EU will neue Regeln gegen Lohn- und Sozialdumping

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Entsenderichtlinie von 1996 soll reformiert werden: EU-Ausländer sollen künftig grundsätzlich genauso entlohnt werden wie einheimische Arbeitnehmer. Die EU-Sozialminister bekannten sich demonstrativ zu sozialen Rechten in Europa.

Die Arbeits- und Sozialminister der EU haben am Montag versucht, eine Einigung bei der umstrittenen Reform der Richtlinie zur Entsendung von Arbeitnehmern zu erzielen. Arbeits- und Sozialkommissarin Marianne Thyssen sagte in Luxemburg, sie sei "sehr zuversichtlich, dass es einen Durchbruch geben kann". Allerdings stecke "der Teufel im Detail".

Die deutsche Arbeitsministerin Katarina Barley (SPD) zeigte sich beim Startdatum der Reform kompromissbereit, forderte aber die volle Geltung der neuen Richtlinie auch für das Speditionsgewerbe. Nach der ursprünglichen EU-Richtlinie von 1996 kann eine Firma ihre Angestellten befristet zur Arbeit in andere Länder schicken und dabei weiter Sozialabgaben wie im Heimatland zahlen. Gezahlt werden muss dabei auf jeden Fall der Mindestlohn im Zielland.

Die Osterweiterung der EU hat dazu geführt, dass Firmen aus Polen und anderen osteuropäischen Länder diese Regelung intensiv nutzen. Frankreich und andere westliche EU-Staaten sehen darin eine Wurzel von Lohn- und Sozialdumping. Die Osteuropäer wollen dagegen möglichst wenig ändern. Die EU-Kommission hatte vor zehn Monaten einen Reformvorschlag vorgelegt. Sie will, dass künftig für die entsandten Arbeitnehmer im Prinzip dieselben Regeln gelten wie für Mitarbeiter vor Ort. Gezahlt werden müssten damit auch Zusatzzahlungen wie Schlechtwettergeld, Erschwerniszulagen oder auch ein 13. Monatsgehalt.

Drei Konfliktfelder

Umstritten in den Verhandlungen sind insbesondere drei Punkte: die Dauer der Entsendung, das Datum für den Start der Reform und die Frage der Einbindung des Speditionsgewerbes.

Bei der Dauer hatte die EU-Kommission 24 Monate vorgeschlagen, Deutschland und Frankreich wollen die Entsendungen auf zwölf Monate begrenzen. Beim Startdatum verlangt Paris zwei Jahre nach Annahme, die Osteuropäer fünf Jahre. Deutschland unterstützt bisher wie im Kommissionsvorschlag drei Jahre, könnte sich laut Barley aber auch zwei Jahre vorstellen, um einen Kompromiss zu ermöglichen.

Beim Speditionsgewerbe sorgen sich nicht nur osteuropäische Staaten um die Auswirkung auf ihre Lkw-Fahrer; auch Spanien und Portugal fürchten hier Nachteile. Hier geht es um die sogenannte Kabotage, bei der ein ausländisches Unternehmen eine Lieferleistung komplett innerhalb eines anderen Landes erbringt.

Sozialkommissarin Thyssen sagte, sie sei für die Arbeitnehmerfreiheit im Binnenmarkt. Dieser dürfe aber "kein Dschungel" werden. Deshalb brauche es "klare, durchsetzbare und faire Regeln". Thyssen stellte sich auf eine lange Sitzung ein: "Ich bin bereit, so lange zu bleiben wie nötig - und sei es die ganze Nacht."

EU-Erklärung für soziale Rechte

Die EU-Staaten haben sich am Montag in Luxemburg außerdem hinter eine allgemeine Erklärung sozialer Rechte in Europa gestellt. Dies teilte EU-Kommissarin Marianne Thyssen nach ersten Gesprächen der EU-Sozialminister in Luxemburg mit. "Ein starkes Signal, dass wir die Bürger an erste Stelle stellen", schrieb Thyssen auf Twitter.

Die sogenannte Europäische Säule sozialer Rechte soll am 17. November bei einem EU-Gipfel in Göteborg unterzeichnet werden. Die gemeinsame Erklärung hatte die EU-Kommission im April vorgeschlagen. In drei Kapiteln und 20 Punkten werden darin soziale Rechte der Europäer aufgeführt: Bildung, Gleichberechtigung, Chancengleichheit, Unterstützung bei der Arbeitssuche, faire Löhne, Sozialleistungen. Viele dieser Rechte gelten vielerorts schon heute, sie sollen aber noch einmal ausdrücklich festgeschrieben werden. Ziel ist eine Angleichung der Wirtschafts- und Lebensverhältnisse in ganz Europa.

