EP: Ruf nach neuen Finanz-Regeln

EP: Ruf nach neuen Finanz-Regeln
Der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz will das Vertrauen der Bürger in die europäischen Institutionen zurückgewinnen.

Der KURIER sprach mit dem neuen EU-Parlamentspräsidenten über seine Pläne und die Stärken und Schwächen der EU-Institutionen.

KURIER: Sie sind seit 2004 Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament und wollen jetzt Präsident der Institution werden. Was treibt Sie an?

Martin Schulz: Ich will erreichen, dass das Europäische Parlament (EP) auf der gleichen Ebene agiert wie der Rat. Wir haben hier eine Bürgerkammer und einer Staatenkammer, die der Ministerrat darstellt. Die Bürgerkammer muss auf die selbe Ebene gehoben werden wie die Staatenkammer.

Ist dieses Missverhältnis für Sie ein Grund für die Vertrauenskrise in der EU?

Wir haben einen allgemeinen Vertrauensverlust, nicht nur in die Europäischen Institutionen. Es ist der Eindruck entstanden, dass die Wirtschaft die Demokratie lenkt und nicht umgekehrt. Die Wirtschaft agiert längst transnational, umso mehr brauchen wir jetzt transnationale Regeln, umso mehr wächst daraus unsere Aufgabe. Eine gestärkte, aktivere Rolle des Parlaments wäre sicher ein Beitrag zur Rückgewinnung von Vertrauen.

Da stellt sich die Frage, wo die Regeln für die Finanzwirtschaft sind, die man beim Ausbruch der Krise so lautstark gefordert hat?

Das ist ein Punkt, wo Sie sich in der Hausnummer irren. Diese Fragen müssen sie dem Rat stellen, es ist nicht das EP, das die Regeln aufweicht, sondern die Regierungen. Wir haben das zuletzt beim EU-Gipfel erlebt, dass wegen der Finanzmarktregulierungen eine Regierung, jene von Großbritannien, einen ganzen Kontinent erpresst.

Der deutsche Ex-Kanzler Helmut Schmidt hat beim vergangenen SPD-Parteitag das Wort an Sie und Ihre Kollegen gerichtet, er fand, dass vom EP kein nennenswerter Vorschlag zur Eindämmung der Krise gekommen ist. Teilen Sie seine Ansicht?

Nein. Nur bedingt. Er hat recht, den Appell an mich persönlich zu richten, den Aufstand zu proben gegen die Regierungen, er fügte hinzu, dass sich dazu das Feld der Finanzmarktregulierungen am besten eignet. Das EP hat viel Macht, aber es findet nur dann in den Medien Niederschlag, wenn die nationalen Parlamente die von uns mitverfassten Richtlinien in nationales Recht umsetzen. Das sehe ich nicht als einen Fehler des EP, sondern der Medien.

Was planen Sie für Ihre Präsidentschaft?

Der Präsident muss dafür sorgen, dass dieses Haus der Ort des transparenten und auch kontroversen Auseinandersetzung über die Zukunft Europas sein muss. Der Rat als auch die EU-Kommission tagen hinter verschlossenen Türen, weshalb das EP die Richtungsdebatten viel deutlicher führen muss. Überall da, wo die nationalen Parlamente keine ausreichende demokratische Legitimation schaffen können, muss das Parlament die integrale Instanz der demokratischen Legitimität sein.

Die Vertrauenskrise resultiert auch aus der Frage, wo Europa und die Europäische Union in 15, 20 Jahren stehen wird? Haben Sie da konkrete Antworten?

Die Nationalstaaten sind bei den großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – Wirtschaft, Umwelt, Währung und Migrationsbewegungen – an ihre Grenzen gestoßen. Europa wird diese Herausforderungen nur bestehen können, wenn es sich zusammenschließt. Wenn es sich jedoch in seine Einzelteile zerlegt, wird es irrelevant werden.

Martin Schulz: Der rote Präsident des EU-Parlaments

Buchhändler Schulz, Jahrgang 1955, machte eine Lehre zum Buchhändler und betreibt eine eigene Buchhandlung.

Politik Mit 32 Jahren wird er Bürgermeister der Stadt Würselen, später Mitglied des SPD-Parteivorstandes. Seit 1994 ist er als Abgeordneter im EU-Parlament tätig, zuerst als SPD-Delegationsleiter, seit Juli 2004 als Vorsitzender der Sozialdemokratischen Fraktion.

Privates Schulz ist verheiratet und hat zwei Kinder, liebt Literatur und – Fußball.

Die Wahl des Präsidenten als ausgemachte Sache

Sofern nichts Unerwartetes passiert, wird Martin Schulz im Jänner vom Europäischen Parlament zum Präsident der Institution gewählt. Die Wahl des deutschen Sozialdemokraten Schulz ist bereits 2009 besiegelt worden – gemeinsam mit allen anderen Top-Posten auf europäischer Ebene. In stundenlangen Verhandlungen werden immer nach den Wahlen zum EU-Parlament die Posten vergeben. Und zwar nicht nur unter den EU-Mitgliedsstaaten, sondern auch unter den großen europäischen Parteien. Als stimmenstärkste Partei der EU-Wahlen 2009 gingen die EU-Volksparteien hervor, weshalb diese den Chef der EU-Kommission (Barroso) und den Präsidenten des Rates (Rompuy) stellen.

Beim Parlament wurde eine Halbzeitlösung vereinbart, der bisherige polnische konservative Jerzy Buzek legt "freiwillig" nach der Hälfte der Zeit sein Amt nieder, der Sozialdemokrat Schulz übernimmt. Kleinere Parteien und Staaten werden beim Abtausch der Posten nur abgespeist – das EU-Parlament alleine hat 14 Vizepräsidenten.

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