Energiewende auf Hanseatisch

Der abrupte Ausstieg Deutschlands aus der Atomkraft hat auch Gewinner - Hamburg wird zur "Erneuerbaren-Stadt".

Ultraflache Aquarien mit grüner, blubbernder Flüssigkeit: Diese Glaspaneele enthalten keine Fische,sondern nur Algen in warmem Wasser. Sie sind ein Hoffnungsträger von Eon, dem größten Atomkraftbetreiber Deutschlands. Dieser ist vom Ausstieg am meisten getroffen und sucht nun dringend Alternativen.

In seiner ersten Anlage am östlichen Rand Hamburgs regen die Abwärme eines Blockkraftwerks, das aufwendig nachgeführte Sonnenlicht und wahlweise Geothermie die Algen zu mehr Biogasproduktion an als sonstwo auf der Welt. Fällt ihre Energiebilanz wie erhofft aus, könnte das System die Fotovoltaik ergänzen, der in Deutschland die Natur enge Grenzen setzt. 2013 baut Eon das erste Haus mit einer "Bioreaktorfassade" als Beweis baldiger Marktreife. Die kommt, weil Deutschland bald der Strompreis-Kostendämpfer Atom fehlt.
Davon profitiert Hamburg: 60 Prozent der Alternativ-Energie-Anbieter Europas sitzen im Umkreis von nur zweieinhalb Auto-Stunden. Dänen haben sogar Zentralen hierher verlegt wie der Windkraftanlagen-Erbauer "Nordex": Architektur im Grünen, junge Mitarbeiter, Hightech-Atmosphäre. Mit heuer wieder mehr als einer Milliarde Euro Jahresumsatz ist das Unternehmen einer der zehn größten Windanlagen-Erbauer der Welt. Bis zur Finanzkrise 2008 wuchs Nordex um 50 Prozent - jährlich.

Wachstum

Vorstandschef Thomas Richterich ist sicher, daran nun wieder anschließen zu können. Trotz neuer Konkurrenz aus China: "Das hat 80 Windkraftbauer, vor fünf Jahren waren es drei." Asien nimmt inzwischen die Hälfte aller weltweiten Anlagen ab, die USA nur mehr
ein Zehntel. Dafür biete nun Deutschland mit der Energiewende von Kanzlerin Merkel glänzende Aussichten. Richterich: "Man darf sich über Fukushima nicht freuen, aber für uns bedeutet es langfristig die Verdoppelung des jährlichen Neubauvolumens."

Das damit induzierte Wachstum kompensiere die aus China kommende Überkapazität. Dort fertigt auch Nordex, andere Fabriken gibt es im ostdeutschen Rostock und den USA. Die Windkraft- Technologie sei noch lange nicht ausgeschöpft, prophezeit er: "Effizientere Flügel, leichtere Getriebe, mehr Ausbeute an Standorten mit geringem Wind."

Das bestätigt Konkurrent Siemens. Seine Windenergie-Sparte entstand 2004 aus einer dänischen Firma und expandiert rasch in Hamburg. Die 170 Mitarbeiter machen "Siemens Windpower" zum Offshore-Weltmarktführer: Eine Milliarde Euro teure Windparks im Meer sind das Hoffnungsgebiet schlechthin. "Auch deren aufwendige Netzanbindung mit Hochspannungs-Gleichstromübertragung kommt nun aus Hamburg", sagt Projektleiter Thomas Blaskow: "Hier ist eben die gesamte Technologie vorhanden, wir liefern schlüsselfertig". Die Kosten der Windkraft näherten sich dabei schon denen konventioneller Stromerzeugung an.

Österreich

Nur im Gebirge seien die 58 Meter langen und 14 Tonnen schweren Rotoren kaum mehr transportierbar. Das und die "empfindliche Optik" seien die Gründe, dass Österreich bei Windkraft viel zögernder sei als andere. Gleichwohl arbeite Siemens "im Burgenland an Projekten", so Blaskow. Bis 2014 will "Siemens-Windkraft" drittgrößter Anbieter der Welt sein.

Wie attraktiv Hamburg für die Branche ist, zeigt auch der größte Elektrokonzern der Welt, General Electric aus USA, mit seinem neuen Forschungszentrum für Offshore-Windparks. Insgesamt sind hier mehrere Hundert Unternehmen zu Hause, die sich mit Alternativenergien beschäftigen. Hamburg fördert sie gezielt durch einen "Technologie-Cluster". Jan Rispens, Chef dieses Branchen-Netzwerks: "Wir haben das Gefühl, es geht jetzt erst richtig los."

Dass die Elbmetropole darin so erfolgreich ist, liegt auch an ihrer Tradition bei Finanzierung, Versicherungen und anderen kaufmännischen Dienstleistungen. Und dem Ingenieurswesen: Hamburg ist drittgrößter Standort der Welt für Zivilflugzeugbau. "Es ist die Internationalität", bestätigt Nordex-Chef Richterich, gerade aus USA zurück.

Hamburgs Firmen sind bei Patenten für Alternativenergien einsame Spitze. Dazu tragen auch Exoten bei wie die Algenzüchter - oder "Sky Sails": Ein Hamburger, der Frachtschiffen riesige Wind-Drachen anbietet, um Treibstoff zu sparen. Der erste ist schon in Betrieb, allerdings auf hoher See und nicht im quirligen Hafen, dem Ausgangspunkt der meisten Erfolge der Hansestadt.

Deutschland: Mehr Wind, weniger Solar
Solarenergie
Deutschland investierte 2010 in alle Erneuerbaren Energien 27 Milliarden Euro, den Großteil in extrem geförderte Solaranlagen, die zu 70 Prozent aus China kommen.
Fünf Milliarden Euro Umsatz in der Alternativ-Energie-Branche generierten Unternehmen in Hamburg mit über 5000 Arbeitsplätzen. Hier haben die meisten Anbieter einen Sitz, darunter auch der dänische Windanlagen-Weltmarktführer Vestas. Und es werden immer mehr.
Windenergie
Die " Energiewende" Merkels lässt vieles am Ersatz des Atomstroms offen. Solarenergie wird nun aber weniger exzessiv und Windenergie dafür stärker gefördert. Vor allem für Windparks auf See sollen Planung und Finanzierung leichter werden. Da wollen nun auch US-Hedgefonds und VW groß einsteigen.
Doch auch Windräder weit vor der Küste bekämpfen Umweltschützer und Grüne so wild wie die dazu nötigen neuen Stromtrassen und Reservespeicher.

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