Wir leben jetzt digital

Wir leben jetzt digital
Vom morgendlichen Wake-up-Call bis zur Feierabendlektüre: 188 Minuten verbringen Österreicher täglich online, nach dem Laptop ist das Smartphone Jugendmedium Nummer eins.

Anna und Daniel sind das, was man als Digital Natives bezeichnet – nämlich mit der digitalen Welt groß geworden. Noch vor dem Zähneputzen werden Mails durchgesehen und Social-Media-Kanäle abgerufen. "Fast die Hälfte aller Jugendlichen und jungen Erwachsenen werden heute vom Handy oder Tablet aus dem Schlaf gerüttelt", weiß Thomas Schwabl vom Jugend-Trend-Monitor. Die erste Nachricht versendet Anna um 9:15 Uhr, bis zum Abend werden es 53 an der Zahl sein. Besondere Beliebtheit erfreuen sich sogenannte Instant-Messaging-Dienste, Anwendungen wie WhatsApp oder Facebook-Messenger, die bei Internetzugang keine zusätzlichen Kosten verursachen und direkt auf der Handyoberfläche bedient werden können. Für Daniel ist WhatsApp ein mobiles Besprechungszimmer, der File-Hosting-Dienst Dropbox hilft ihm, Daten und Pläne auch von unterwegs mit Mitarbeitern auszutauschen. Auch in Annas Eisdiele läuft längst nicht alles analog: "Den Schichtplan rufe ich über Online-Kalender ab, die mobile Registrierkassa rennt übers Tablet."

Jeder Biss ein Byte

Entgegen den Erwartungen nehmen sich die 14- bis 30-Jährigen viel Zeit zum Essen und schwingen am liebsten selbst den Kochlöffel. Besondere Leckerbissen werden für die digitale Nachwelt festgehalten und auf der Foto-Plattform Instagram geteilt. Laut Angaben der Betreiber sind es 60 Millionen Bilder täglich, die so Verbreitung finden. "Bei Tisch selbst haben wir Handyverbot eingeführt. Das ist ein Stück Luxus für uns", so Daniel. Neben Low-Carb-Diäten scheint auch Digital Detox in aller Munde.

Zur Arbeit geht’s bei Daniel mit Bus oder Bahn. Genaue Fahrzeiten muss er dabei kaum noch beachten. Sag mir Quando, sag mir wann – die Öffi-App der Wiener Linien informiert zu jeder Tages- und Nachtzeit, wann die nächste U-Bahn fährt.

Der Stadtplan war im Mittelalter. Heute zeigen personalisierte Ortungsdienste, allen voran der Platzhirsch Google Maps, wo es langgeht. Weitere spezialisierte Anwendungen ermöglichen Anna per Klick die kürzest entfernte Apotheke und billigste Tankstelle im Umkreis zu ermitteln. Lange Parkplatz- und Parkautomatensuche gehört ebenfalls der Vergangenheit an: Fast von allein erspäht das Smartphone die nächste Parklücke und erspart lästige Kleingeldsuche.

Der Klobesuch als Event

"Knapp acht von zehn jungen Österreichern haben gestern Facebook besucht, im Schnitt fünf Mal, sechs von zehn waren auf YouTube, und etwas mehr als ein Drittel besuchte Instagram", sagt Trendforscher Schwabl. Das passiert vorrangig in Zwischen- und Wartezeiten. Am WC hört man sich neueste Podcasts an, wischt sich durch den Newsfeed der Onlinezeitung oder chattet mit Freunden. Anwendungen wie Spotify bieten individuell zusammengestellte Playlisten für jeden Musikgeschmack und laufen sogar im Offline-Modus.

Trainiert wird bei Anna und Daniel nicht im Fitnessstudio, sondern mit Handycoach. Per GPS dokumentiert die Fitness-Applikation Runtastic die Joggingstrecke der beiden, zeichnet außerdem die Dauer des Work-outs und die dabei verschwitzten Kalorien auf. "Man kann sich vergleichen und sich täglich neuen sportlichen Herausforderungen stellen."

Auch Shopping passiert großteils online. "Etwa Outdoor-Produkte oder Elektro-Artikel, die ich bei lokalen Anbietern nicht bekomme, bestelle ich im Netz", meint Daniel. Dabei muss es nicht immer eBay oder Amazon sein. Die Flohmarkt-App Shpock erlaubt die Suche in Marktplatzkategorien und das Feilschen mit digitalen Nachbarn. Auf willhaben.at können nicht nur Autos und Immobilien, sondern ganze Karrieren angeboten werden. In vielen Bereichen vertraut man auf die Erfahrungen anderer User. So befragen laut Gesundheitsbarometer ganze 55 Prozent der Österreicher erst den Google-Doktor, bevor der eigene Hausarzt konsultiert wird.

