CETA: Demonstration verzögert Beginn des EU-Parlaments

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Am Mittwoch um 12 Uhr wird im EU-Parlament über CETA abgestimmt. Eine Mehrheit wird erwartet. Zustimmen müssen dann noch die nationalen Parlamente. In der Früh gab es Demos vor dem Parlament.

Eine Demonstration von CETA-Gegnern hat Mittwochfrüh die Sitzung des Europaparlaments in Straßburg verzögert. EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani erklärte, dass die Tagung später beginnen werde, da zahlreiche Abgeordnete nicht ins Haus kommen könnten. "Ich möchte so viele wie möglich im Plenum haben", deswegen werde später begonnen.

Tajani entschuldigte sich bei EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström, die zu den ersten gehörte, die im Plenum eintrafen. Vor dem Gebäude hatten sich hunderte Demonstranten versammelt, ketteten sich aneinander, legten sich auf den Asphalt vor dem Eingang und hinderten damit zahlreiche Abgeordnete, rechtzeitig ins Parlament zu gelangen. Mit ihrer Aktion versuchen sie CETA doch noch in letzter Minute zu verhindern.

CETA: Demonstration verzögert Beginn des EU-Parlaments
A demonstrator dressed as a clown holds a banner with the words "TAFTA/CETA FREE ZONE" as he takes part in a protest against the Comprehensive Economic Trade Agreement (CETA) between the EU and Canada, in front of the European Parliament in Strasbourg, France, February 15, 2017. REUTERS/Vincent Kessler

Abstimmung um 12 Uhr

Heute um 12 Uhr findet im EU-Parlament die Schlussabstimmung über das umstrittene EU-Kanada-Freihandelsabkommen CETA statt. Abgestimmt wird über alle Teile, die in die Zuständigkeit der EU fallen. Die Zustimmung - es reicht eine einfache Mehrheit - gilt aus heutiger Sicht als sicher. Damit können jene Teile des Abkommens, die unter EU-Verantwortung fallen, vorläufig in Kraft treten.

Nationale Parlamente

Bereiche in nationaler Zuständigkeit, wie der umstrittene Investorenschutz, müssen aber noch von den nationalen Parlamenten der 28 EU-Staaten einzeln ratifiziert werden. Das kann Jahre dauern. Erst wenn alle ratifiziert haben, tritt CETA endgültig in Kraft. Eine Frist dafür gibt es nicht. Die EU-Staaten können nur zustimmen oder ablehnen. Nachverhandlungen sind nicht mehr möglich.

In Österreich müssen Nationalrat, Bundesrat und Bundespräsident das Abkommen ratifizieren. Der Bundespräsident könnte ein Veto einlegen, wozu allerdings ein hinreichender Grund notwendig wäre. Falls ein Parlament eines EU-Landes die Ratifizierung verweigert, kann CETA nicht in Kraft treten. Es ist auf EU-Ebene nicht geregelt, was dann passiert. Vermutlich muss dann der EU-Ministerrat darüber entscheiden, ob CETA endgültig gescheitert ist.

Ziel: Mehr Wirtschaftswachstum

Mit dem Freihandelsabkommen wollen die EU und Kanada ihre Wirtschaftsbeziehungen auf eine neue Basis stellen. Durch den Wegfall von 99 Prozent der Zölle und anderen Handelshemmnissen soll es auf beiden Seiten des Atlantiks zu mehr Wirtschaftswachstum kommen. So ist etwa vorgesehen, Zugangsbeschränkungen bei öffentlichen Aufträgen zu beseitigen und Dienstleistungsmärkte zu öffnen. Das Abkommen wird als Meilenstein der EU-Handelspolitik gelobt. CETA sei ein modernes, faires, ausgewogenes und fortschrittliches Abkommen, das die Türe für neue Möglichkeiten öffne und gleichzeitig wichtige Interessen schütze, betonen die Befürworter aus Industrie und Wirtschaft.

