EU-Japan: Der fast unbemerkte Mega-Pakt

Japan-Pakt sorgt für viel weniger Aufregung als das Kanada-Abkommen CETA – obwohl das Volumen doppelt so groß ist. EU-Bauern zählen hier einmal zu den Gewinnern.

Die Handelsverträge mit den USA und KanadaTTIP und CETA – sorgten monatelang für Schlagzeilen und heftige Debatten. Dass die EU mit Japan ihr bis dato größtes Abkommen finalisiert hat, ging hingegen fast ohne Nebengeräusche über die Bühne. Warum? Weil das Lohnniveau, Sicherheits-, Umweltstandards und die Mentalität ähnlich seien, vermutet eine japanisch-europäische Expertenrunde im KURIER-Gespräch.

KURIER: Momentan wird mehr über eine Abschottung als über die Öffnung des Handels diskutiert. Warum verfolgt Japan keine „Japan zuerst“-Politik?

Takashi Teraoka (Botschaftsrat der japanischen Vertretung in Österreich): Weil wir hoffen, dass das Abkommen mit der EU unsere schon jetzt sehr engen Handelsbeziehungen noch vertieft. Wir erwarten uns davon für Japan ein Prozent mehr Wachstum, das macht 290.000 Jobs aus.

Christian Burgsmüller (Handelsexperte im Kabinett von EU-Kommissarin Malmström): In der EU hängen sogar 600.000 Jobs an den Exporten nach Japan. Fast ebensoviele Europäer, 550.000, sind übrigens in der EU bei japanischen Firmen angestellt – eine bemerkenswert hohe Zahl.

EU-Japan: Der fast unbemerkte Mega-Pakt
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Gibt es beim Handel nicht immer einen Gewinner und Verlierer? Klingt doch einleuchtend.

Burgsmüller: Wir sehen es so, dass der Handel wie ein Meer ist, das alle Boote hebt. Von Handelsverträgen profitieren vor allem kleine und mittlere Unternehmen. Die Großen können in interessanten Märkten ohnehin Firmen aufkaufen und Töchter eröffnen. Oder sie beschäftigen hundert Anwälte. Für einen Mittelständler, der nur um 100.000 Euro exportiert, muss es einfach gehen und darf es keine Zölle geben. Sonst lohnt es sich nicht.

Die USA haben unter Präsident Trump geplante Abkommen mit der EU (TTIP) sowie mit Japan und zehn weiteren Pazifikstaaten (TPP) abgesagt. Übernimmt Japan jetzt eine Führungsrolle?

Teraoka: Für uns ist die EU sehr wichtig, wir wollen ein Zeichen für den Freihandel setzen. Beim Vertrag mit den USA für den Asien-Pazifik-Raum muss man abwarten. Präsident Trump hat Andeutungen gemacht, die nicht ganz klar waren. Wir wären glücklich, wenn die USA mitziehen, wollen aber jedenfalls die größtmögliche Zahl an Ländern an Bord haben.

Wie ist der Zeitplan für den EU-Japan-Pakt, für JEFTA?

Burgsmüller: Im Juli 2017 gab es die politische Einigung, seit Dezember liegt der Text vor. Jetzt werden noch juristische Feinheiten durchgearbeitet. In den nächsten Monaten wollen wir den Vertrag an den Rat und das Europäische Parlament schicken und dann im Sommer unterschreiben. Das Abkommen soll jedenfalls noch in der laufenden Parlamentsperiode (bis Mai 2019, Anm.) ratifiziert werden.

Die Anwendung könnte dann frühestens ab 2019 erfolgen?

Burgsmüller: Ja.

Teraoka: Auch das japanische Parlament muss den Vertrag noch ratifizieren. Wir informieren in den Städten und besonders die ländliche Bevölkerung sehr intensiv, wie wichtig das Abkommen ist.

Wir sprechen da aber nur über den Handelsteil, was ist mit dem strittigen Investitionsabkommen?

Burgsmüller: Da sind wir noch in Verhandlungen. Wir denken aber, dass der Freihandelsteil so wichtig und reif ist, dass wir diesen vorziehen sollten. Für uns ist das Investitionsgerichtssystem, das wir im EU-Kanada-Abkommen CETA haben, der Goldstandard, hinter den wir nicht zurückgehen werden. Das alte, traditionelle ISDS (Investor-Staats-Streitbeilegung, Anm.) wird es mit der EU nicht mehr geben.

Japan will aber genau diese Schiedsgerichte. Wie könnte ein Kompromiss aussehen?

