Strom: Die Angst der Versorger vor ihren Kunden

Immer mehr private Haushalte produzieren den benötigten Strom selbst.

"Wir erleben eine Demokratisierung der Energieversorgung." Wolfgang Anzengruber, Chef von Österreichs größtem Stromproduzenten Verbund, versucht dem Umbruch in der Strombranche etwas Positives abzugewinnen. Positiv ist er ja eigentlich auch – für die Kunden, nicht so sehr für große Versorger wie den Verbund.

Denn die Stromkunden, jahrelang brave Bezieher und Zahler des gelieferten Stroms, produzieren die Energie in zunehmendem Ausmaß selbst. "Die Kunden liefern plötzlich Strom in unser Netz. Aus den paar wenigen Energieversorgern werden Millionen", sagt Anzengruber. Fotovoltaik ist der Treiber dieser Entwicklung. Zig-Tausende von Einfamilienhäusern haben schon Solarpaneele auf dem Dach, viele auch Batterien im Keller. Stromversorger brauchen sie immer weniger.

Mit der voranschreitenden Digitalisierung wird sich die Abhängigkeit der Kunden von ihren Stromversorgern noch weiter verringern. "Kunden können sich Strom in Zukunft gegenseitig verkaufen", glauben die Berater von PWC. Eine Technologie, die derzeit in vieler Munde ist, soll das ermöglichen: Blockchain. Das ist so etwas wie eine dezentrale Datenbank, bei der Verbraucher und Lieferanten direkt miteinander verknüpft sind.

Solarer Austausch

Das könnte dann so funktionieren: Ein Haushalt produziert Sonnenstrom, braucht ihn aber gerade nicht und verkauft ihn der Nachbarin, die kocht oder Wäsche wäscht. Dafür bekommt der Verkäufer Punkte in seiner elektronischen Strom-Brieftasche. Damit kann er wiederum sein Auto bei einer Stromtankstelle auftanken. Gesteuert wird das ganze über eine App am Handy. Der Stromverkauf von privat zu privat ist natürlich viel billiger, als Strom von großen Kraftwerken zu kaufen.

Derzeit müssen private Fotovoltaik-Stromerzeuger die Überschussenergie zu durchschnittlich sechs bis sieben Cent je Kilowattstunde an den Versorger verkaufen. Brauchen sie zusätzlichen Strom, zahlen sie dafür allerdings 19 Cent je kWh an ihren Stromlieferanten. Die großen Stromversorger sehen diese Entwicklung mit Sorge. Denn sie betreiben Großkraftwerke und Überlandleitungen. Beides könnte in einer digitalen Stromwelt zum Lückenbüßer verkommen. Sprich: Sie werden nur noch dann gebraucht, wenn die dezentrale Versorgung nicht funktioniert.

Damit werden sie die Kosten kaum decken. Verbund-Chef Anzengruber versucht, die neuen Technologien ins Haus zu holen und Kooperationen mit Strom-Start-ups einzugehen. "Wir müssen das Vertrauen der Kunden in unser System stärken", sagt er. Die Versorgungssicherheit garantierten die Höchstspannungsleitungen und Großkraftwerke. Wer aber wird das bezahlen?

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