Harte Kritik

Der Handelspakt stand seit dem Abschluss der jahrelangen Verhandlungen im September 2014 aber auch unter andauernder harter Kritik von Globalisierungsgegnern, Landwirten, Umweltschützern und Gewerkschaften. Kritisiert wurde generell, dass CETA nicht nur geheim, sondern auch ohne Beteiligung der nationalen Parlamente verhandelt wurde.

Ein wesentlicher Kritikpunkt bezieht sich noch immer auf die im Zusammenhang mit dem Investorenschutz geplanten internationalen Schiedsgerichte. Befürchtet wird, dass Konzerne bei unliebsamen Entscheidungen vor Schiedsgerichte ziehen, Schadenersatz zulasten der Steuerzahler erstreiten, nationale Gesetze aushebeln oder eine Senkung von Verbraucher- und Umweltstandards durchsetzen könnten.

"Regulatorische Kooperation"

Ebenfalls kritisiert wird die geplante "Regulatorische Kooperation". Damit räume das Handelsabkommen Industrievertretern vorzeitigen Zugang zu Gesetzesvorhaben ein. Unliebsame Vorhaben könnten vom Handelspartner und von Konzernen ausgebremst werden, heißt es.

Befürchtet werden auch niedrigere Standards bei Gentechnik, Lebensmittelsicherheit oder im Arbeitsrecht. Strengere Auflagen für den Klimaschutz drohten, Profitinteressen einzelner Konzerne zum Opfer zu fallen.

Vorsorgeprinzip nicht abgesichert

Nicht abgesichert ist laut den Kritikern auch das Vorsorgeprinzip, das als Kernelement in der europäischen Politik gesehen wird. Es bedeutet, dass die Ungefährlichkeit einer neuen Substanz bewiesen werden muss, bevor sie zugelassen wird. Im Gegensatz dazu muss im angloamerikanischen System die Gefährlichkeit nachgewiesen werden, um sie verbieten zu können. Gesundheitsschutz in der Umwelt-, Verbraucher- und Lebensmittelpolitik stützen sich bisher auf dieses Prinzip.

Landwirtschaftsvertreter befürchten zudem, dass durch CETA der Markt für große kanadische Agrarkonzerne geöffnet wird und die bäuerliche Landwirtschaft unter die Räder gerät. Überdies geht den Bauern der Schutz der Herkunftsangaben nicht weit genug.

Die Kritiker warnen auch, dass den Ländern und Kommunen ihre Planungs- und Regelungsrechte eingeschränkt wird, da private und öffentliche Dienstleistungen durch das Abkommens automatisch liberalisiert werden, wenn sie nicht ausdrücklich als Ausnahme genannt werden.

Bis 18. September läuft noch die Mitgliederbefragung der SPÖ zu CETA. Das Wissen der Österreicher über diesen EU-Kanada-Handelspakt ist eindeutig ausbaufähig.

Jüngste Beispiele: SPÖ-Geschäftsführer Georg Niedermühlbichler scheiterte daran zu erklären, wofür das Kürzel steht. Und FPÖ-Hofburganwärter Norbert Hofer kritisierte das vermeintliche Geheimabkommen – dessen Text seit September 2014 offen zugänglich im Internet ist.

Über den kontroversiellen Investorenschutz und die Sonderklagerechte kursieren besonders viele Gerüchte.

Was stimmt, was ist falsch?

CETA ist der kleine Bruder, quasi die Vorstufe zu TTIP.

Falsch, es sind zwei unterschiedliche Abkommen. Die Verhandlungen mit den USA (TTIP) stecken fest. Die mit Kanada (CETA) sind seit zwei Jahren beendet, abgesehen von kleinen Nachträgen. Was fehlt, sind die Beschlüsse im Rat, im europäischen Parlament und in den nationalen Kammern. CETA ("Comprehensive Economic and Trade Agreement") bedeutet übrigens umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen. Gelten könnte es frühestens ab 2017.

Der Investorenschutz ist eine Paralleljustiz und räumt ausländischen Konzernen Sonderklagerechte ein.

