Gefährliche Kreditbündel: "Das wird die nächste Pleitewelle"

Passende Grimasse zu jeder Börsenstimmung – sein Mienenspiel machte den Trader Dirk Müller (45) zu „Mister DAX“, dem meistfotografierten Gesicht der Frankfurter Börse. Und zum gefragten Gesprächspartner.
Börseprofi Dirk Müller warnt vor den Folgen der EZB-Maßnahmen. Dass Österreich bei der Hypo Garantien außer Kraft setzt, sieht er als Tabubruch.

KURIER: Stichwort Eurokrise: Die ärgste Panik hat sich gelegt. Sind wir schon durch?

Dirk Müller: Gegenfrage: Wenn wir das Gröbste hinter uns hätten, müsste dann die Europäische Zentralbank zu Notmaßnahmen und einmaligen Experimenten wie Negativzinsen greifen?

"Wir sind nicht mehr im Notfallmodus": Das behauptet zumindest der französische EZB-Direktor Benoît Cœuré ...

(lacht) Also, ich wüsste nicht, wie man Negativzinsen sonst bezeichnen soll. Dass Spanien, Portugal, sogar Griechenland und womöglich Zypern billiger zu Geld kommen, hat doch nichts damit zu tun, dass wir Investoren diesen Ländern vertrauen. Der Tenor ist: Portugals Finanzen trauen wir nicht weiter, als eine Ratte spucken kann, aber EZB-Chef Mario Draghi wird’s im Zweifel schon richten. Die Schulden der Länder sind jetzt sogar höher als vor der Krise. Warum sollten sie sich diese nun leisten können, wo die Wirtschaftsleistung geringer ist? Die Situation hat sich dramatisch verschlechtert, nicht verbessert.

Sind die EZB-Maßnahmen dann völlig sinnlos?

Gefährliche Kreditbündel: "Das wird die nächste Pleitewelle"
Für die Realwirtschaft haben die niedrigen Zinsen keinen Effekt. Was nützt mir als Bank das billige Geld – wem soll ich es denn als Kredit geben? Den 25 Prozent arbeitslosen Spaniern? Den nächsten 25 Prozent, deren Job gefährdet ist? Oder den Unternehmen, die ihre Produkte jetzt schon nicht mehr verkaufen? Das Geld sehe ich doch nie wieder. Etwas anderes ist es, wenn mir jemand den Schaden ersetzt. Darüber denkt die EZB jetzt nach, indem sie Asset Backed Securities(Kreditbündel, Anm.)kaufen will. Also genau das, was uns in Amerika die Immobilienkrise eingebrockt hat.

Welche Folgen hätte das?

Die EZB will, dass die Banken Kredite raushauen wie blöd, indem sie diese Verträge bündeln und an die EZB weiterreichen können. Das würde eine unglaubliche Blase von bonitätsschwachen Krediten aufbauen. Unter Umständen kurbelt das die Wirtschaft tatsächlich an – aber die nächste Pleitewelle steht dann vor der Tür. Das würde nur neue Blasen aufziehen und das Problem kommt dann in zehn Jahren noch heftiger zurück.

Das dicke Ende steht Europa also erst noch bevor?

Also, das Wachstum in Griechenland können wir abschreiben. Der Primärüberschuss im Budget ist nichts, was zu feiern wäre – und nur mit Hütchenspieler-Tricks zustande gekommen. In Spanien zieht die Wirtschaft an, aber das liegt an einem 6-Milliarden-Euro-Konjunkturpaket, etwa mit Sonderprämien für den Autokauf. Also wieder neue Kredite des Staates. Das ist der falsche Weg.

Was würde die Wirtschaft wirklich in Gang bringen?

Wir brauchen in Europa dringend Investitionen in Infrastruktur: Schiene, Straße, Telekommunikation, Serverfarmen, Energiewende – in allen Bereichen. Allein Deutschlands private Haushalte haben 5,2 Billionen Euro Geldvermögen. Die wissen nicht wohin damit. Warum sollen sie sich nicht an neuen Kraftwerken, Windparks oder Serverknoten beteiligen? Das könnte mit Garantien der Staaten oder Bürgschaften der EZB organisiert werden. Dann hätten wir den Boom, den wir brauchen.

Sie arbeiten seit 20 Jahren als Börsenhändler. 1994 lag der Frankfurter Index, der DAX, bei 2000, heute bei 10.000 Punkten. Was sagt "Mr. DAX" dazu?

