"Der Kaiser ist weit weg"

Für seinen neuen Wirtschaftskurs ist Peking auf die Mithilfe der Provinzen angewiesen.

Auf dem Weg nach Wuhan in Zentralchina, dort, wo der Jangtsekiang und der Han zusammenfließen. Die Autobahn ist nagelneu. Die Mautstationen sind gleichzeitig auch als Section Control im Einsatz. Wer zu schnell unterwegs ist, zahlt mit der Maut die Verkehrsstrafe mit. „Eine Superidee“, findet Friedrich Strasser, Partner und Vorstandsmitglied der Bank Gutmann.

Noch viel mehr ins Schwärmen kommt Strasser, wenn er von den Firmen erzählt, die er auf seiner Reise durchs Reich der Mitte besucht hat. Etwa einen 32-jährigen Gastronomen, der in Wuhan (mit rund 9,8 Millionen Einwohnern) vor acht Jahren sein erstes Restaurant eröffnet hat. Jetzt gibt es von den „Sauber und gut“-Lokalen bereits mehr als hundert – und der Besitzer überlegt, in andere Städte zu expandieren.

"Der Kaiser ist weit weg"
epa03648728 Picture taken 02 April 2013 made available 03 April 2013 shows passengers on the high speed train to Beijing at Guangzhou South Railway station, terminus for high speed trains in the south Chinese city. According to state media China has over 9,700km of high speed train routes with a nationwide grid of 25,000km slated for completion by 2020. China claims the fastest trains in the world capable of running at 350km/h though a series of accidents in recent years has led to a reduction of top speeds on many routes to around 300km/h. Beijing has restructured the railway industry and the ministry overseeing it in hopes of avoiding further corruption, budget and oversight issues that have plagued it for years. EPA/ADRIAN BRADSHAW
In Wuhan entsteht neben dem Automobil-Cluster – wo auch europäische Konzerne vertreten sind – gerade ein riesiger Biotech-Cluster. Zumindest für einen Teil jener 1,2 Millionen Hochschulabsolventen, die die Stadt jährlich vorzuweisen hat, sollte es damit kein Problem sein, einen guten Job zu finden.

Während Analysten China, der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt, schwächere Wachstumsraten voraussagen, hat sich Strasser auf seiner Reise eine ganz andere Meinung gebildet: „7,5 Prozent Wirtschaftswachstum schaffen die locker.“ Das Aber dabei: China müsse es schaffen, effizienter zu werden, ohne dabei höhere Arbeitslosenraten zu erzeugen.

Gegensätze

China ist ein Land der enormen Gegensätze. Auf der einen Seite gibt es neben den Superreichen eine wachsende Mittelschicht. In den nächsten Jahren werden sich weitere 150 bis 200 Millionen Chinesen zu dieser Schicht zählen dürfen. Auf der anderen Seite sind vor allem die Landbevölkerung und die Wanderarbeiter, die ihr Heil in den Städten suchen, bitterarm.

Weitere Gegensatzpaare: Alte Industrie-Anlagen blasen tonnenweise Dreck in die Luft. Umweltvorgaben aus Peking werden in der Provinz nicht überall umgesetzt. Das Motto dabei – sowie in vielen anderen Bereichen: „Der Kaiser ist weit weg.“ Gleichzeitig investiert China so viel in erneuerbare Energien wie sonst niemand. Umwelttechnik ist zum rasch wachsenden Wirtschaftszweig geworden. Nach einer Reihe von Lebensmittelskandalen achten Chinesen, die es sich leisten können, auf „sauberes“ Essen aus europäisch anmutenden Supermärkten. Die Ärmeren kaufen auf Märkten und in Garküchen ein – wo der Ausdruck Kühlkette ein Fremdwort ist.

