Chinas Vize-Außenministerin über Krise

Chinas Vize-Außenministerin über Krise
Fu Ying spricht im Interview über Europas Schuldenkrise, das Verhältnis zur EU und die Entwicklung ihres Landes.

China ist derzeit die einzige Lokomotive der Weltwirtschaft, Exportweltmeister und in Krisenzeiten gefragter Geldgeber und Investor. Die für Europa zuständige Vize-Außenministerin Fu Ying nahm am Wochenende an der World Policy Conference in der Hofburg teil. Der KURIER traf die Karriere-Diplomatin in Wien zum Interview.

KURIER: Wie bewerten Sie die Ergebnisse des jüngsten EU-Gipfels in Brüssel? Werden die Maßnahmen ausreichen?

Fu Ying: China verfolgt die großen Bemühungen der EU und der Staaten der Eurozone genau. Der französische Präsident und die deutsche Kanzlerin arbeiten hart. Wir hoffen, dass sie zusammen mit den anderen EU-Mitgliedern eine Lösung finden. Das ist auch für China wichtig. Die EU ist unser größter Handelspartner. In diesem Oktober gingen unsere Exporte in die EU zurück. Wir wünschen uns eine rasche Erholung Europas, sind aber nicht allzu besorgt. Viele europäische Staaten habe eine wirklich starke Wirtschaft und moderne Technologien, die Realwirtschaft funktioniert. Es sind nur einige Länder, die Probleme haben und für die die Europäer jetzt Lösungen finden müssen. Sie werden damit fertig werden.

Wird China Problemstaaten durch den Kauf von Staatsanleihen weiter unter die Arme greifen?

China war von Anfang an Teil der weltweiten Bemühungen, die Finanzkrise zu bekämpfen – und das werden wir weiter sein. Denn wir sind alle voneinander abhängig. Chinas jährliche Direktinvestitionen im Ausland werden in den nächsten fünf Jahren 100 Milliarden US-Dollar betragen, aber nur ein Bruchteil davon geht nach Europa. Viele Europäer fühlen sich nicht wohl beim Gedanken an chinesische Investoren. Dabei verfolgen wir damit keinerlei politischen Motive.

Deutschland und Frankreich nehmen eine Führungsrolle in der Schuldenkrise ein. Werden sie für China ab nun die vorrangigen Ansprechpartner sein?

Wir sehen es nicht so. China pflegt enge bilaterale Beziehungen sowohl zu einzelnen Ländern als auch zur EU. Österreich ist auch ein starker Partner für China.

Wie bewerten Sie die Beziehungen zu Österreich?

Ausgezeichnet. Präsident Hu Jintao hat erst im Oktober einen sehr erfolgreichen Staatsbesuch in Österreich absolviert, der gute Ergebnisse erzielt und das Image Ihres Landes in China enorm aufgewertet hat. Es gab eine umfangreiche Berichterstattung im Fernsehen und in den Zeitungen. Es war für Österreich eine sehr gute P.R. China ist der größte Handelspartner Österreichs außerhalb Europas, und chinesische Investoren haben ein wachsendes Interesse an Ihrem Land.

 

Auch China hat intern große Probleme: Es gibt Warnungen vor einer Immobilienblase. Viele Unternehmen sind verschuldet und haben Schwierigkeiten, Kredite zu bekommen. Droht Ihrem Land selbst eine Krise?

Schon die Finanzkrise Ende 2008 hat China voll getroffen. Die Regierung hat umfangreiche Maßnahmen ergriffen, um die Wirtschaft zu stimulieren. Diese Maßnahmen haben auch zu guten Ergebnissen geführt. Heuer nahm der Inflationsdruck einmal zu. Es gab Sorgen über die Immobilienpreise. Jetzt sind wir am Jahresende und die Statistiken zeigen, dass wir erfolgreich gegensteuern konnten. Das Wachstum liegt bei 9,4 Prozent in den ersten drei Quartalen und es wird sich fortsetzen, weil weite Teile im Westen Chinas noch großes Entwicklungspotenzial haben. Generell verschiebt sich aber unser Schwerpunkt von der Geschwindigkeit des Wachstums hin zur Qualität, zu Nachhaltigkeit, grüner Energie und zum Wohlstand der Bevölkerung sowie zum Aufbau der sozialen Sicherungsnetze.

China wird für seinen Umgang mit Dissidenten stark kritisiert. Schätzen Sie die Unzufriedenheit im Land so hoch ein, dass einzelne Kritiker eine Bedrohung für die Ordnung darstellen können?

Nennen Sie die Occupy-Wall-Street-Aktivisten und die jugendlichen Plünderer im Sommer in London Dissidenten? Wenn nein, warum verwenden Sie dann dieses Wort für China? Das Wort klingt für mich nach Kaltem Krieg. Es ist ein alter, belasteter Begriff. Es ist wichtig, dass die Europäer aus dem Kalten-Krieg-Denken herauswachsen. China befindet sich mitten in einem tiefgreifenden Reformprozess und bemüht sich dabei um Stabilität. In Europa dauerte es 300 Jahre mit vielen Höhen und Tiefen, um das heutige Niveau zu erreichen. China ist in einer mittleren Phase der Industrialisierung und hat sein eigenes Rechtssystem aufgebaut. China braucht Kritik, um sich weiter zu reformieren, aber konstruktive Kritik – keine, die darauf abzielt, zu zerstören. China hat es geschafft, 1,3 Milliarden Menschen mit genug Essen zu versorgen, das ist eine enorme Errungenschaft. Aber zugleich ist China immer noch mit weiteren enormen Herausforderungen konfrontiert – etwa das Wohlstandsgefälle zwischen Osten und Westen, zwischen Stadt und Land.

Wie schwer haben es Frauen in Chinas Spitzenpolitik?

Wir Chinesen glauben: ,Den Frauen gehört die Hälfte des Himmels‘. Gleichbehandlung wird bei uns großgeschrieben – in der Arbeit, bei der Bezahlung. Ich selbst wuchs ohne jede Benachteiligung auf. Aber die Herausforderung für Frauen bleibt, dass sie immer zwei Jobs haben – am Arbeitsplatz und in der Familie. Allerdings beteiligen sich jetzt auch immer mehr Männer an der Arbeit zu Hause. Im 11. Volkskongress darf die Frauenquote nicht niedriger als 22 Prozent sein. Auch auf der Provinz- und Gemeindeebene sind viele Frauen politisch tätig.

Zur Person: Fu Ying

Herkunft Fu Ying wurde im Jänner 1953 in der Inneren Mongolei geboren. Nach dem Studium in Peking trat sie in den diplomatischen Dienst ein. Sie ist verheiratet und hat eine Tochter, die in Australien studierte.

Karriere Fu Ying war unter anderem Botschafterin auf den Philippinen, in Australien und Großbritannien. Seit Jänner 2010 ist sie Vize-Außenministerin und damit erst die zweite Frau in dieser Position.

 

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