Das stimmt, liegt aber in der Natur der Sache. Ein ausländisches Unternehmen soll eine neutrale Schiedsinstanz anrufen können, wenn es sich durch einen Staat diskriminiert fühlt und dessen Gerichten nicht zutraut, rasch und ohne politische Einflüsse zu urteilen. Meist geht es um einen Schadenersatz für eine Enteignung, entzogene Lizenz oder gebrochene Zusage.

Die Kanadier drücken der EU die Klausel aufs Auge.

Falsch, es war umgekehrt. Die 28 EU-Staaten hatten im Juli 2011 einstimmig gefordert, dass CETA einen Streitbeilegungsmechanismus für Investorenklagen (ISDS) enthält. Als das Resultat vorlag, brach in Deutschland und Österreich ein Sturm der Entrüstung los. Die EU-Kommission schlug daraufhin ein neuartiges Investitionsgerichtssystem (ICS) vor, das die Kanadier akzeptierten – zur Überraschung vieler Insider.

Es kommt immer öfter vor, dass Konzerne Staaten auf Schadenersatz klagen.

Stimmt. Die Zahl der Fälle ist sprunghaft angestiegen: 70 Klagen allein im Jahr 2015 waren ein Rekord. Der Grund: Es gibt immer mehr solche Abkommen, weltweit rund 3000. Und: Die Klagen sind ein lukratives Geschäft für große Anwaltskanzleien. Insgesamt sind 696 Fälle bekannt. Tatsächlich liegt die Zahl wohl höher, weil Klagen bisher oft geheim blieben. CETA verlangt, dass alle Verhandlungen und Dokumente öffentlich sind.

Die Verfahren gehen meist zugunsten der Konzerne aus. Staaten können nicht einmal gegen die Urteile berufen.

Falsch. 36 Prozent der Fälle gewannen bisher die Staaten, 26 Prozent die Investoren. Weitere 26 Prozent wurden einvernehmlich geklärt, der Rest eingestellt. CETA sieht ein Berufungsgericht vor – zum Missfallen der Investoren, weil die Verfahren so länger dauern und teurer werden.

Eine kleine Clique von Schiedsrichtern entscheidet die Fälle – einmal als Firmenanwalt, dann als Richter.

Für CETA ist das falsch. Bisher waren Interessenkonflikte denkbar, weil Juristen einmal auf der Kläger-, dann auf der Richterseite sitzen konnten. Für den ICS bestellen aber die Staaten (Kanada und die EU) dauerhafte Richter. Wer in welchem Fall urteilt, entscheidet der Zufall.

Kanada und die EU haben eine ausgefeilte Justiz, da braucht es keine Schiedsgerichte.

Auslegungssache. Ursprünglich sollten Schiedsgerichte die Investoren in Ländern mit unterentwickeltem Rechtssystem vor Willkür schützen. Die Statistik zeigt: Am öftesten wurden zwischen 1987 und 2015 Argentinien (59 Fälle) und Venezuela (36) geklagt; zwei Staaten, die mit Privateigentum nicht eben zimperlich umgehen. Kanada folgt mit 25 Fällen schon auf Platz sechs; vermutlich, weil dort viele Bergbaukonzerne tätig sind, bei denen die Investitionen rasch in Milliardenhöhe gehen.

Verblüffend ist jedoch: Die allermeisten Schiedsverfahren (130), fast ein Fünftel, fanden EU-intern statt. Das heißt, dass EU-Firmen andere EU-Staaten wegen ungerechter Behandlung klagten. Offenkundig ist sogar in der EU das Vertrauen in die unabhängige Justiz begrenzt.

Mit CETA können US-Konzerne via Kanada klagen.

Denkbar ist das. Bei 40 Prozent der kanadischen Firmen sitzt die Konzernmutter in den USA. Eine Briefkastenfirma reicht aber nicht mehr aus, um eine Klage zu begründen. Bei Umgehungsversuchen sind die Schiedsrichter streng. Philip Morris’ Klage gegen Australien wegen verschärfter Raucherschutzgesetze wurde genau deshalb abgewiesen. Der US-Konzern hatte über eine Holdingfirma in Hongkong geklagt.

