Die Mythen ums Mieten auf dem Prüfstand

APA2015073-2 - 09032010 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA 169 WI - Das im Bau befindliche Hochhaus des französischen Architekten Jean Nouvel am Wiener Donaukanal , am Dienstag, 09. März 2010. APA-FOTO: HERBERT PFARRHOFER
Die Politik hat Wohnen als Wahlschlager entdeckt. Doch nicht alle Behauptungen der Politiker stimmen, nicht alle Vorschläge sind sinnvoll.

Mehr Wohnbauförderung, Mietobergrenzen, Gehalts-Checks im Gemeindebau: Vielfältig sind die Polit-Vorschläge, um Wohnen leistbarer zu machen. Wenn die Wogen hochgehen, nimmt man es mit Fakten nicht so genau. Der KURIER nimmt die Mythen unter die Lupe:

Der Durchschnitt täuscht.
Betrachtet man die Mietpreis-Statistik der Wirtschaftskammer, sind die Durchschnittsmieten in den Landeshauptstädten moderat. Aber: Der Durchschnitt wird durch schlechte Lagen gedrückt, zudem fehlen Betriebskosten und Steuer. Die tatsächlichen Wohnkosten sind weit höher, weiß Roland Schmid von Immo-United. Er hat für den KURIER sämtliche Angebote in Online-Plattformen verglichen (siehe Grafik). Fazit: „Im Luxussegment sprechen wir von Topmieten von etwa 22 Euro pro Quadratmeter im 1. Bezirk in Wien oder 18,8 Euro im Bezirk Alsergrund“. Auch in den Bezirken Graz-Kroisbach (15,59 Euro) oder Linz-Urfahr (13,7) liegen die Preise im obersten Drittel weit über dem Schnitt.

Alles wird immer teurer.
Die Preisentwicklung war ganz unterschiedlich. „In Wien sind die Richtwertmieten zwischen 2000 und 2012 um 22 Prozent gestiegen“, erklärt Immobilien-Experte Wolfgang Feilmayer von der TU Wien. „Das entspreche in etwa der Inflation. Bei Eigentumswohnungen sei das Plus hingegen bei rund 70 Prozent gelegen. Doch nicht alles wird teurer: „Es gibt auch Ortschaften, die von einer Mietpreis-Steigerung kaum betroffen sind“, erklärt Bernhard Reikersdorfer vom Maklernetzwerk Remax: Auch Eigentum sei in Teilen Österreichs wie dem Waldviertel, dem Südburgenland oder Teilen der Steiermark günstiger geworden. Und: Auch viele Ferien-Wohnungen seien seit Ausbruch der Finanzkrise eher günstiger geworden.

Österreichs Mietrecht schützt vor überhöhten Preisen.
Tatsächlich hat Österreich eines der strengsten Mietgesetze in Europa. Aber: Nicht alle Mietverträge unterliegen dem Gesetz (abhängig vom Baujahr). Für die meisten Verträge in Zinshäusern gelten Richtwerte. Hier klagt Walter Rosifka von der Arbeiterkammer: „Das Richtwert-System funktioniert nicht.“ Die Richtwerte seien klar geregelt, doch die Vermieter verlangen Aufschläge. „Die Zuschläge sind total intransparent. Viele Vermieter verlangen einfach den Marktpreis und lassen es auf eine Überprüfung ankommen.“

Es werden immer weniger Wohnungen gebaut.
Laut WIFO lag die Zahl der Baubewilligungen 2009 österreichweit bei 38.200 und erreichte 2011 mit 43.100 ihren Höhepunkt. 2012 waren es 42.800, erklärt Michael Weingärtler vom WIFO. Sandra Bauernfeind vom Makler EHL schätzt aber, dass in Wien in den kommenden 20 Jahren durch Zuzug und dem Trend zu Single-Wohnungen 300.000 Wohnungen zusätzlich gebraucht werden.

