Deutschland auf dem Weg in die Deflation

Die Deflationsgefahr im Euroraum steigt.
Inflationsrate war im Jänner negativ - erstmals seit September 2009. Was bedeutet das?

Deutschland hat im Jänner sinkende Preise verzeichnet - erstmals seit dem Höhepunkt der Finanzkrise im September 2009. Die jährliche Inflationsrate betrug minus 0,3 Prozent, teilte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mit. Das gibt den Befürchtungen neue Nahrung, dass die gesamte Eurozone in eine Spirale aus fallenden Preisen und Löhnen (Deflation) stürzen könnte. Notenbanker warnen, dass es daraus nur sehr schwer ein Entrinnen gibt. Die Schätzung der Jänner-Inflationsrate für den Euroraum veröffentlicht die Statistikbehörde Eurostat am Freitag, 30. Jänner. Experten erwarten ebenfalls ein deutliches Minus.

Wegen Ölpreistief

Der Preisrückgang Anfang 2015 war in Deutschland allerdings vor allem durch die billigeren Rohölpreise angestoßen. Die deutschen Verbraucher mussten für Haushaltsenergie und Kraftstoffe um neun Prozent weniger bezahlen als vor einem Jahr. Allerdings verbilligten sich zugleich auch Nahrungsmittel um 1,3 Prozent. Gestiegen sind vor allem die Kosten für Dienstleistungen um 1,2 Prozent und für Nettokaltmieten um 1,3 Prozent.

Die negative Inflationsrate in Deutschland bedeutet, dass auch im Euroraum die Jänner-Teuerung mit hoher Wahrscheinlichkeit negativ ausfallen wird. Schon im Dezember hatte die Inflationsrate minus 0,2 Prozent betragen. Österreich ist hingegen von fallenden Preisen weit entfernt und war zuletzt sogar das EU-Land mit der höchsten Teuerung.

Noch kein Preisverfall

In Deutschland gehen Experten hingegen davon aus, dass die Verbraucherpreise auch künftig sinken werden. "Niedrigere Energiekosten werden auch in den kommenden sechs Monaten für negative Inflationsraten sorgen", ist sich Ökonomin Jennifer McKeown von Capital Economics sicher.

Von einer Deflation - einem lang anhaltenden Preisverfall auf breiter Front - sprechen die meisten Experten aber noch nicht. "Zu den Merkmalen einer Deflation gehören auch sinkende Investitionen und ein schrumpfender privater Konsum", sagte Postbank-Experte Bargel. "Das sehen wir in Deutschland und auch in Europa nicht. Im Gegenteil." Die kleinere Energierechnung entlaste Verbraucher wie Unternehmen um Milliarden.

"Das ist gut für das Wachstum", sagte auch Analyst Christian Schulz von der Berenberg Bank. "Verbraucher sparen Geld, das sie für andere Dinge ausgeben können."

Im Jänner sind in Deutschland die Preise gefallen. Wie dramatisch ist das zu bewerten?

Ob es dramatisch zu werten ist, da gehen die Meinungen auseinander. Bedeutsam ist es auf alle Fälle: Wenn nun bereits Deutschland, wo die Wirtschaftslage äußerst solide und die Konsumlaune überraschend gut ist, mit sinkenden Preisen zu kämpfen hat, heißt das, dass sich der Euroraum als Ganzes noch lange nicht aus der Deflationsbedrohung befreien kann.

Steckt Deutschland jetzt schon in der Deflation?

Das ist Definitionssache. Viele Beobachter schauen einfach auf den jährlichen Teuerungswert - wenn er negativ ist, sprechen sie von Deflation. Das wäre in Deutschland und der Eurozone bereits jetzt der Fall. Die Börsenkurse gaben sofort nach der Meldung deutlich nach.

Andere Ökonomen und viele Notenbanker betonen hingegen, dass eine negative Deflationsspirale erst dann eintritt, wenn die Preise über einen längeren Zeitraum und auf breiter Front fallen. Weil der aktuelle Rückgang vor allem von den sinkenden Energiekosten getrieben ist, lässt sich argumentieren, dass es noch nicht so weit ist. Sie sprechen dann meist von Disinflation.

Was ist so bedrohlich an sinkenden Preisen?

Eine negative Deflationsspirale entsteht, wenn die Konjunktur schwach ist und der Pessimismus groß. Die Unternehmen können ihre Absatzziele nicht erreichen, sie stutzen deshalb ihre Investitionen zurück und fahren einen verschärften Sparkurs. Dadurch steigt die Arbeitslosigkeit und es entsteht Druck auf die Löhne.

Weniger Einkommen bedeutet freilich, dass auch der Konsum gebremst wird - und wer noch Geld in der Tasche hat, gibt es auch nicht aus: Schließlich könnten die Anschaffungen in einem halben Jahr noch billiger sein. Japan steckt seit Jahrzehnten in einer solchen Stagnation fest. So weit sind wir in Europa noch lange nicht. Erste Anzeichen - den Pessimismus, die Investitionsschwäche, außerhalb Deutschlands auch die Konsumzurückhaltung - könnte man aber durchaus schon erkennen.

Hat nicht die Europäische Zentralbank der Deflation den Kampf angesagt?

Ja, und zwar mit einer mächtigen Ankündigung. EZB-Chef Mario Draghi hat am 22. Jänner die vielbeschworene "Bazooka" ausgepackt. Mit Wertpapierankäufen von 60 Milliarden Euro im Monat, die ab März einsetzen sollen, will die EZB mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf pumpen. Solche mächtigen Geldspritzen treiben üblicherweise die Inflation an. Skeptiker sehen bereits jetzt Anzeichen, dass das in diesem Fall nicht funktionieren könnte.

Wie das, die EZB-Aktion kann doch noch gar nicht wirken, oder?

Das stimmt nur zum Teil. Für die Jänner-Inflationsrate in Deutschland konnte die EZB-Aktion natürlich noch keine Folgen haben. Die Entwicklung der Inflation hängt aber ganz stark von Erwartungshaltungen ab. Das kann nämlich zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Einfacher ausgedrückt: Wenn die Konsumenten und Investoren fallende Preise erwarten und ihr Handeln darauf abstimmen, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Preise tatsächlich fallen - und umgekehrt. Deshalb spricht EZB-Chef Mario Draghi im Idealfall davon, dass die "mittelfristigen Inflationserwartungen fest verankert" sind, und zwar beim offiziellen EZB-Ziel einer Teuerungsrate von unter, aber nahe 2 Prozent. Das hat man aus seinem Munde nun schon länger nicht gehört.

Was bedeutet das für die Geldpolitik der EZB?

Den Notenbankern sollte zu denken geben, dass die Ankündigung des gewaltigen Anleihenkaufprogramms die Inflationserwartung bisher noch nicht ins Positive gedreht hat. Die Märkte rechnen weiterhin mit einer bedrohlich niedrigen Inflation.

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