So viel hat sich da gar nicht getan. Dieser DAX ist eine Mogelpackung, weil er der einzige Index ist, in den Dividenden eingerechnet sind. Sonst wären wir bei 5120 Punkten. Die Volkswagen-Aktie kostet derzeit knapp 200 Euro – und das bei 20 Euro Gewinn pro Aktie. Der zehnfache Jahresgewinn: das ist noch nicht teuer oder überbewertet. Auch US-Standardaktien wie IBM, Cisco oder Apple sind fair bewertet. Übertreibungen gibt es in gehypten Technologieaktien wie Facebook, Twitter oder bis vor Kurzem 3-D-Drucker.

Ist die DAX-Marke von 10.000 also völlig irrelevant?

Es bringt Aufmerksamkeit. Für uns Börseprofis ist die Zahl so magisch wie die 9432. Wenn Ihr Auto 10.000 Kilometer erreicht hat, machen Sie auch keinen Veitstanz, oder? Für den Markt spielt nur eine Rolle, dass oft Wetten auf solche runden Zahlen platziert sind.

Die Österreicher sind sehr konservative Sparer. Welche Rolle sollten da Aktien spielen?

Aufs Sparbuch erhalten Sie keine Zinsen mehr. Der Anleger kommt längerfristig an Aktien nicht vorbei. Erfolgreiche Börseunternehmen schütten 2,5 bis 3 Prozent als Dividende aus. Der Rest des Gewinns geht auch nicht verloren, den investiert das Unternehmen und verdient nächstes Jahr ein bisschen mehr. Auf eine spanische Staatsanleihe bekomme ich derzeit weniger als 3 Prozent. Dass VW in den nächsten zehn Jahren pleite geht, würde ich ausschließen – bei Spanien bin ich mir nicht völlig sicher. Natürlich kann es bei Aktien jederzeit einen heftigen Kursrutsch geben. Aber das weiß eben niemand. Was ich mache: Ich versichere meine Aktien gegen Kurseinbrüche.

Was kostet das?

Das kostet mich aktuell übers Jahr etwa drei Prozent; ungefähr das, was ich als Dividende bekomme. Bei Kursgewinnen bin ich voll mit dabei. Bricht es nach unten weg, bekomme ich den Schaden ersetzt. Bewegt sich nichts, habe ich die Versicherungsprämie umsonst bezahlt. Aber bei meinem Haus habe ich auch eine Feuerversicherung und bin jedes Jahr froh, wenn es nicht abgebrannt ist.

Bares, Rohstoffe, Anleihen: Was sollte ein Anleger noch in den Korb legen?

An erster Stelle steht, dass man keine Schulden hat, also offene Kredite zurückbezahlt. Dann brauch ich ausreichend Bares, um einige Monate überbrücken oder die kaputte Waschmaschine ersetzen zu können. Das habe ich auf dem Tagesgeldkonto. Physisches Edelmetall – Gold, Silber – gehört für mich in jeden Haushalt, je nach Gusto 10, 15 oder 20 Prozent des Anlagevermögens. Es ist einfach ein gutes Gefühl, zu wissen: Ich besitze etwas, das nie wertlos wird. Von Staatsanleihen halte ich mich derzeit komplett fern, von Unternehmensanleihen auch. Abenteuerliche Geschichten wie Genussrechte oder den grauen Kapitalmarkt sollten Anleger vergessen. Da tummeln sich viele schwarze Schafe.

Kredite zurückzahlen? Die sind doch derzeit günstig wie nie.

Aber mit Risiken: Viele gehen an ihre Belastungsgrenze, damit das Haus noch größer und schöner wird. Was, wenn in zehn Jahren die Zinsbindung ausläuft? Wenn die Zinsen statt ein Prozent dann sieben oder zehn Prozent ausmachen? Bin ich sicher, dass ich meinen Job noch habe? Selbst wenn mich ein Kredit nur drei Prozent kostet: Wenn ich ihn tilge, muss ich die nicht zahlen. Drei Prozent, nach Steuern, ohne Risiko: Wo kriege ich das sonst? Es gibt keine sinnvollere Geldanlage.

Österreich will Inhaber einer landesgarantierten Hypo-Kärnten-Anleihe enteignen: Spiel mit dem Feuer oder halb so wild?

Es ist ein Tabubruch, schriftlich gegebene Garantien per späterem Gesetz außer Kraft zu setzen. Die wichtigste Grundlage einer erfolgreichen Volkswirtschaft ist die Rechts- und Vertragssicherheit. Wenn diese hier ausgehebelt wird, fragt jeder Investor zu recht: Wo noch? Es sollte aber für Anleger ein Warnsignal sein, was solche Garantien im Zweifel wert sind – nicht nur in Österreich.

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