. Und im Beratungsgeschäft ist der Wandel der Geschäftsmodelle ein Riesenthema für unsere Kunden – aus jeder Branche.

Über Investmentbanken heißt es: „Zehn Jahre arbeiten bis zum Umfallen, dafür hat man ausgesorgt.“ Gerücht oder Faktum?

(lacht) Also ich habe seit 24 Jahren einen Arbeitgeber, das ist Goldman. Es ist sicher ein arbeitsintensiver Job und meist wird auf ein konkretes Ergebnis oder einen Abschluss hingearbeitet. Aber man muss junge Mitarbeiter ab und zu auch vor sich selbst schützen. Ich sage immer: „Das ist ein Marathon, da kommt’s nicht auf den ersten Kilometer an.“

Stimmt es, dass für Praktikanten ein Arbeitsverbot am Wochenende gilt?

Das gilt nicht nur für Praktikanten, sondern für alle unserer jungen Mitarbeiter. Wir wollen signalisieren: "Am Wochenende wird nicht gearbeitet - und wenn das doch der Fall sein sollte, dann nur, wenn der Manager auch zugestimmt hat.“ Wir kontrollieren dann, ob die Arbeit am Wochenende auch unbedingt erforderlich ist.

Wie ist das hohe Arbeitspensum mit den auch in Deutschland recht strengen Arbeitsgesetzen vereinbar?

Selbstverständlich halten wir uns an die Vorgaben des deutschen Arbeitsrechts. Allerdings muss unseren Mitarbeitern auch klar sein, dass wir kein Schaltergeschäft betreiben, das geregelte Arbeitszeiten mit sich bringt. Das gilt für alle unsere Bereiche, sei es nun das klassische Investmentbanking, das Wertpapierhandelsbeschäft, die Vermögensverwaltung oder das Asset Management. Überall gilt: Wenn der Klient uns wirklich braucht, stehen wir bereit.

Und? Hat man nach zehn Jahren finanziell ausgesorgt?

Das würde ich ins Reich der Märchen und Sagen verbannen. Gerade in den Anfängen des Geschäfts in den USA und in Europa wurde gut verdient, durch Privatisierungen, Dotcom- und danach den Finanzierungsboom. Aber das ist heute Geschichte.

Wie sieht es denn heute aus?

Ich finde es positiv, dass sich die Finanzindustrie um mehr Nachhaltigkeit bemüht. Auch die Vergütungsmodelle sind nachhaltiger geworden. Ein Teil der Vergütung ist mit langen Haltefristen belegt oder muss bei Verfehlungen rückerstattet werden. Das ist sinnvoller, als auf eine Maximierung des Einkommens in kürzester Frist zu schielen, ohne jegliche weitere Perspektive.

Kommen hoch qualifizierte Uniabsolventen denn überhaupt noch zu Ihnen?

Natürlich hatten wir während und unmittelbar nach der Finanzkrise einen zum Teil starken Rückgang der Bewerberzahlen. Das hat sich aber schnell geändert und die Bewerberzahlen sind wieder auf und über das Niveau vor der Krise angestiegen.

Irgendwas zwischen Unternehmensberatung, Wirtschaftsprüfung und Öffentlichkeitsarbeit? Was Investmentbanking genau sein soll, war Anfang der 1990er in Europa noch weitgehend unbekannt. Wie dieses Geschäft in den USA abläuft, hörte Wolfgang Fink als Student erstmals an der Wirtschaftsuniversität Wien. Und zwar bei einem Vortrag des Oberösterreichers Paul Achleitner: Der heutige Deutsche-Bank-Chefaufseher arbeitete nämlich selbst von 1988 bis 1999 bei Goldman und war ein Pionier in dem neuartigen Business.

Die Wege sollten sich später noch einmal kreuzen, denn Fink selbst trat 1993 in das Goldman-Sachs-Beratungsgeschäft in London ein. Danach baute er die Investmentbank in Russland und Osteuropa auf. Seit 2004 ist er Managing Director, seit 2008 Partner bei Goldman Sachs.

2014 wurde der Experte für Übernahmen und Fusionen schließlich Nachfolger des äußerst gut vernetzten GS-Deutschland-Chefs Alexander Sibelius und leitet seither die Bank in Deutschland gemeinsam mit Jörg Kukies, der quasi von der anderen Seite des Investmentbanking kommt und Handels- und Wertpapierexperte ist.

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