Die Euro-Schiedsrichter

Die Euro-Schiedsrichter
Deutschland: Die Verfassungsrichter in Karlsruhe entscheiden indirekt über die gesamte Rettungsstrategie für die Währungsunion.

Die Zukunft des Euro liegt in den Händen von drei Frauen und fünf Männern: Gemeinsam bilden sie den Zweiten Senat des deutschen Bundesverfassungsgerichts und müssen am Mittwoch darüber entscheiden, ob der europäische Fiskalpakt und der permanente Euro-Rettungsschirm ESM mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar sind. Mit einem Nein könnten die Juristen die gesamte E­uro-Rettungsstrategie zu Fall bringen. Denn ohne Europas stärkste Volkswirtschaft wäre diese nicht durchführbar.

Entsprechend groß ist die mediale Aufmerksamkeit, die Anspannung von Politik und internationalen Finanzmärkten. Und entsprechend gewaltig ist der Druck auf die Richter. Laut einer Umfrage vom Freitag hoffen 54 Prozent der Deutschen, dass die Kläger recht bekommen. 20 führende Verfassungsrechtler sind hingegen davon überzeugt, dass die Richter in Karlsruhe die Eilanträge abweisen werden.

Das Kollektiv in den scharlachroten Gewändern mit den charakteristischen weißen Halstüchern – sie sind der Amtstracht der Richter im Florenz des 15. Jahrhunderts nachempfunden – ist sich der Tragweite seiner Entscheidung für die Zukunft der Währungsunion bewusst. Die Richter selbst sprachen von "möglicherweise irreversiblen Konsequenzen". Sie nahmen sich deshalb weit mehr Zeit als üblich, trafen sich zu Sondersitzungen auch im sitzungsfreien August. Für die Richter und ihre persönlichen Mitarbeiter galt eine strikte Urlaubssperre.

"Bienenstock"

Die Euro-Schiedsrichter
In der Eurozone haben sich die Kaufkraftparitäten im vergangenen Jahr aufgrund der relativ geringen Inflationsdifferenzen hingegen wenig verändert:

Das Verfassungsgericht ist normalerweise ein Ort der Diskretion, dessen Mitarbeiter sich bei der Arbeit nicht über die Schulter schauen lassen. Doch in diesem "Ausnahmeverfahren", wie es Gerichtssprecherin Judith Blohm bezeichnete, sickerte doch etwas von der angespannten Stimmung durch. "Wie in einem Bienenstock" gehe es zu, berichteten Informanten hinter vorgehaltener Hand.

Alle acht Richter des Zweiten Senats unter Vorsitz von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle sowie ein Dutzend wissenschaftlicher Mitarbeiter waren ausschließlich mit den Klagen gegen ESM und Fiskalpakt beschäftigt. Normalerweise gibt es einen Berichterstatter, dessen Dezernat die Entscheidung vorbereitet. In diesem Fall ist das der Verfassungsrichter und Staatsrechtler Peter Michael Huber. Doch diesmal waren alle Dezernate eingebunden.

Es handelt sich auch um die größte und vielleicht heikelste Verfassungsbeschwerde in der Geschichte der Bundesrepublik: Die Zahl der gegen den Euro-Rettungsschirm klagenden Bürger hat sich seit Ende Juni auf etwa 37.000 verdreifacht. Sie alle unterstützen die Beschwerde des Vereins "Mehr Demokratie" um die ehemalige SPD-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin. Geklagt haben auch die Bundestagsfraktion der "Linken" sowie der CSU-Politiker Peter Gauweiler.

Sie alle prangern an, den gewählten Volksvertretern im Bundestag werde sukzessive die Verantwortung für den Staatshaushalt entzogen. Der ESM-Vertrag übertrage die Verfügung über Steuergelder in dreistelliger Milliardenhöhe auf eine "demokratisch nicht legitimierte Organisation". Immerhin steht Deutschland für 190 der 700 Milliarden Stammkapital des ESM gerade – und dieses Kapital könnte im Notfall unbeschränkt erhöht werden.

Überraschende Urteile

Auch wenn sich Finanzminister Wolfgang Schäuble diese Woche von einer positiven Entscheidung der Verfassungsrichter überzeugt zeigte, steht ihr Urteil noch nicht fest. Schon mehrfach haben sie Regierungen in Berlin mit ihren Entscheidungen überrascht und zu gravierenden Kursänderungen gezwungen (siehe Artikelende).

In der mündlichen Verhandlung über den Rettungsschirm am 10. Juli wiesen zahlreiche Nachfragen der Richter auf ihr zentrales Interesse hin: Kann die Konstruktion des ESM dazu führen, dass Deutschlands Haftungen künftig – ohne Kontrolle des Bundestags – ins Unermessliche steigen? Schon mehrfach haben die Verfassungsrichter nämlich klargestellt, dass es für die Abgabe von Rechten und Kompetenzen an die EU eine "rote Linie" gibt – und darüber entscheiden die Frauen und Männer in den roten Talaren.

Karlsruhe stellt der Politik Leitplanken auf

In Karlsruhe sitzen unabhängige Richter, doch in der jüngsten Vergangenheit fiel ihnen öfters die Aufgabe zu, politische Richtungsentscheidungen zu treffen. Vor allem in Fragen, in denen sich die Parteien nicht einigen konnten, mussten die Richter der Politik Leitplanken vorgeben.

So beschlossen sie im Februar 2010 die Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze für Kinder und Erwachsene. Im Mai 2011 erklärten sie, dass sämtliche Regelungen zur Sicherungsverwahrung von Straftätern gegen das Grundgesetz verstoßen.

Auch in Sachen Euro-Rettung musste und muss das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe tätig werden. Etwa verbot es im vergangenen Februar ein neunköpfiges Sondergremium im Bundestag, das dringende Entscheidungen über Hilfsmaßnahmen im Alleingang treffen sollte. Im Juni stellten die Karlsruher Richter fest, dass das Parlament bei den Verhandlungen über den Euro-Rettungsschirm zu wenig informiert worden war.

Ein viel kritisiertes Urteil fiel erst im August zu einem anderen Thema. Die Richter entschieden, Einsätze der Bundeswehr innerhalb Deutschlands zu erlauben. Die Politik hatte das schon seit zwei Jahrzehnten gefordert – vergeblich. Kritiker behaupten, das Urteil sei keine Verfassungsinterpretation, sondern eine -änderung gewesen.

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