Europäische Mega-Börse steht vor dem Aus
Die Aktien der Deutsche Börse sind am Montag im Frühhandel der größte Verlierer: Mit einem Minus von mehr als vier Prozent reihen sie sich ganz am Ende der Kurstafel ein. Der Grund: Der von langer Hand geplante Zusammenschluss der Deutschen Börse mit der London Stock Exchange (LSE) steht vor dem Aus.
Zu strenge Auflagen
Hintergrund ist die Weigerung des Londoner Börsenbetreibers, den Mehrheitsanteil an der italienischen Anleihen-Handelsplattform MTS zu veräußern. Diesen Schritt verlangen die EU-Wettbewerbshüter. „Angesichts der bisherigen Haltung der Kommission geht die London Stock Exchange Group nicht davon aus, dass die Kommission die Fusion genehmigen wird“, erklärten die Londoner in der Nacht zum Montag.
EU-Kommission: "Kein Kommentar"
Die EU-Wettbewerbshüter wollten sich am Montag nicht äußern: Die EU-Kommission habe noch keine Entscheidung zur Fusion getroffen. Die Frist bis zu einem Beschluss laufe nach wie vor bis zum 3. April, sagte ein Sprecher in Brüssel. Und zur laufenden Prüfung gebe man keinen Kommentar ab.
Deutsche Börse und LSE wollen den größten europäischen Börsenbetreiber schmieden. Brüssel hatte Ende September eine vertiefte Prüfung des geplanten Zusammenschlusses eingeleitet. Die EU-Behörde hatte unter anderem die Sorge, dass durch die Zusammenlegung der Clearinghäuser der beteiligten Unternehmen etwa bei Anleihegeschäften der Wettbewerb ausgeschaltet werden könnte. Die Clearingstellen sind zwischen den Vertragsparteien einer Transaktion angesiedelt und übernehmen das gegenseitige Ausfallrisiko.
Wenig Vertrauen
Die LSE begründete ihre ablehnende Haltung zu einem Verkauf ihrer Italien-Tochter in erster Linie mit einem drohenden Vertrauensverlust gegenüber den italienischen Aufsichtsbehörden. MTS spiele eine wichtige Rolle beim Handel mit italienischen Staatsanleihen, führte die LSE aus: „Auch wenn MTS selbst nicht in großem Maße zum Konzernumsatz beiträgt, so kommt aus dem gesamten Italien-Geschäft ein bedeutender Teil von Umsatz und Gewinn der LSE-Gruppe.“
Zudem rechnen die Londoner mit einem komplizierten Verkaufsverfahren, bei dem auch die Behörden in Großbritannien, Belgien, Frankreich und den USA eingebunden werden müssten. „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein Verkauf von MTS in zufriedenstellendem Maße erreicht werden kann“, lautet das Fazit der Londoner Börse.
Entscheidung bis Ende März
„Die Parteien sehen der weiteren Prüfung der Europäischen Kommission entgegen“, teilte die Deutsche Börse mit. Eine Entscheidung werde bis Ende März erwartet. Bis Ende Juni sollte der Zusammenschluss eigentlich komplett abgeschlossen sein.
Doch in den vergangenen Wochen und Monaten wurden die Zweifel immer größer: Neben der EU-Kommission muss auch die hessische Börsenaufsicht dem Deal zustimmen. Für Kritik sorgt am Finanzplatz Frankfurt vor allem, dass die beiden Konzerne London als rechtlichen Sitz der Dachgesellschaft vereinbart haben. Bei einem EU-Austritt der Briten (Brexit) wäre dieser dann außerhalb der Europäischen Union.
Ermittlungen gegen Deutsche-Börse-Chef
Überschattet wird das Fusionsvorhaben zudem von Ermittlungen gegen Deutsche-Börse-Chef Carsten Kengeter wegen des Verdachts auf Insiderhandel. Der Manager hatte am 14. Dezember 2015 im Rahmen eines Vergütungsprogramms Deutsche-Börse-Anteile im Wert von 4,5 Millionen Euro gekauft. Zehn Wochen später, am 23. Februar 2016, machten die Unternehmen ihre Fusionsgespräche öffentlich.