Staatschef Xi Jinping hat den „chinesischen Traum“ zur neuen Ideologie ausgerufen. Welche Traumbilder er sich dabei vorstellt, muss er noch definieren. Vorläufig hat er noch gegen etliche Albträume zu kämpfen. Etwa jenen der Immobilienpreise, die in den Himmel schießen und sich bisher durch nichts stoppen ließen, auch nicht durch teilweise restriktivere Kreditvergaben. Gemessen am Einkommen ist es mittlerweile teurer, in Peking eine Wohnung zu kaufen als in Großbritannien oder Japan, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters am Montag. Zu den Albträumen gehört auch der stark wachsende Autoverkehr. Im Oktober wurden 1,92 Millionen Fahrzeuge verkauft, um 20,3 Prozent mehr als vor einem Jahr.

In nicht einmal 25 Jahren hat China seinen Anteil an der Weltwirtschaft vervierfacht – von 3,8 auf 16 Prozent. Der Preis für zweistellige Wachstumsraten war groß: China ist heute der Umweltsünder Nummer eins. Und damit Hauptthema bei der 19. UN-Klimakonferenz, die am Montag in Warschau startete.

Billige Waren, die in alle Welt exportiert werden: Dieses Modell ist an seine Grenzen gestoßen. China braucht nicht mehr, sondern nachhaltigeres Wachstum. Künftig sollen sich die Chinesen selbst mehr leisten können: Der private Konsum soll die Konjunktur stützen.

In den letzten Quartalen war davon aber wenig zu sehen. Der Reformprozess sei fast zum Stillstand gekommen, sagt Anna Stupnytska, Schwellenländer-Expertin der Vermögensverwaltung von Goldman Sachs. Sie erhofft sich nun Signale über den Kurs, nachdem das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei vier Tage lang hinter verschlossenen Türen beraten hat – etwa, dass Peking künftig „nur“ 7 Prozent Plus anpeilt, soziale Reformen ankündigt, Wanderarbeitern in den Städten mehr Rechte einräumt oder den Finanzsektor ummodelt.

Heikel wird die Korrektur auf jeden Fall. Falsche Anreize hatten die Provinzen und Staatskonzerne jahrzehntelang auf rasches Wachstum über Kredite gepolt. „China hat sicher ein Schuldenproblem, aber wie viel die faulen Kredite ausmachen, weiß niemand“, sagt Stupnytska. Die Löcher in den Bilanzen der Staatsbanken oder Provinzregierungen ließen sich mit den riesigen Währungsreserven stopfen. Unklar ist aber, wie viel abseits davon bei Schattenbanken oder Schwarzmarkt-Kreditfirmen liegt. Laut Schätzungen haben sich die Schulden der Provinzregierungen seit Ausbruch der Krise verdoppelt.

Schwellenländer-Expertin Anna Stupnytska arbeitet seit 2005 bei Goldman Sachs und ist Executive Direktor der Vermögensverwaltungssparte (GSAM) in London. Sie hat zuvor eng mit Goldman-Legende Jim O'Neill zusammengearbeitet, dem "Erfinder" der Bezeichnung BRIC (Brasilien, Russland, Indien, China). Sie ist eine Hauptrednerin bei der BRICS-Konferenz 2013 der Aussenwirtschaft Austria am Dienstag in Wien.

- Chinas Wirtschaftsreformen: Bisher galt die Devise: Wachsen um jeden Preis. Künftig braucht China nicht mehr, sondern besseres, nachhaltigeres Wachstum. Das Augenmerk gilt nicht mehr Investitionen und Exportrekorden, sondern dem höheren Wohlstand und Konsum der Chinesen. In den letzten Quartalen ist dieser Reformprozess aber fast zum Stillstand gekommen. Von der Tagung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, die heute (Dienstag) endet, erwarten wir uns Hinweise auf die politischen Pläne.

- Pekings neuer Kurs: Signale wären, wenn Peking künftig „nur“ 7 Prozent Wachstum anpeilt, soziale Reformen ankündigt, Wanderarbeitern in den Städten mehr Rechte einräumt oder den Finanzsektor ummodelt. Für Anleger ist der Aufstieg der chinesischen Verbraucher das große Thema: Die Mittelschicht wird breiter, damit werden Branchen wie Konsumgüter, Dienstleistungen, Gesundheit und Finanzservices, aber auch Tourismus interessant.

