Christoph Klein: "Den Standort nicht krankreden"

Interview mit Christoph Klein, Direktor der Arbeiterkammer in Wien.
Der AK-Direktor über die Politik des Postfaktischen und über negative Stimmungen.

KURIER: Vor allem die Industrie kritisiert die Standortqualität Österreichs. Jüngster Anlass waren die Eröffnung des Voest-Werkes und die Pläne von Lenzing in den USA. Sollte sich die AK nicht auch Sorgen machen?

Christoph Klein: Als ich vor Kurzem dazu den Generalsekretär der Industriellenvereinigung in Ö1 hörte, dachte ich mir, es kann doch nicht sein, dass an sich verantwortungsbewusste Vertreter von Österreichs Wirtschaft auch schon in die Politik des Postfaktischen verfallen. Dass Politik über Stimmungen gemacht wird – Stichwort Brexit, Italien, Trump – und mit Pessimismus gearbeitet wird anstatt mit Fakten. Ich appelliere an die Wirtschaftsvertreter, das Postfaktische nicht zur Grundlage der Diskussionen zu machen.

Sie werfen Wirtschaftsvertretern vor, den Standort schlechter zu machen, als er ist?

Der "Abgesandelt-Sager" des WKÖ-Präsidenten war der Auftrittsmonolog für diese Stimmung. Wir leben in einer Demokratie, da kann jeder frei sagen, was er will. Aber diese postfaktischen Aussagen bewirken ja etwas, das sehen wir beim Brexit. In der Wirtschaft ist das nicht anders: Eine positive Stimmung ist ein wesentlicher Faktor für die Investitionsbereitschaft der Unternehmen. Wird eine negative Stimmung befeuert, dämpft das die Investitionsfreude.

Psychologie ist sicher wichtig, aber die Fakten sprechen eine andere Sprache. Jammern ist der Gruß des Kaufmanns. Das Jammern hat ja den Zweck, Interessen durchzusetzen. Trump war mit seinem Pessimismus sehr erfolgreich. Anhand der Daten kann ich aber eine Verschlechterung des Standortes nicht sehen. Österreich ist noch immer eines der attraktivsten Länder der EU.

Noch. Das kann sich rasch ändern.

Beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf sind wir an vierter Stelle und vor Deutschland. Die Industrieproduktion stieg seit 2010 in der Eurozone um rund fünf Prozent, in Deutschland um zehn und im angeblich so schlechten Österreich um 13 Prozent. So mies können wir nicht sein, wenn unsere Industrie schneller wächst als die deutsche. Und unsere Exportquote ist auf dem Niveau von vor der Krise.

Aber die sinkende Investitionsquote ist ein Alarmsignal.

Die Investitionsquote (Investitionen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt) ist seit Ende der 1990er-Jahre in ganz Europa gesunken. Das ist der Vormarsch des Finanzkapitals gegenüber der Realwirtschaft. Es gibt leider noch immer zu große Anreize, in Finanzprodukte zu investieren als in Menschen und Maschinen. Dabei ist Österreich bei der Investitionsquote mit knapp 23 Prozent immer noch führend. Deutschland liegt bei 20 Prozent.

Dann ist eh alles super. Wie erklären Sie, dass Österreich in den internationalen Rankings dauernd nach unten rutscht?

Die teils skurrilen Rankings sagen wenig über die regionale Standortqualität. Aber natürlich brauchen wir mehr Wachstum und Investitionen. In Österreich wie im gesamten Euro-Raum, unserem Haupt-Exportgebiet. Denn wir leiden unter zu hoher Arbeitslosigkeit. Das sehe ich als Hauptproblem für den Standort, und nicht die Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Industrie. Die Arbeitslosigkeit werden wir aber nicht besiegen, wenn wir den Standort krankreden und damit das Investitionsklima verschlechtern.

Bei Forschung und Entwicklung sind wir auch nicht so toll.

Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Relation zum Bruttoinlandsprodukt liegen in Österreich bei drei Prozent und in Deutschland bei 2,8 Prozent. Vor uns sind nur Finnland, Schweden und Dänemark. Unsere viel geschmähte Regierung ist – man möchte es nicht glauben – mit einer staatlich finanzierten Forschungsquote von einem Prozent Europameister. Ein Grund dafür ist die großzügige steuerliche Forschungsprämie.

Die Wirtschaft klagt auch über zu hohe Arbeitskosten und zu viel Bürokratie.

Die Lohnstückkosten, also das Verhältnis zwischen Produktivität und Löhnen, haben sich in der Industrie parallel zu Deutschland entwickelt, in der Gesamtwirtschaft sogar günstiger als in Deutschland. Bei den Arbeitskosten pro Stunde liegen wir in der Industrie deutlich niedriger als Deutschland. In der Exportindustrie sinken die Arbeitskosten je Einheit seit Jahren. Freilich sollten wir dennoch die Abgabenbelastung der Arbeit reduzieren.