Teraoka: Das müssen die Verhandlungen zeigen. Meine Meinung ist, dass die Rechtssysteme der EU gut funktionieren. Wir haben wenige Befürchtungen, einen Investitionsstreit zu bekommen.

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Gesprächsrunde Japan, Wien 31.01.2018

Japan ist zwar ein Exportchampion, aber Teile seiner Wirtschaft sind noch sehr abgeschlossen. Wie kritisch sehen die Japaner die Öffnung gegenüber der EU?

Teraoka: Eigentlich ist Japan nicht so abgeschottet. Bei 77,3 Prozent der Industrieprodukte gibt es jetzt schon keine Zölle. Mit dem Abkommen werden es 96,2 Prozent sein. Es gibt aber auch nichttarifäre Hindernisse, da werden wir Lösungen finden. Japans Milchbauern haben berechtigte Sorgen, deshalb wurden für Milch- und Käseprodukte 16 Jahre als Übergangsfrist vereinbart.

Herr Knill, Japan ist ein Hochtechnologieland. Haben Sie keine Angst vor der starken Konkurrenz für unsere Maschinenbauer?

Christian Knill (Knill-Gruppe, WKO-Sparte Industrie): Die kurze Antwort: Nein. Der Markt ist für uns gerade deshalb interessant, weil er so hohe Anforderungen hat. Die nötige Hochtechnologie haben wir und, offen gesagt: Die Japaner zahlen für Qualität relativ hohe Preise. Schon jetzt ist es so, dass wir mehr aus Japan importieren als wir exportieren, auch unsere Branche. Das heißt, alle großen japanischen Unternehmen sind ohnehin bereits hier vertreten.

Teraoka: Wir kennen auch in Japan österreichische Produkte wie Swarovski, Rosenbauer Feuerwehrfahrzeuge, Skiprodukte oder Doppelmayr Seilbahnen sehr gut.

Satoshi Abe (Generaldirektor der japanischen Außenhandelsförderstelle JETRO Wien): AVL hat ein Forschungslabor in Japan und hilft praktisch allen Autoherstellern bei der Entwicklung. Schweißspezialist Fronius hat eine Niederlassung in Nagoya, der Heimat von Toyota. Diese Kooperationen helfen unseren Unternehmen, stärker zu werden. Das ist sehr wichtig.

Die EU-Landwirtschaft ist bei neuen Verträgen meistens mehr Druck ausgesetzt. Wie ist es in diesem Fall?

Burgsmüller: Es wird oft so dargestellt, als müsste die Agrarwirtschaft den Preis für Gewinne der Maschinen-, Chemie- oder Pharmaindustrie zahlen. Beim Japan-Abkommen können wir aber unseren Bauern stolz sagen: „Da werdet ihr auch gewinnen.“ Für 50.000 Tonnen Rindfleisch wird es einen sehr geringen Zollsatz geben, der über 14 Jahre von 38,5 Prozent auf 9 Prozent sinkt. Bei Schweinefleisch bekommen wir einen fast völlig liberalisierten Zugang.

Der Wein-Tarif sinkt vom ersten Tag an von 15 auf null Prozent, für andere alkoholische Getränke ebenfalls. Bei Hartkäse sinkt der Zollsatz über 15 Jahre auf null, für Weichkäse wurde eine Quotenregelung gefunden. Und wir haben mehr als 200 Herkunftsbezeichnungen geschützt, darunter der berühmte Tiroler Speck. Das hat die Japaner auf die Idee gebracht, die Herkunft ihrer Grünen Tees ebenfalls nach EU-Vorbild zu schützen.

EU-Japan: Der fast unbemerkte Mega-Pakt
Wine bottles imported from Australia are displayed at a supermarket in Tokyo, Japan, November 16, 2015. REUTERS/Issei Kato

Teraoka: Wir haben hochwertiges Obst, zum Beispiel Zitrusfrüchte, wo der bisherige EU-Zoll von 12,8 Prozent sofort abgeschafft wird. Sake Reiswein oder Grüner Tee sind in Österreich sehr populär geworden. Beim Grünen Tee sinkt der Satz von 3,2 Prozent auf null. Wir hoffen, dass künftig mehr österreichischer Wein nach Japan kommt. Ein gutes Beispiel ist Chile, mit dem wir seit 2007 ein Abkommen haben. Der Marktanteil chilenischer Weine ist seither von 8,8 auf 29,3 Prozent gestiegen – mehr als Frankreich. Die Japaner trinken pro Kopf mittlerweile durchschnittlich fast drei Liter Wein im Jahr. Ich war sehr erstaunt, dass die Supermarktregale für Traubenwein bereits größer sind als für Sake.