Mehr Wohnbauförderung kann die Preissteigerungen bremsen.
Offiziell erhalten die Länder vom Bund 1,78 Milliarden Euro an Wohnbaugeldern. Laut WIFO haben die Länder 2010 aber ohnehin knapp drei Milliarden für Wohnbauförderung ausgegeben. Freilich wurden damit etwa auch Kreisverkehre etc. gebaut. Bernhard Felderer vom Staatsschuldenausschuss pocht auf eine Alternative: „Besser wäre eine Subjektförderung.“ Die Länder sollen einfach Bedürftigen einen Teil der Miete zahlen. „Das wäre sozial viel treffsicherer.“

Privates Geld aus Pensionskassen kann Wohnen verbilligen.
„Das würde volkswirtschaftlich Sinn machen“, meint Valentin Hofstädter, Analyst bei Raiffeisen. Erhalten die Bauträger günstiges Geld von Pensionskassen, würde mehr gebaut – „ohne Steuerzahler zu belasten.“

Das Thema ist für die Politik neu.
„Seit 2009 hat die Gewerkschaft die Politik auf die Problematik des teuren Wohnens hingewiesen“, sagt Gewerkschafter Beppo Muchitsch. Ähnlich klingt die Mietervereinigung. Neu ist: Im Herbst wird gewählt.

Die Mythen ums Mieten auf dem Prüfstand

Der Vorschlag hat für heftige Aufregung gesorgt. Geht es nach der ÖVP, sollen Besserverdiener aus Gemeindebauten ausziehen oder mehr Miete zahlen. So hofft man, mehr Wohnraum für sozial Bedürftige zu schaffen. Wiens Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (SPÖ) erteilt dem Vorstoß eines Gehalts-Checks im Gemeindebau aber eine Abfuhr: „Ich lehne das generell ab. Außerdem zielt der Vorschlag der ÖVP nur auf einen Bereich. Förderungen mit Einkommensgrenzen gibt es auch für den gemeinnützigen Wohnbau sowie für Eigentumswohnungen und Häuser. Man müsste dann alle Bereiche prüfen.“

Wer hat in Österreich überhaupt Anspruch auf eine Förderung fürs Wohnen? Allein in Wien stehen etwa 30.000 Menschen auf der Warteliste für eine Gemeindewohnung. Die durchschnittliche Wartezeit beträgt immerhin 437 Tage. Allerdings leben rund 40 Prozent der vorgemerkten Wohnungsbewerber bereits in einer Gemeindewohnung. Sie wollen lediglich die Wohnung wechseln.

Die Mythen ums Mieten auf dem Prüfstand
Doch es darf nicht jeder rein in den Gemeindebau. Eine Voraussetzung ist neben einem dringenden Wohnbedürfnis ein Hauptwohnsitz in Wien. Weiters gibt es gestaffelte Gehaltsobergrenzen, die den Zugang einschränken. Für eine Person beträgt das höchstzulässige Netto-Jahreseinkommen derzeit 42.250 Euro. Bei einen Zweipersonenhaushalt sind maximal 62.960 Euro pro Jahr erlaubt, bei drei Personen 71.250 Euro.

Untere Einkommensschichten haben zudem die Möglichkeit, um Wohnbeihilfe anzusuchen. Die Einkommens-Obergrenze für eine Person beträgt heuer monatlich 794,91 Euro Netto.

Negatives Jahresergebnis

Ein gutes Geschäft für die Stadt sind die von Wiener Wohnen verwalteten Gemeindebauten allerdings nicht. Im Jahr 2011 lag das Jahresergebnis von Wiener Wohnen bei Minus 89 Millionen Euro. Ein Grund dafür sind die massiven Investitionen in die Sanierung. Viele Gemeindebauten wurden in den vergangenen Jahren vollständig erneuert. Das hat immer wieder zu höheren Mieten geführt, weil die Mietzinsrücklage für die Bezahlung der Rechnungen nicht ausgereicht hat. Außerdem wurden durch die Sanierung viele Aufträge an Gewerbebetriebe vergeben. Sanierungen im Gemeindebau gelten in Wien auch als Wirtschaftsförderung.

Selbstverständlich gibt es auch für den Bezug der Wohnung eines gemeinnützigen Bauträgers – genannt Genossenschaftswohnung – Gehaltsobergrenzen. Diese entsprechen derzeit exakt der Vorgabe für den Einzug in eine Wiener Gemeindewohnung.