Zurück zu Voest und Lenzing. Dass Betriebe absiedeln, ist doch traurige Realität.

Die Voest hat in den USA billige Energie. Noch wichtiger für die Entscheidung ist die Nähe zu einem Hafen, wo Tausende Tonnen billiges Eisenerz aus Brasilien angeliefert werden können. Lenzing erhält attraktive Förderungen, ohne sich mit den EU-Beihilfenregeln herumschlagen zu müssen, profitiert ebenfalls von den niedrigen Energiepreisen und hat mit den USA einen riesigen Absatzmarkt für Fasern. Das alles hat wenig mit Arbeitskosten und Bürokratie zu tun.

Faktum ist, dass Betriebe absiedeln.

Stimmt, aber das wird durch Ansiedlungen mehr als wettgemacht. 2015 wurden sieben Betriebe oder Teile davon ins Ausland verlagert, davon waren leider 1500 Arbeitsplätze betroffen. Aber 297 Ansiedlungen haben mehr als 2600 neue Jobs gebracht. Nochmals: So schlecht kann der Standort nicht sein.

Müssen die Unternehmer nicht endlich von der lähmenden Bürokratie entlastet werden?

Alles, was mühselig ist, ohne dass ein ausreichender Sinn dahintersteckt, muss vereinfacht werden. Da sind wir gerne Partner der Wirtschaft. Gründungen und laufendes Geschäft müssen durch einfachere Verwaltungsverfahren erleichtert werden. Aber natürlich sind zum Beispiel feuerpolizeiliche Auflagen einzuhalten. Wir dürfen nicht auf Bangladesch-Niveau hinunterfallen. Das hatten wir vor hundert Jahren.

Jetzt malen Sie den Teufel an die Wand. Niemand will in Österreich brennende Textilfabriken. Die von der Regierung groß angekündigte Reform der Gewerbeordnung ist nicht einmal ein Reförmchen.

Bei der Gewerbereform hatte die Regierung die Latte zunächst sehr hoch gelegt, sich dann aber wie jede seriöse Politik zu den Mühen der Ebene begeben müssen – also den Fragen der praktischen Umsetzung. Ein Friseur wird nicht unbedingt eine Meisterprüfung benötigen, da kann man sicher abspecken.

Schlimmer als eine missglückte Frisur wären aber etwa finanzielle Schäden, wie sie beispielsweise beim Vermitteln einer Lebensversicherung entstehen können, wenn die Ausbildungs- und Haftungsregeln für Versicherungmakler wegliberalisiert würden. Man kann bei der Gewerbeordnung sicher noch einiges erleichtern, muss aber auf drei Werte aufpassen. Den Schutz der Konsumenten. Die Qualität der Lehrausbildung, für die Österreich international bekannt ist, und die Kollektivverträge, die mit der Gewerbeberechtigung verknüpft sind. Der Standort Österreich wäre viel schlechter, wenn sich die Unternehmen wechselseitig beim Lohn dumpen könnten.

Stichwort Regierung. Ihre Bilanz über den New Deal?

Ich glaube, es war sehr gut, mit dieser Ansage Schwung und eine bessere Stimmung hineinzubringen. Wichtig fände ich, das, was bisher gelungen ist, überzeugend darzustellen. Zu sagen, schaut, was wir alles zusammengebracht haben. Die Regierung ist zum Beispiel bei der Gewerbeordnung in die Marketingfalle gegangen. Wenn Ankündigungen zu hohe Erwartungen wecken, kann auch ein achtbares, gutes Ergebnis Enttäuschung auslösen.

Wo war die Regierung erfolgreich?

Wirklich toll finde ich das Schulautonomie-Paket von Hammerschmid und Mahrer. Oder die 750 Millionen Euro für die Ganztagsschule. Sowie die Investitionsstimulierungen für Gemeinden und KMUs und die Wiedereinführung der Stipendien für Fachkräfte.

Zur Person: Christoph Klein

Der Jurist startete seine Karriere als Assistent am Institut für Römisches Recht an der Uni Salzburg. Nach einem Forschungsprojekt des Europarates in Stockholm und dem Gerichtsjahr begann der zweifache Vater 1987 als Referent in der Wiener Arbeiterkammer, ab 2003 Bereichsleiter für Soziales. Von 2009 bis 2013 Vize-Generaldirektor des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, dann wieder Rückkehr in die AK. Seit 1. Juli 2016 als Direktor der Wiener AK Nachfolger von Werner Muhm. Klein ist mit der auf Arbeitsrecht spezialisierten Anwältin Sieglinde Gahleitner verheiratet, Richterin am Verfassungsgerichtshof.

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