Burgsmüller: Chile hat mit fast jedem Land der Welt Abkommen geschlossen. Das eröffnet chilenischen Weinen unglaubliche Zugänge: In so ziemlich jedem Supermarkt der Welt findet man eine erstaunliche Auswahl. Argentinien hat auch guten Wein, aber nicht dieselben Abkommen. Und ob der Zollsatz 15 Prozent, 25 oder null beträgt, macht oft den entscheidenden Unterschied aus. Für unsere EU-Produzenten geht es also auch darum, wieder einen ausgeglichenes Wettbewerb zu erhalten.

Sind die teilweise sehr langen Übergangsfristen der Preis, den man dafür bezahlen muss?

Burgsmüller: Dadurch erhält die Industrie des Handelspartners Zeit, sich auf die veränderte Marktsituation vorzubereiten. Bei CETA forderten wir Übergangsfristen für Kanadas Zugang zum europäischen Rindfleischmarkt, für die Kanadier war der Käsemarkt heikel. Es gibt immer auf beiden Seiten Sensibilitäten, wo man Zugeständnisse machen muss.

Teraoka: Die EU-Automobilindustrie hebt auf japanische Autos jetzt 10 Prozent Zoll ein, das wird in einer Übergangsphase von acht Jahren gesenkt. Japan importiert europäische Autos schon jetzt ganz ohne Zoll.

Wenn die japanischen Industriezölle schon jetzt so gering sind, sind da die Vorteile aus dem Vertrag nicht minimal?

Knill: Es geht nicht nur um die Zölle, sondern sehr viel um Spezifikationen. Die japanischen Normen haben meistens wesentlich höhere Anforderungen als die europäischen. Eine Gleichstellung wird es nicht geben, aber eine Abstimmung wäre hilfreich.

Bemerkenswert. Sonst sorgen sich eher die Europäer darum, dass ihre Standards abgesenkt werden.

Knill: Ein Beispiel: Für die Armaturen, die Seile an Strommasten befestigen, hat Japan die strengsten Sicherheitsbestimmungen weltweit. Das ist grundsätzlich gut, weil wir Europäer das leichter erfüllen als chinesische Anbieter. Ein schwieriges Thema ist die Sprache. Mit Englisch kommt man in Japan oft nicht weit und bei Ausschreibungen öffentlicher Institutionen wäre eine internationale Sprache ein großer Vorteil.

Teraoka: Kulturelle Traditionen sind schwierig von heute auf morgen zu lösen. Es gibt sehr gute Japanologie-Studenten in Wien...

Burgsmüller: In Japan sind das Lohnniveau, die Sicherheits- und Umweltstandards ähnlich wie bei uns. Fast jeder isst ohne Bedenken Sushi – und was könnte gefährlicher sein, als roher Fisch? An meinen Kindern sehe ich, welche „soft power“ Japan obendrein mit seinen Mangas und Pokemon besitzt.

Etwas, das sehr wohl auf Kritik stößt, sind Japans Walfang und illegale Holzimporte.

Burgsmüller: Ein Freihandelsabkommen kann nicht jedes Thema der Welt lösen. Wir haben eine andere Position, in der EU ist der Import von Walprodukten seit 35 Jahren verboten und das wird so bleiben. Wir setzen uns bei Artenschutzabkommen wie CITES immer für den Schutz der Wale ein. Die japanische Politik werden wir nicht ändern, damit muss man leben.

EU-Japan: Der fast unbemerkte Mega-Pakt
South Korean activists portraying Japanese fishermen spear a "whale" during a protest against Japan's whaling fleet going to the Antarctic to resume the slaughter of whales, near the Japanese embassy in Seoul on December 7, 2015. A Japanese whaling fleet left for the Antarctic on December 1, with environmentalists slamming the move as a "crime against nature". AFP PHOTO / JUNG YEON-JE

Teraoka: Wir respektieren die europäische Haltung. Wir bekommen eine gewisse Menge Walfang für wissenschaftliche Forschung zugestanden, haben aber keine Absicht, das Fleisch zu exportieren.

Burgsmüller: Was in der EU verboten ist, bleibt verboten. Das kann kein Freihandelsabkommen ändern. Japan hat ein neues Gesetz gegen illegales Holzfällen eingeführt, darauf hatten wir einen gewissen Einfluss. Und darauf werden wir in den Arbeitsgruppen auch achten.