Bei der Förderung von Eigentum sind die Vorgaben der Gemeinde Wien für den Bezug höher. Für eine Person beträgt die Einkommensobergrenze 48.290 Euro, bei zwei Personen sind es 71.950 Euro. Bei einem Drei-Personen-Haushalt dürfen maximal 81.420 Euro verdient werden. Das Land Niederösterreich hat die Einkommensgrenzen etwas niedriger angesetzt. Eine Person darf nicht mehr als 35.000 Euro im Jahr verdienen. Für zwei Personen beträgt die Höchstgrenze 55.000 Euro. Jede weitere Person erhöht den Betrag um 7000 Euro.

Seinen vollen Namen will Christoph R. nicht in der Zeitung lesen. Schließlich hat er einen befristeten Mietvertrag – und hofft auf Verlängerung. Dennoch will er jetzt Geld zurück. „Ich hatte vorher schon den Eindruck, zu viel zu zahlen. Und am Jahresanfang wurde die Miete erneut um 30 Euro erhöht.“

Die Mythen ums Mieten auf dem Prüfstand
450 Euro zahlt er für 40 Quadratmeter: „Das sind fast 45 Prozent von meinem derzeitigen Einkommen.“ Jetzt will Herr R. eine Mietvertragsüberprüfung. „Beim Thema Wohnen muss den Vermietern klar werden, dass man nicht einfach zu viel verlangen kann. Wohnen ist für mich ein Grundrecht. Das Mietrecht muss strenger geregelt, die Einhaltung strenger überprüft werden.“

Herr R. ist kein Einzelfall. Fast im Minutentakt öffnet sich die Tür der Mietervereinigung im 1. Bezirk in Wien. Frau Weinländer klagt über Schimmel in der Wohnung, Herr Weisz über einen kaputten Aufzug. Und alle meinen: Wohnen ist zu teuer.

Das meint auch Georg Niedermühlbichler. Der Präsident der Mietervereinigung macht sich schon seit geraumer Zeit für eine Begrenzung der Mieten stark. „Seit der Finanzkrise herrscht ein Wettlauf um Zinshäuser. Die Rendite steht im Vordergrund.“

41.500 Fälle berieten er und seine 70 Mitarbeiter innerhalb des vergangenen Jahres – meist mit Erfolg. „Früher ging es oft um überhöhte Betriebskosten, Kautionen und verbotene Ablösen. In den vergangenen 15 Jahren hat sich unsere Tätigkeit immer mehr Richtung Überprüfung der Miethöhen verlagert“, erklärt Niedermühlbichler.

Wer einen unbefristeten Mietvertrag unterschreibt, hat bis zu drei Jahre Zeit, die Miethöhe überprüfen zu lassen. Bei befristeten Verträgen kann man den ganzen Miet-Zeitraum überprüfen lassen, wenn dies spätestens sechs Monate nach dem Mietende erfolgt. Oft zahlt sich der Aufwand aus: „Wir erstreiten bis zu 20.000 Euro für unsere Mitglieder“, sagt Niedermühlbichler. Im Vorjahr habe man stolze 2,6 Millionen Euro ausbezahlt.

„Seit der Finanzkrise herrscht ein Wettlauf um Zinshäuser. Die Rendite steht im Vordergrund.“ Georg Niedermühlbichler

Die Erstberatung ist kostenlos, der Mietgliedsbeitrag dann 55 Euro jährlich. Infos gibt es auch online auf www.mietervereinigung.at. 90 Prozent aller Streitfälle gewinne man, sagt Niedermühlbichler. Schließlich würden es die Vermieter oft auf eine Überprüfung ankommen lassen. Daher fordert er eine Reform des Mietrechts: Die Preisaufschläge auf den Richtwert müssten im Gesetz und im Mietvertrag aufgezählt werden. „Und wir wollen, dass die Zuschläge mit 25 Prozent gedeckelt sind.“ Er fürchtet nicht, dass dann weniger Mietwohnungen angeboten werden: „Wenn alle ihre Wohnungen nur verkaufen, wäre ja der Eigentumsmarkt kaputt. Das will niemand.“ Von der ÖVP-Idee, Österreich zu einem Land der Eigentümer zu machen, hält er nichts: „Mieten ist vernünftiger, weil die Menschen flexibler sind.“

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