Die Aktienkurse beider Unternehmen stiegen in der Folge deutlich. Kengeter hatte die Vorwürfe zurückgewiesen, der Aufsichtsrat hatte sich geschlossen hinter ihn gestellt.
Die neuen Probleme rund um die italienische Anleihen-Plattform MTS scheinen aktuell aber die schwerste Bürde für eine Fusion zu sein. Anleger zogen sich am Morgen aus den Aktien der Deutschen Börse zurück: Der Kurs des Dax-Konzerns fiel vorbörslich auf der Handelsplattform Tradegate gegenüber dem Xetra-Schluss um 4 Prozent.
Juli 2000
Die Deutsche Börse präsentiert einen Plan für die Gründung der iX International Exchange zusammen mit der LSE. Die beiden Partner hoffen, mit der paneuropäischen Handelsplattform weitere Börsenbetreiber mit ins Boot zu holen. Doch das Projekt scheitert an mangelnder Unterstützung.
Sommer 2003
Der damalige Deutsche-Börse-Boss Werner Seifert trifft sich mit Euronext-Chef Francois Theodore. Aber die Gespräche über eine Fusion werden beendet, weil sich beide Seiten nicht über die Bewertung ihrer Häuser einig werden.
Frühling 2004
Seifert und Theodore nehmen ein weiteres Mal Kontakt auf. Ein Zwist über die Besetzung der Führungspositionen lässt sie jedoch abermals ergebnislos auseinandergehen.
August 2004
Die Schweizer Börse SWX lehnt Pläne der Deutschen Börse für eine Fusion, faktisch eine Übernahme, ab.
Dezember 2004
Die Deutsche Börse veröffentlicht ein Übernahmeangebot für die LSE über knapp zwei Milliarden Euro. Der Deal scheitert 2005 am Widerstand des Hedgefonds TCI, der damals maßgeblich an der Deutschen Börse beteiligt ist.
Februar 2006
Der neue Börsenchef Reto Francioni legt ein vorläufiges Fusionsangebot für die Pariser Euronext vor und löst damit Konsolidierungsfieber in der Branche aus. Später dient er Euronext-Chef Theodore die Führung der vereinten Börse an, besteht allerdings auf Frankfurt als Hauptsitz. Auch der Großteil des Managements sollte am Main angesiedelt sein.
Juni 2006
Die Deutsche Börse unterbreitet der Euronext einen überarbeiteten Fusionsvorschlag. Die Frankfurter geben in der Hauptquartiersfrage nach, doch der Vorstoß kommt zu spät: Die Euronext schließt sich mit der NYSE zusammen.
Dezember 2008
Deutsche Börse und NYSE Euronext loten eine Fusion aus. Die Pläne werden vorzeitig bekannt und scheitern.
April 2011
Die Deutsche Börse wagt einen weiteren Versuch, um durch eine Fusion mit der Nyse Euronext eine neue Größenordnung zu erreichen. Doch im Februar 2012 platzt der Fusionstraum erneut. Die EU-Wettbewerbshüter untersagen den Milliardendeal, weil sie ein Monopol der fusionierten Börse im Handel mit europäischen Finanzderivaten fürchten. Später wird die Nyse vom US-Konkurrenten ICE geschluckt.
Februar 2016
Der neue Deutsche-Börse-Chef Carsten Kengeter strebt einen „Zusammenschluss unter Gleichen“ mit den LSE an. Kengeter will die europäische Mega-Börse, deren Holding in London angesiedet werden soll, selbst führen. Doch nach dem Brexit-Votum nehmen die Forderungen zu, den Holdingsitz nach Frankfurt zu verlagern. Im Februar 2017 erklärt die LSE, eine Forderung der EU-Kommission zur Freigabe der Fusion nicht zu erfüllen. Eine Genehmigung der europäischen Börsenhochzeit durch die EU sei somit unwahrscheinlich.
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