EU-Beitritt bringt nicht automatisch Wohlstand

epa03771264 The Croatian flag (R) flies next to European flags outside the European Parliament in Strasbourg, France, 02 July 2013. Following the successful ratification of its European Union Accession Treaty by the national parliaments of the 27 Member States, the Republic of Croatia has joined the EU as the 28th member on 01 July 2013. EPA/PATRICK SEEGER
Rasches Aufholen ist kein Automatismus, sagt Michael Landesmann, Direktor des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche.

EU-Mitgliedschaft.Für ärmere Länder bedeutete dies jahrzehntelang vor allem eins: Die Hoffnung auf ein rasches Aufholen und steigenden Wohlstand. Das ist aber kein Automatismus, sagt Michael Landesmann, Direktor des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), zum KURIER. Zwar wiesen rückständige EU-Länder vor der Krise beachtliche Zuwachsraten auf. Dieses Wirtschaftswachstum sei aber nicht auf soliden Beinen gestanden.

Dem jüngsten EU-Mitglied Kroatien werde der Beitritt keinen allzu großen Anschub bringen, erwarten die Osteuropa-Experten. Die Exporte in die EU dürften nur geringfügig steigen. Das Land habe es verabsäumt, die Industrie rechtzeitig für den Außenhandel aufzustellen und sich zu sehr auf den Tourismus verlassen. „Das ist gefährlich, Tourismusströme sind sehr schwankungsanfällig“, sagt Landesmann. Kurzfristig könnte die kroatische Produktion nach dem Beitritt sogar sinken.

EU-Geldtransfers dürften diese Verluste zwar kompensieren. Allerdings hängt neuerdings die EU-Drohung in der Luft, dass Ländern, die zu wenig gegen wirtschaftliche Schieflagen tun, die Hilfen aus dem Kohäsionsfonds gekürzt werden. Das würde ärmere Netto-Empfängerländer besonders bestrafen.

Börsesommer schwach

Für die Region Ost- und Südosteuropa sehen die WIIW-Experten ebenso wie die Analysten von Raiffeisen Research nun den Boden der Rezession erreicht und erwarten eine langsame Erholung.

Bisherige Musterschüler wie Polen oder die Slowakei wurden jedoch von der allgemeinen Wachstumsschwäche angesteckt. Vor allem die Investitionen entwickeln sich enttäuschend. Staaten wie Slowenien, Kroatien oder Tschechien kämpfen weiterhin gegen die Rezession an. In Russland, der Ukraine und der Türkei stützen Konsumausgaben die Wirtschaft etwas. In Kasachstan sorgen Erdöl- und Gaseinnahmen für eine Extra-Konjunktur.

Verglichen mit den USA oder Deutschland schnitten die Börsen in Österreich und Osteuropa seit Jahresbeginn sehr schwach ab. Die Analysten von Raiffeisen Research sehen die Kurse in Wien und Osteuropa noch bis in den Herbst in einer Seitwärtsbewegung. Dann erwartet Raiffeisen-Analyst Bernd Maurer gute Einstiegschancen. Allmählich diktiere nicht mehr die Geldflut der Notenbanken die Kurse, sondern es komme wieder mehr auf die Unternehmensdaten an.

Auch die Erste-Analysten erwarten für die Wiener Börse eine Sommerschwäche. Ab Oktober oder November sollte es besser laufen.

KURIER: Die EU war für ärmere Beitrittskandidaten bisher attraktiv, weil sie rasches Aufholen und steigenden Wohlstand versprach. Die Weltbank schrieb sogar von der größten „Konvergenzmaschine“ der Welt. Gilt das jetzt nicht mehr?

Michael Landesmann ( Direktor des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche): An diesem Modell wurde stark gerüttelt. Schon vor der Krise wäre sichtbar gewesen, dass Entwicklungen in den Leistungsbilanzen, bei Krediten oder Immobilien nicht nachhaltig waren. Zwar hatten alle weniger entwickelten Länder hohe Wachstumsraten, aber das stand nicht auf soliden Beinen. Jetzt ist offensichtlich, dass es so nicht weiter geht. Ein Transfermodell wie in Italien, wo der Norden den Süden permanent mit Zahlungen unterstützt, ist aber – wie wir sehen - politisch in Europa nicht möglich. Die Konvergenz wird sich deshalb nicht mehr überall durchsetzen. Die Frage ist: Können die Länder höhere Exportfähigkeit erreichen, wie Tschechien oder die Slowakei? Viele andere Süd- oder Ostländer haben das nicht geschafft.