- Schattenbanken, Schulden und faule Kredite: Das neue Austarieren des Wirtschaftsmodells ist heikel: Falsche Anreize hatten Chinas Provinzen und große Staatsunternehmen jahrzehntelang ausschließlich auf Wachstum durch Kredite gepolt. Schätzungen zufolge haben sich die Schulden der Provinzregierungen allein seit Ausbruch der Finanzkrise verdoppelt. China hat sicher ein Schuldenproblem, aber wie viel die faulen Kredite ausmachen, weiß niemand. Die Währungsreserven des Staates sind wohl groß genug, um Löcher in den Bilanzen der Banken und Provinzen abzufedern. Unklar ist, wie viel zusätzlich bei Schattenbanken oder Schwarzmarkt-Kreditfirmen ausgelagert wurde.

- Chinas Währung: Der Staatseinfluss auf die Landeswährung Renminbi/Yuan nimmt ab. Zugleich steigt dessen Bedeutung für internationale Finanzgeschäfte. Dass die Währung schon 2015 völlig frei handelbar ist, ist aber unwahrscheinlich – das passiert wohl eher im Laufe des Jahrzehnts. Momentan ist die Währung nicht mehr sehr unterbewertet, sondern nahe einem fairen Wechselkurs. Ein schwacher Renminbi hat in der Vergangenheit den Exporten geholfen, eine stärkere Währung unterstützt den Reformkurs zu mehr Binnennachfrage.

- Zinssenkung der EZB: Die Europäische Zentralbank war gegenüber den Notenbanken in den USA, in Japan und Großbritanniens ins Hintertreffen geraten: Hätte sie die Zinsen nicht gesenkt, wäre das einer strafferen Geldpolitik gleichgekommen. Ein Problem sind weiterhin die schwachen Banken in einigen Euroländern. Darunter leidet das Kreditwachstum. Wir erwarten deshalb 2014 weitere EZB-Aktionen.

- Folgen der Zinswende: Würde die US-Notenbank Federal Reserve die Zinsen allzu rasch anheben, hätte das dramatische Folgen für einige Schwellenländer – vor allem jene mit geringen Wachstumsraten. Damit rechnen wir aber nicht. Wahrscheinlich wartet die Fed mit der Zinsanhebung, bis die US-Wirtschaft einige Quartale über dem Trend wächst. Dann ist hoffentlich auch die Konjunktur in den Schwellenländern bereits besser.

- Wachstum: Gewinner, Verlierer unter den Schwellenländern: Die USA treiben derzeit das globale Wachstum an. Davon profitieren Länder, die über den Handel eng verbunden sind wie Korea oder Mexiko. Sie könnten 2014 positiv überraschen. Anders als vor 10 Jahren sind Investitionen in Schwellenländern kein Selbstläufer mehr, man muss genauer hinschauen.

Als die US-Notenbank im Sommer 2013 eine straffere Geldpolitik angedeutet hat, hat sich gezeigt, welche Länder verwundbar sind: Solche, die wirtschaftlich schlecht ausbalanciert sind - wie Indien, Türkei, Brasilien oder Indonesien. Das gilt auch für Russland, das mehr tun muss, um Wachstum abseits der Rohstoffexporte zu finden. Wir hätten durchschnittlich 4 bis 5 Prozent Plus erwartet; jetzt hat Russland die Trendprognose auf 2,5 Prozent revidiert.

Zentral- und osteuropäische Länder wie Polen, Tschechische Republik oder Ungarn sind in ganz guter Verfassung. Sie haben niedrige Leistungsbilanzdefizite, stabile Institutionen, wenig Inflation. Falls sich die Eurozone weiter erholt, sollten anständige Wachstumsraten möglich sein – etwa ein, zwei Prozentpunkte mehr als in Westeuropa.

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