Welche Rolle spielen Holzimporte überhaupt für Japan?

Teraoka: Holzprodukte sind ein großer Teil der gesamten österreichischen Exporte, fast 13 Prozent. Zum Vergleich: Fahrzeuge sind 17 Prozent. Das Volumen wird weiter steigen, denn die Zölle – je nach Produkt zwei bis sechs Prozent – werden über acht Jahre abgeschafft.

Abe: Österreich ist der fortschrittlichste Hersteller von Leimholz (cross laminated timber, CLT). Japan hat sehr hohe Anforderungen für nicht entflammbare Produkte und eine neue Regulierung erlassen. Das wird eine gute Gelegenheit für österreichische Unternehmen sein.

Teraoka: Das ist Holz, mit dem man erdbebensichere Hochhäuser bauen kann. Österreich hat in dem Bereich hohe Marktanteile und das Interesse in Japan ist groß.

Manche Kritiker finden, JEFTA sei bei Dienstleistungen nicht sehr ambitioniert ausgefallen.

Burgsmüller: Es geht immer mehr, aber unsere Unternehmen können zufrieden sein. Bei öffentlichen Aufträgen werden 48 große japanische Städte mit mehr als 300.000 Einwohnern ihre Ausschreibungen für europäischen Firmen öffnen.

Und umgekehrt?

Burgsmüller: Unser Auftragswesen ist schon sehr offen, deshalb können wir das üblicherweise nicht als Verhandlungschip einsetzen. Dafür gibt es andere Forderungen.

Jeder kennt Marken wie Honda und Toyota. Muss sich unsere Autoindustrie Sorgen machen?

Burgsmüller: Es werden natürlich mehr Autos direkt von Japan aus nach Europa kommen. Die größere Menge stellen die Japaner aber schon in Europa her, da muss man beide Seiten sehen: Zwei Drittel der japanischen Autos in Europa werden in Europa produziert, ein Drittel aus Japan oder Drittstaaten importiert.

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A man works among imported cars covered with a white cloth in a port in Yokohama, Japan May 30, 2017. REUTERS/Toru Hanai

Teraoka: Ich sehe in Wien viele Hybridautos als Taxis. Wir sind sehr glücklich, wenn wir mit dieser Übergangstechnologie oder mit Elektroautos Geld verdienen und gleichzeitig die Umweltsituation verbessern können.

Burgsmüller: Die Auto-Diskussion hatten wir ganz stark vor dem Südkorea-Abkommen: „Wir können in Europa zusperren, alle werden nur noch Koreaner fahren.“ Heute ist Europas Autoindustrie einer der größten Profiteure und hat den Export nach Südkorea deutlich gesteigert. Wir sind zuversichtlich, dass nicht nur die Europäer Lexus, sondern auch einige Japaner Mercedes fahren möchten, sodass am Ende eine Win-win-Situation entsteht.

Weil die USA ihre geplanten Abkommen mit der EU (TTIP) und mit zwölf Ländern des Pazifikraums inklusive Japan (TPP) unter Präsident Trump storniert haben, erhält das Japan-EU-Freihandelsabkommen (JEFTA) globale Signalwirkung: Die zwei Blöcke, die für gut ein Viertel der Weltwirtschaft stehen, halten am Freihandel fest.

Weil die Kritik an den Handelsverträgen im deutschsprachigen Raum besonders heftig ausfällt, hat die EU-Kommission eigene deutschsprachige Seiten dazu eingerichtet.

Info-Seite: http://redenwiruberhandel.eu/

Der Auftakt zu JEFTA erfolgte 2011, wirklich verhandelt wurde seit 2012. Im Juli 2017 gab es eine politische Einigung, seit Dezember liegt der Vertragstext vor. Jetzt wird noch an juristischen Feinheiten gefeilt. Die Beschlüsse im Rat der EU-Staaten, im Europäischen sowie im Japanischen Parlament sollen im Laufe des Jahres 2018 erfolgen. Danach könnte - vermutlich frühestens ab 2019 - der Handelsteil angewendet werden.

Beim Investitionsabkommen hakt es hingegen; dieser Teil wurde ausgeklammert. Das trifft sich, denn dazu müssten am Ende auch die nationalen Parlamente in der EU ihr Okay geben. Die EU will ihr seit dem Kanada-Abkommen CETA vorgesehenes permanentes Gerichtshofsystem umsetzen, die Japaner wollen an den alten, privaten Adhoc-Schiedsgerichten festhalten.

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