Der Aufholprozess ist also kein Automatismus mit dem EU-Beitritt. Was können sich dann neue Mitglieder wie Kroatien oder Anwärter wie Serbien noch erwarten?
In Kroatien wurden die Hausaufgaben sehr schlecht erledigt. Die Entwicklung der Industriepolitik wurde verschlafen, man hat nur auf den Tourismus gesetzt. Das ist gefährlich, denn Touristenströme sind anfällig für Schwankungen. Die Industrie ist unterdessen abgesackt, weil die Wirtschaftspolitik ganz auf einen fixen Wechselkurs zum Euro ausgerichtet war. Das konnte sich vielleicht Österreich in den 1970ern und 1980ern gegenüber Deutschland leisten, aber die kroatische Währung ist dadurch stark überbewertet. So kamen weniger Investitionen ins Land, der Exportsektor ist wenig attraktiv. Jahr für Jahr stieg die Auslandsverschuldung weiter an und erreicht jetzt rund 100 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das macht Kroatien sehr anfällig für mögliche Zinssteigerungen. Serbien hatte eine andere Politik. Sozial und politisch ist es dort noch schwieriger, aber es gibt flexiblere Wechselkurse und die Industrie ist breiter aufgestellt. Das Einkommensniveau und die hohe Arbeitslosigkeit sind zwar problematisch, aber Serbien könnte ein attraktiver Standort werden.

Brüssels zentrales Förderinstrument sind Transferzahlungen für rückständige Regionen. Ist die EU-Kohäsionspolitik gescheitert?
Darüber wird in Brüssel seit Jahren stark reflektiert. In Ländern, die sehr viele Zahlungen erhalten haben wie Spanien, Griechenland oder Portugal, hat das die dramatische Krise nicht verhindert. Es genügt eben nicht, eine Transportinfrastruktur zu schaffen, die dann niemand verwendet. Die Kreditvergabe müsste viel differenzierter erfolgen, die Politik auf Klein- und Mittelunternehmen ausgerichtet und unternehmensbezogene Infrastruktur fokussiert sein. Das könnten Trainings sein oder die Förderung von Unternehmensclustern. Die EU-Kohäsionspolitik müsste viel differenzierter werden, um dramatische regionale Unterentwicklungen zu verhindern. Für die Länder am Westbalkan wird das künftig entscheidend sein.

Neuerdings steht die Drohung im Raum, dass Ländern, die in wirtschaftlicher Schieflage sind, diese Fördermittel gekürzt werden. Ist diese Sanktion hilfreich oder kontraproduktiv?
Wenn man künftig bei internen und externen Ungleichgewichten schlecht abschneidet, könnte man weniger Mittel bekommen – das kann eine Abwärtsspirale für solche Länder ergeben. Andererseits hat die bisherige EU-Geschichte gelehrt, dass noch nie jemand wirklich bestraft wurde. Schlimmstenfalls wurde ein Land jahrelang unter Beobachtung gestellt.

Was heißt die sehr langsame Erholung in Ost- und Südosteuropa für Österreichs Banken, die dort stark vertreten sind?
Österreichs Banken sind natürlich Teil der gesamteuropäischen Bankenkrise, laut jüngstem OECD-Bericht sind sie noch unterkapitalisiert. Sie hatten eine sehr positive Funktion in der Region, haben ihre Positionen großteils - nicht überall - beibehalten, was sie zu einem stabilen Akteur macht.
Andererseits haben sie aber auch eine Rolle bei der verzerrten Kreditvergabe gespielt - mit sehr vielen Immobilien-, Haushalts- und Fremdwährungskrediten. Sie haben hoffentlich ihre Lektion gelernt und es wäre schön, wenn sie weniger Haushalts-, dafür mehr Unternehmenskredite vergeben. Das würde vielen Ländern sehr helfen.Vielleicht könnte ein Teil des Risikos mit Geld aus Brüssel, etwa von der Europäischen Investitions-Bank (der „EU-Hausbank“ EIB, Anm.) oder von regionalen Entwicklungsbanken (wie der Osteuropabank EBRD, Anm.) übernommen werden.

Sie haben erwähnt, dass die Zinsen, die einige Länder für ihre Staatsschulden zahlen müssen, die Wachstumsraten übersteigen. Auf Dauer kann das nicht tragfähig sein. Erwarten Sie in der Region weitere Kandidaten für den Euro-Rettungsschirm oder für Hilfsprogramme des Internationalen Währungsfonds?
Slowenien war hart dran und könnte weiterhin ein Thema für den Euro-Rettungsschirm werden. Der Staatsschuldenstand ist zwar momentan noch nicht so bedrohlich, aber es schlummern noch große Verluste im Bankensystem. Das ist ein Nachteil, wenn ausländische Banken nicht so stark vertreten sind: Wie in Irland oder Spanien musste der eigene Staat die Probleme der Bankbilanzen schultern. Andernorts waren das ausländische Banken, für die andere Länder verantwortlich waren – unter anderem Österreich. Länder wie Rumänien und Ukraine hatten bereits IWF-Programme laufen. Momentan reduzieren aber die global niedrigen Zinsen die Urgenz weiterer Interventionen. Wenn mittelfristig das Zinsniveau steigt, könnte aber etwas drohen wie die Lateinamerika-Krise in den 1970er und 1980er-Jahren: Dort war auch ein externer Impuls der Auslöser.

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