EU-Budgetsünder kommen ohne Strafe davon

Puppen der vier spanischen Spitzenkandidaten vor dem "Fallas"-Fest in Valencia
Entscheidung fällt erst nach Wahl in Spanien. EU-Kommission setzt Glaubwürdigkeit auf Spiel.

Die EU-Kommission schreckt davor zurück, erstmals Geldbußen zu verhängen. Budgetsünder kommen somit in der Eurozone weiterhin ohne Strafen davon. Die Kommission gibt Spanien bis 2017 und Portugal bis Ende 2016 Zeit, den öffentlichen Haushalt in Ordnung zu bringen. Und das, obwohl beiden Ländern schon mehrfach Fristverlängerungen gewährt wurden.

„Wir haben beschlossen, dass es wirtschaftlich und politisch nicht der richtige Zeitpunkt wäre, das Defizitverfahren zu verschärfen“, sagte Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici am Mittwochnachmittag in Brüssel. Im Juli will man sich mit der Frage erneut beschäfigen – erst nach den Parlamentswahlen in Spanien. Madrid und Lissabon müssen aber neue EU-Reform-Aufträge erfüllen.

Brisante Nachgiebigkeit

Es gelte zwar für Disziplin zu sorgen, ohne aber die wirtschaftliche Erholung abzustechen oder das Vertrauen zu ersticken, erklärte Moscovici. Die Entscheidung ist äußerst brisant – aus mehreren Gründen:

Glaubwürdigkeit

Die EU-Kommission riskiert, dass ihr niemand mehr die Rolle als Überwacherin der nationalen Budgets abnimmt. Der Europäische Rechnungshof hat erst vor wenigen Wochen kritisiert, dass die Kommission ihrer Kontrollfunktion ungenügend gerecht werde. Indem er abermals Gnade vor Recht ergehen lässt, bestätigt Kommissionschef Jean-Claude Juncker nun den Vorwurf, dass die Kommission politisch entscheidet anstatt sich an die Regeln zu halten.

Disziplinlosigkeit

Es ist noch nicht so lange her, da war Brüssel voll des Lobes für den Spar- und Reformeifer der Iberer. Die Faktenlage ist aber eindeutig. Gegen Spanien läuft schon seit 2009 ein EU-Verfahren wegen des zu hohen Budgetdefizits. Und seither hat das Land konsequent alle Zielvorgaben verfehlt.

Das Budgetdefizit liegt aktuell bei 5,1 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP). Die Staatsschulden liegen seit kurzem über 100 Prozent, sind also größer als die jährliche Wirtschaftsleistung – erstmals seit 1909. Zur Erinnerung: Zielvorgaben wären maximal 3 Prozent Defizit und 60 Prozent Schulden.

Parteinahme

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker muss sich nun Vorwürfe gefallen lassen, er wolle seinem spanischen Parteifreund Mariano Rajoy helfen. Der konservative Ex-Ministerpräsident steht kurz vor vorgezogenen Parlamentswahlen am 26. Juni.

Im eigenen Land kassierte Rajoy zuletzt herbe Wahlniederlagen – er gilt als Sparmeister und wird für die exorbitant hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht. In Brüssel steht er als Schuldenmacher am Pranger, der bestraft werden soll. Eine Geldstrafe hätte da vermutlich die Sozialisten (PSOE) und die linkspopulistische Podemos gestärkt. Und die wollen vom Sparkurs überhaupt nichts wissen.

Aus den Wahlen Ende 2015 waren zwei neue Protest-Bewegungen, die linkspopulistische Podemos und die liberalen Ciudadanos, mit großen Stimmenzuwächsen hervorgegangen, allerdings scheiterte eine Regierungsbildung an den unklaren Mehrheitsverhältnissen.

Fehlkonstruktion

Wie wirkungsvoll sind die neuen EU-Regeln, die nach der Finanzkrise verschärft wurden, überhaupt? Nun werden erneut die Stimmen lauter, die es generell für unsinnig halten, einem Land in Finanznot auch noch eine EU-Geldstrafe aufzubrummen. Und die kann saftig ausfallen – bis zu 0,2 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Im Fall Spaniens wären das bis zu 2 Milliarden Euro, bei Portugal bis zu 360 Millionen Euro.Im Nachbarland Portugal ist die linke Regierung vom Spar- und Reformkurs abgerückt, was Brüssel stark kritisiert.

Rüge für Italien & Co.

Irland, Zypern und Slowenien dürfen sich unterdessen freuen: Bei ihnen wird das Defizitverfahren beendet, weil sie die Vorgaben erreicht haben.

Eine Rüge ernteten hingegen Italien, Belgien und Finnland. Sie haben die EU-Zielvorgaben bei den Schuldenquoten verfehlt, allerdings sei das noch im Einklang mit den Regeln des Wachstums- und Stabilitätspaktes.

Italien darf Budgetausnahmen geltend machen, etwa Kosten für Strukturreformen, für die Flüchtlingskrise oder für Investitionen. Das sei in mehr als zehn Treffen mit Finanzminister Padoan vereinbart worden, sagte Moscovici. Er sprach jedoch von einem „Rendezvous im Herbst“: Im November will die EU-Kommission den von Rom vorgelegten Haushaltsplan einer genaueren Prüfung unterziehen.

Kein Verfahren gegen Österreich

Österreich ist eines von 13 Ländern, in denen es weder ein Defizitverfahren gibt noch makroökonomische Ungleichgewichte. Neben Österreich sind dies nach Angaben der EU-Kommission vom Mittwoch Belgien, Dänemark, Estland, Lettland, Litauen, Luxemburg, die Tschechische Republik, die Slowakei, Malta, Polen, Rumänien und Ungarn.

Dagegen wird beispielsweise Deutschland ein sogenanntes makroökonomisches Ungleichgewicht, also eine Schieflage in der Wirtschaft, attestiert - wie etwa auch Finnland, Niederlande, Schweden, Bulgarien, Zypern und Italien. Bei den Deutschen beanstandet die EU-Kommission den hohen Handelsüberschuss, der ihrer Meinung nach andere Länder zu Defiziten nötigt.

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