Kein Scherbengericht bei Volkswagen

Kein Scherbengericht bei Volkswagen
Auf der Hauptversammlung machten die VW-Aktionäre am Mittwoch ihrem Ärger Luft.

Die 56. Hauptversammlung des Volkswagen-Konzerns am Mittwoch in der Halle 3 des Messegeländes in Hannover platzte aus allen Nähten – vor allem der Ansturm frustrierter Klein-Aktionäre war enorm. Jene, die erste Ergebnisse bei der Aufklärung der Software-Manipulation von elf Millionen Diesel-Pkw erwarteten, wurden bitter enttäuscht.

Der VW-Aufsichtsratschef Hans-Dieter Pötsch, ein Österreicher, sagte, dass er noch keine Ermittlungsergebnisse offenbaren kann, weil mit den US-Behörden, insbesondere mit dem US-Justizministerium, noch keine Einigung erzielt wurde. Die Frist dafür wurde auf 28. Juni erstreckt. Eine zu frühe Bekanntgabe könnte die Verhandlungen noch gefährden. VW erhoffe sich wegen der engen Kooperation bei der Aufklärung ein Entgegenkommen der US-Behörden beim Strafmaß. Fakt ist: Es geht wahrscheinlich um einen zweistelligen Milliardenbetrag.
Kein Scherbengericht bei Volkswagen
(L-R) VW CEO Matthias Mueller and Volkswagen (VW) Chairman of the Board Hans Dieter Poetsch are pictured before German carmaker Volkswagen shareholders' annual general meeting on June 22, 2016 in Hanover. The Volkswagen shareholders are expected to vent their anger over the emissions cheating scandal that plunged the auto giant into a major crisis. / AFP PHOTO / JOHN MACDOUGALL
Geprägt war die Aktionärsversammlung von gebetsmühlenartigen Entschuldigungen von Hans-Dieter Pötsch und VW-Chef Matthias Müller – bei Kunden, Aktionären und dem Rest der Welt. "Ich bitte Sie um Entschuldigung, dass Ihr Vertrauen in VW getäuscht wurde", sagte Müller. "Wir können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Die Diesel-Thematik hat vieles überschattet, Volkswagen ist aber mehr als die Krise. VW hat Qualitäten, die nicht überall verloren gegangen sind." Der Konzern will aus den Fehlern lernen, um das Richtige für die Zukunft zu tun und das Vertrauen zurückzugewinnen. "Die 610.000 VW-Mitarbeiter geben alles für unsere Kunden", sagte der Konzernchef. " Die Sondereinflüsse 2015 waren ein Schlag ins Kontor. Volkswagen musste den größten operativen Verlust in der Unternehmensgeschichte ausweisen." Nachsatz: "Volkswagen ist finanziell robust und stark genug, das auszuhalten." Der Konzern verfüge über 24,5 Milliarden Euro Liquidität.

Auch Pötsch erinnerte an den Compliance-Vorgaben: "Volkswagen duldet keine Regel- und Gesetzesverstöße, die Vorwürfe widersprechen allem, wofür Volkswagen steht." Der Chefaufseher gab aber auch bekannt, dass die VW-Vorstände 2015 - trotz des Diesel-Skandals - insgesamt 63,2 Millionen Euro Honorar kassierten. Die Manager stimmten aber zu, dass 30 Prozent ihrer variablen Vergütungen für drei Jahre aufs Eis gelegt werden. Die spätere Freigabe der Gelder hängt vom künftigen VW-Aktienkurs ab. Laut Pötsch wurden die Boni um 57 Prozent reduziert. Pötsch: "Mir ist bekannt, dass einige von Ihnen die Vorgangsweise für nicht ausreichend halten."

Keine Pflicht verletzt?

Zugleich forderte er die aktienrechtliche Entlastung des Vorstandes und des Aufsichtsrats, weil die Anwälte von VW – trotz der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig – keine Pflichtverletzungen der (Ex-)Führung in Sachen Schummelsoftware feststellen konnte. Die VW-Juristin Christine Hohmann-Dennhardt wies den Vorwurf der Markmanipulation durch VW zurück. VW sei nach wie vor der Überzeugung, dass die kapitalmarktrechtlichen Pflichten erfüllt wurden. Ermittelt wird gegen Ex-VW-Boss Martin Winterkorn und den aktuellen VW-Markenchef Herbert Diess. Die Vorwürfe werden zurückgewiesen. Zur Erklärung: Pötsch war vor Platzen der Affäre Finanzvorstand von VW, gegen ihn wird aber nicht ermittelt.

"Die Entlastung bedeutet keinen Verzicht auf Schadenersatzforderungen", sagte der Aufsichtsratschef, dessen Rolle wegen seiner früheren Vorstandstätigkeit von Kleinaktionären heftig kritisiert wurde. Das Stichwort heißt: Interessenskonflikt. "Ich werde alles tun, dass die Vorgänge restlos aufgeklärt werden – ohne Ansehen der Person", räumte Pötsch ein, der für die nächsten fünf Jahre AR-Chef von VW sein wird.

Kein Scherbengericht bei Volkswagen
VW CEO Matthias Mueller addresses shareholders during German carmaker Volkswagen shareholders' annual general meeting on June 22, 2016 in Hanover. The boss of embattled German auto giant Volkswagen issued an apology to angry shareholders over the emissions cheating scandal that has plunged the group into an unprecedented crisis. / AFP PHOTO / JOHN MACDOUGALL
Indes präsentierte VW-Chef Müller erneut sein Fünf-Punkte-Programm, mit dem der Konzern bis 2025 neu ausgerichtet werden soll. Wie berichtet, zählen die Produktion von E-Autos und Batterien, der Ausbau der digitalen Mobilität und Einstieg in das Carsharing sowie die Bündelung der Komponentenfertigung zu den Kernzielen. Doch der Konzernumbau wird von saftigen Klagen überschattet.

Saftige Klagen

Allein der Tübinger Anwalt und Kapitalmarktexperte Andreas Tilp, der schon der Deutschen Telekom das Fürchten lehrte, vertritt 280 institutionelle Anleger, darunter auch Fonds, die 3,3 Milliarden Euro Schadenersatz von VW fordern. Sie klagen jene enormen Kursverluste ein, die durch den Abgasskandal eingetreten sind. VW weist die Vorwürfe zurück. Dazu kommen noch mehr als mehr als 1000 Kleinanleger, die ihren hohen Kursschaden über Tilp einklagen.

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