Persönliche Treffen

Obwohl Anna und Daniel in digitalen Gruppenunterhaltungen mit täglich etwa 25 Freunden kommunizieren, ziehen sie persönliche Treffen vor. "Die Generation der 14- bis 30-Jährigen ist geprägt durch den Wunsch nach einer ausgewogenen Work-Life-Balance", weiß Trendforscher Schwabl.

Diese Balance findet nach wie vor zum großen Teil im Analogen statt. "Digitale Anwendungen erleichtern unseren Alltag. Sie ersparen uns wertvolle Zeit, die wir dann zu zweit oder mit Freunden verbringen können", fasst Daniel zusammen.


- von Theresa Girardi

Interview.Kommunikationswirt Florian Kondert vom Zukunftsinstitut Österreich sieht das digitale Zeitalter durchaus positiv.

Die Digitalisierung beschleunigt unseren Alltag. Wird unsere Arbeit dadurch effizienter?

Florian Kondert: Zuallererst ist eine technologische Innovation nur ein Potenzial. Die Erfindung der Dampfmaschine etwa hat zu einer großen Produktivitätssteigerung geführt, wir haben aber sehr lange gebraucht, um diese Neuerung sinnvoll umzusetzen. Auch die Digitalität eröffnet uns ungeahnte Möglichkeiten, gleichzeitig ist der Grad zwischen echter Nutzenstiftung und reiner digitalisierter Ersetzung manueller Arbeitsschritte ein sehr enger. Das ist das, was wir heute als Hyperbürokratisierung empfinden und unsere Arbeit nicht immer effizienter macht.

Die ständige Erreichbarkeit wird oft kritisch gesehen. Taugt der Mensch als digitales Wesen?

Unter dem Trend der Konnektivität wird der stetig wachsende Wunsch nach Facettenreichtum, Vernetzung und Flexibilität zusammengefasst. Die digitale Welt ist in der Lage, all dem gerecht zu werden, kann sich aber auch gegenteilig auswirken. Offline zu sein ist das neue Understatement. Derzeit zu beobachten ist keineswegs eine völlige Reizüberflutung, sondern ein zusehends reflektierter Umgang mit Digitalem. Wir sind den auf uns einwirkenden Impulsen keineswegs 24/7 hilflos ausgesetzt, sondern haben gelernt, uns ein Filterset anzueignen. Einer vorbeischleichenden Katze schenken wir mehr Aufmerksamkeit als einer blinkenden Ampel. Der Mensch entwickelt sich kognitiv – wie jeder Organismus – erst durch Stress weiter.

Wir vertrauen neuen Technologien oft blind. Ist das gefährlich?

Generell ist die Problemlösung, die eine Innovation anbietet, stets attraktiver als bloße Resignation. Auch wenn wir wissen, dass unsere Daten vielleicht gespeichert, unsere Geräte vielleicht sogar gehackt werden, gehen wir das Risiko ein: Wer hat schon Lust, lange an Bahnschaltern zu stehen, wenn man binnen Sekunden ein Ticket auf dem Weg zum Bahnsteig lösen kann?

- von Theresa Girardi

"Im Schnitt zwei Stunden täglich wird das Smartphone von jungen Österreichern genützt", sagt Thomas Schwabl vom Jugend-Trend-Monitor.

Nur mehr vier Mal am Tag wird allerdings ein Anruf getätigt. Fragt sich, was Handybesitzer die restliche Nutzungsdauer eigentlich machen? Statt dem direkten Gespräch am Apparat werden Textnachrichten verfasst oder Sprachaufnahmen versandt. Gerade Snapchat ist aufgrund seines automatisierten Papierkorbs unter den jüngsten Nutzern beliebt, die Dating-App Tinder hat sich zu Flirtzwecken etabliert. Wisch für Wisch werden nicht nur neue Bekanntschaften gemacht, sondern auch ortsbasierte Informationen abgerufen. Wir erkundigen uns nach dem Weg und Wetter, lokalisieren Restaurants oder rufen das schnellste Fortbewegungsmittel ab. Dabei hat sich eine nicht unwesentliche Sharing-Community entwickelt, die der Digitalität vor allem eines abgewinnen will: mehr Effizienz. Geteilt werden bei der Taxi-App Uber zum Beispiel Autofahrten. Der Sprachtrainer Duolingo lernt uns Chinesisch, während wir Bankgeschäfte im Spazieren tätigen. Neben dem mobilen Studienfinder UniSpotter oder dem Schrittzähler Stepz hat es übrigens auch ein Period Tracker, der den weiblichen Zyklus dokumentiert, auf viele heimische Displays geschafft.

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