Konzerne können entgangene und sogar künftige Gewinne einfordern, wenn Umweltgesetze geändert werden.

Ansichtssache. Es gibt solche Verfahren: Die schwedische Vattenfall prozessiert gegen Deutschland, das die Restlaufzeit der Atomkraftwerke verkürzt hat. Spanien handelte sich mit einer gebrochenen Förderzusage für Erneuerbare Energie eine Klagswelle ein. Die kanadische Firma Gabriel Resources (mit Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer im Direktorium) klagt Goldabbaurechte im rumänischen Roșia Montană ein, wo die Bevölkerung gegen den Einsatz von giftigem Zyanid Sturm läuft. CETA grenzt solche Klagen jedoch ein: Staaten wird ausdrücklich zugestanden, die Gesetze im öffentlichen Interesse wie Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz oder kulturelle Vielfalt zu ändern. Weniger Gewinn ist also kein Grund für eine Klage, außer bei staatlicher Willkür oder wenn kanadische Anbieter diskriminiert wurden.

Fazit: Ist Investorenschutz à la CETA akzeptabel?

Das hängt ganz davon ab. Wer der Ansicht ist, dass Staaten prinzipiell jederzeit die Spielregeln ändern dürfen, ohne Rücksicht auf Firmen zu nehmen, der wird den Investorenschutz von Haus aus ablehnen. Wer das Instrument zwar an sich für sinnvoll, aber zu sehr ausgeufert hält, der kann mit den neuen CETA-Regeln gut leben.

(Hermann Sileitsch-Parzer)

Europa gehört zu den wichtigsten Handelsakteuren weltweit. Nach Angaben der EU-Kommission sind die 28 Mitgliedstaaten für etwa 16 Prozent der internationalen Ein- und Ausfuhren verantwortlich. Neben dem jüngst mit Kanada vereinbarten CETA-Abkommen peilt die EU noch eine ganze Reihe von Handelsabkommen an, mit denen etwa Zölle und andere Handelshemmnisse gesenkt und der Austausch von Waren und Dienstleistungen weltweit erleichtert werden sollen.

Ein Überblick:

USA: Mit den USA verhandelte die EU-Kommission im Auftrag der Mitgliedstaaten noch bis Ende des vergangenen Jahres über das sogenannte TTIP-Abkommen. Die Verhandlungen mit der damaligen Regierung von Barack Obama gestalteten sich schwierig, ein Abschluss konnte nicht erzielt werden. Seit dem Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Donald Trump ist von weiteren Verhandlungsrunden nicht mehr die Rede.

ASIEN: Die EU-Kommission sieht in Asien aufgrund einer wachsenden Mittelschicht und einer zunehmenden Nachfrage an höherwertigen Produkten große Chancen für europäische Exporteure. Verhandlungen liefen zuletzt etwa mit Malaysia, Indonesien, Thailand und den Philippinen. Mit Japan hofft die Brüsseler Behörde in diesem Jahr auf einen Abschluss.

LATEINAMERIKA: Hier verhandelt die EU-Kommission derzeit vor allem mit den sogenannten Mercosur-Gründerländern (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay) über Handelserleichterungen. Gespräche laufen zudem mit Mexiko. Problematisch ist dabei vor allem der Bereich Landwirtschaft. Die Mercosur-Länder fordern unter anderem besseren Zugang zum EU-Markt für ihre Agrarexporte. Dies könnte allerdings für Europas Bauern Probleme nach sich ziehen.

NEUSEELAND: Mit Neuseeland laufen derzeit noch keine Freihandelsgespräche. Der Inselstaat steht lediglich auf Rang 50 der EU-Handelspartner, die EU ist für Neuseeland hingegen nach Australien der zweitwichtigste Handelspartner. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk hatten angekündigt, dass hier Freihandelsverhandlungen noch in diesem Jahr starten könnten.

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