Für westliche Unternehmen erledigen sie preiswert Aufträge, für ihre Heimatländer sind sie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Doch Gewerkschafter kritisieren "Ausbeutung" ausländischer Beschäftigter und Sozialdumping auf dem heimischen Arbeitsmarkt. Auf EU-Ebene sollen nun die Regeln verschärft werden, um Arbeitnehmer besser zu schützen. Im Mittelpunkt steht das Grundprinzip: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Nach monatelangem Streit könnten sich die Sozialminister aus Deutschland und den übrigen EU-Ländern am Montag auf eine Reform der sogenannten Entsenderichtlinie einigen - wenn es ihnen gelingt, letzte Stolpersteine aus dem Weg zu räumen.

Worum geht es?

Grundsätzlich darf jeder in der EU arbeiten, wo er will, und Firmen dürfen überall ihre Dienstleistungen anbieten. Das gilt als wichtige Errungenschaft im gemeinsamen Binnenmarkt. Eine Baufirma aus Kroatien darf also ohne weiteres einen Auftrag in Österreich ausführen und dafür Mitarbeiter dorthin schicken. In der gesamten EU gab es 2015 nach offiziellen Angaben 2,05 Millionen entsandte Arbeitnehmer - 41,3 Prozent mehr als 2010.

Wo liegt das Problem?

Wirtschaftskraft, Sozialstandards und Löhne in den EU-Ländern sind sehr unterschiedlich. So lagen die Arbeitskosten - also Lohn und Nebenkosten - pro Stunde 2016 in Dänemark bei 42 Euro. In Bulgarien waren es 4,40 Euro. Das Gefälle birgt Konfliktpotenzial, weil Firmen aus Ländern mit geringen Löhnen und Sozialbeiträgen die Preise für Dienstleistungen in wohlhabenden Staaten unterbieten können.

Die EU-Entsenderichtlinie von 1996 sollte gegensteuern. Sie schreibt vor, dass Mindestlöhne im Aufnahmeland auch für entsandte Arbeitnehmer gelten - ebenso wie ein Mindesturlaubsanspruch und Standards für Höchstarbeitszeiten, Sicherheit und Gesundheitsschutz. Ein Kostenvorteil bleibt aber in jedem Fall: Sozialversichert sind die Mitarbeiter meist sehr preiswert im Heimatland.

Wieso eine Reform?

Gewerkschafter halten das 20 Jahre alte Regelwerk für völlig unzureichend. Eine Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung spricht vom "Geschäftsmodell Ausbeutung" in einzelnen Branchen, darunter Pflege, Bau, Schlachthöfe und Transportgewerbe. So würden teils Mindestlohnsätze untergraben, weil den Beschäftigten Reisekosten oder überteuerte Mieten abgezogen würden. Überlange Arbeitszeiten würden verlangt, aber nicht bezahlt. Standards beim Gesundheitsschutz würden missachtet. Die Studie beschreibt teils kriminelle Machenschaften, die mit der Entsendung nicht unbedingt zu tun haben. Kritiker machen aber Schlupflöcher in den Regeln und mangelnde Kontrolle mitverantwortlich.

Was soll die Reform bringen?

Unterm Strich verdienen entsandte Arbeitnehmer nach Angaben der EU-Kommission bisweilen nur die Hälfte der Entgelte von einheimischen Kollegen. Dies will die Kommission angehen: Künftig sollen für Entsandte und Einheimische grundsätzlich die gleichen Regeln zur Vergütung gelten. Also nicht mehr nur Mindestlohn, sondern auch Gehaltsbestandteile wie Weihnachtsgeld, Prämien, Schlechtwettergeld oder Ähnliches. Ziel seien gleiche Wettbewerbsbedingungen für entsendende und lokale Unternehmen, heißt es von der Kommission.

Wo ist man sich noch uneins?

Die EU-Kommission hat eine Befristung von Entsendungen auf 24 Monate vorgeschlagen. Nach Ablauf der Frist müssten sich Arbeitnehmer dann im Aufnahmeland sozialversichern. Frankreich will nur zwölf Monate, was Deutschland mitträgt. Erwogen wird auch, das Transportgewerbe vorerst auszuklammern.

Die östlichen EU-Länder sehen die ganze Reform sehr skeptisch. Auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände findet: "Die Regeln zur Entsendung sollten nicht verschärft werden. Sie sind für Unternehmen und Arbeitnehmer so gut, wie sie sind." Der Entwurf der EU-Kommission sei inakzeptabel und hochbürokratisch.

Wie geht es weiter?

Sollten sich die EU-Sozialminister am Montag einigen, stehen Verhandlungen mit dem Europaparlament an, das einen eigenen Entwurf erarbeitet hat.

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