Diesel-Krise: Vom Dilemma der deutschen Regierung

Angela Merkel im deutschen Dienstwagen.
Abgas- und Kartell-Skandal werden immer mehr zum Problem für die Politik - und entwickeln sich langsam aber sicher zum Wahlkampfthema in Deutschland.

Sie waren das stolze Rückgrat der deutschen Wirtschaft. VW, BMW, Porsche, Daimler - vier Namen, die noch vor wenigen Monaten für absolute Exzellenz auf ihrem Gebiet standen: Sichere, schnelle, luxuriöse, zuverlässige Autos. Dass diese jedenfalls im Fall von Volkswagen erwiesenermaßen nicht besonders sauber waren, zumindest weniger sauber als bei Tests suggeriert, sorgte vor zwei Jahren für die erste Erschütterung in der deutschen Autobranche.

Damals stellte sich die Politik noch schützend vor die Autobauer. Von einem "Skandal" wollte Angela Merkel jedenfalls nie sprechen. Eher von "Vorkommnissen, die schnellstmöglich behoben werden müssen" - so nannte sie den Abgasbetrug bei Millionen Dieselautos von Volkswagen, der nicht nur den Branchenprimus in Erklärungsnot brachte noch im März. Regulierung müsse zwar ambitioniert sein, aber "nicht bis zum Geht-nicht-mehr", sagte sie damals. Den Diesel-Motor soll man bitteschön nicht verteufeln.

Autowelt ohne Verbrennungsmotoren denkbar

Genau das hat die britische Regierung nun aber getan. Ab 2040 sollen in Großbritannien keine Diesel- und Benzin-Motoren mehr verkauft werden dürfen. Die Ankündigung von vergangener Woche bringt eine zusätzliche Dynamik in die zweite große Erschütterung, die aktuell die deutsche Autobranche erfasst. Jahrelang, so der Vorwurf, habe man sich untereinander abgesprochen - auch in Sachen Diesel-Abgasreinigung. "Die Vermutung liegt nahe, dass man mehr Schadstoffe in die Luft bläst, um Geld zu sparen", sagte Experte Ferdinand Dudenhöffer am Sonntag im KURIER-Interview. Eine Autowelt ohne Verbrennungsmotoren ist also denkbar. Aber ist sie das auch für die deutsche Autoindustrie?

Die deutschen Hersteller setzten in den vergangenen Jahren voll auf die vermeintlich sauber gewordene Diesel-Technologie. Doch das ist ein "Märchen aus 1000 und einer Nacht", sagt Dudenhöffer. Und zwar ein saftig subventioniertes. Unvorstellbare 200 Milliarden Euro Steuerzugeständnisse wurden in Deutschland laut Dudenhöffer seit 1985 beim Diesel gegeben.

Berlin weiß nur zu gut um die Bedeutung seiner Schlüsselindustrie. Fast 800.000 Jobs hängen an der Branche. Klar, dass sich Merkel und Co. da nach wie vor schwer tun mit allzu dramatischen Forderungen Richtung Volkswagen, Daimler oder BMW - was die Sache nun, wenn auch die Querschüsse Richtung Koalitionspartner noch verhalten sind - zum potenziellen Wahlkampfthema für die SPD werden lässt. Zumal sie in dieser Sache die Mehrheit der Deutschen hinter sich wähnt. Nach einer von der Umweltorganisation Greenpeace in Auftrag gegebenen Erhebung sind 57 Prozent der befragten Deutschen dafür, dass Diesel-Autos mit hohem Schadstoffausstoß nicht mehr in Stadtteilen mit besonders schlechter Luftqualität fahren sollten.

Thema im Wahlkampf angekommen

Auf dem Diesel-Gipfel von Politik und Herstellern am Mittwoch sollen die deutschen Autobauer deshalb nun darlegen, wie sie Diesel-Fahrzeuge so nachrüsten, dass sie weniger gesundheitsgefährdende Abgase ausstoßen. Ein Sprecher des deutschen Verkehrsministers Alexander Dobrindt (CSU) sagte am Montag zwar, die Regierung werde eine "einheitliche Linie" vertreten. Er sah die Abstimmung "auf den letzten Metern". Ein Sprecher von Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) verwies jedoch auf ausstehende Gespräche mit den Bundesländern und stellte klar: Es gehe um "keine einfache Materie".

Dobrindt und Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sind die Gastgeber des Diesel-Gipfels in Berlin. Teilnehmen werden auch ihre Kabinettskollegen der Ressorts Wirtschaft und Forschung sowie ein Vertreter des Bundeskanzleramts. Auch die Regierungschefs von neun Bundesländern kommen zu dem Treffen im Verkehrsministerium

Die Regierung erwartet von der Autobranche Ansagen, wie sie Diesel-Fahrzeuge mit den Abgasgrenzwerten Euro 5 und Euro 6 so nachrüstet, dass deren Abgasausstoß verringert wird. Erwartet wird die Zusage der Autoindustrie, ältere Dieselfahrzeuge per Software-Update kostenlos für die Nutzer nachzurüsten.

Konkrete Beschlüsse gefordert

Fraglich ist jedoch, ob sich die Berliner Regierung damit zufrieden geben wird: Während Hendricks Software-Updates für unzureichend hält und auch Umbauten an den Motoren fordert, favorisiert Dobrindt die für die Hersteller günstigere Lösung der Software-Updates.

Die Arbeitnehmervertreter der Autobranche forderten von dem Spitzentreffen konkrete Beschlüsse, um die Stickoxidbelastung in Ballungszentren "deutlich und kurzfristig" zu senken. "Pauschale, kurzfristig eingeführte" Fahrverbote für Dieselautos in den Innenstädten dürften jedoch nicht dazu zählen, erklärten die IG Metall und die Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der Autoindustrie. Denn die gefährdeten Arbeitsplätze und seien zum Nachteil von Verbrauchern und Pendlern.

Der inzwischen fast zwei Jahre alte Diesel-Skandal um Schummeleien bei Abgaswerten entzweit die Koalitionspartner Union und SPD wenige Wochen vor der Bundestagswahl zunehmend. Die SPD hat Verkehrsminister Dobrindt als Schwachpunkt der Gegenseite ausgemacht und erhöhte am Montag den Druck auf den CSU-Politiker.

Auslöser war ein Bericht der Bild-Zeitung Aufklärung, nach dem das Dobdindt unterstellte Kraftfahrtbundesamt auf Betreiben der Autoindustrie Untersuchungsberichte zum Abgas-Skandal geschönt habe. Das Verkehrsministerium wies dies zurück.

"Absurde Kumpanei"

Die deutsche Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) verlangte dennoch, Dobrindt müsse "öffentlich darstellen, was er, sein Ministerium und das Kraftfahrtbundesamt wussten". Das müsse noch vor Beginn des Autogipfels passieren.

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz forderte immerhin die Aufteilung und Neuorganisation des Kraftfahrtbundesamtes. "Zwischen dem Kraftfahrtbundesamt und der Autoindustrie herrscht eine absurde Kumpanei", sagte er den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Die Behörde solle "Kontrolleur der Unternehmen sein, in Wirklichkeit ist sie aber zum Komplizen geworden".

Die Grünen waren da schon etwas strenger. Sie erklärten, Merkel müsse die Aufklärung "endlich zur Chefsache machen".

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