Gewerbetreibende zweier Klassen

Gewerbetreibende zweier Klassen
19 ehemals teilreglementierte Gewerbe sollen nun frei werden. Das bedeutet, dass neue Unternehmer für die Branchen keine spezielle Ausbildung mehr benötigen. Was dies für Friedhofsgärtner, Nagelstudio-Betreiber und Eis-Produzenten bedeutet.

D ie österreichische Gewerbeordnung ist 186 Seiten dick und reicht bis ins Jahr 1859 zurück. Sie regelt, welche Voraussetzungen Selbstständige in Österreich erfüllen müssen – vom Friseur bis zum Vermögensberater, vom Bäcker bis zum Wahrsager – damit sie ihr Gewerbe ausüben dürfen und welche Befähigungsnachweise erforderlich sind. Neben den 80 reglementierten Gewerben gibt es 440 freie. Um eines oder mehrere von diesen auszuüben, ist keine besondere Qualifikation nachzuweisen. Egal ob frei oder reglementiert: Für jedes Gewerbe braucht man einen Gewerbeschein. Die Umlage wird von der Wirtschaftskammer eingehoben, die Mitgliedschaft ist für Gewerbetreibende verpflichtend.

Keine Zugangsbarriere

Die Novelle der Gewerbeordnung – der Regierungsentwurf wurde diese Woche in Begutachtung geschickt – hat nun den Weg frei gemacht für 19 ehemalige Teilgewerbe, für diese gibt es – so der Plan – keine Eintrittsbarrieren mehr. Für den Beruf des Fahrradtechnikers etwa war bisher ein Lehrabschluss als Mechaniker Voraussetzung, nun kann der Beruf ohne jede Befähigung ausgeübt werden. Dasselbe gilt für: Änderungsschneider, Nagelstudio-Betreiber, Messerschleifer, Nähmaschinentechniker, Polstermöbelreiniger, Hersteller von Schlüsseln mittels Kopierfräsmaschinen, Autoverglaser, Betonbohrer und -schneider, Entkalker von Heißwasserbereitern, Erzeuger von Lebzelten und Speiseeis, Gürtel- und Riemenerzeuger sowie Ausführende von Reparaturen an Lederwaren und Taschen, Instandsetzer von Schuhen, Spezialisten für die Wartung und Überprüfung von Handfeuerlöschern, Wäschebügler und Spezialisten für den Zusammenbau von Möbelbausätzen sowie den Einbau von Radios, Alarmanlagen und Telefonen.

Konkurrenz

Die Unternehmer, die in den genannten Branchen bereits tätig sind, fürchten die Konkurrenz durch weniger qualifizierte Kräfte – und die Gefahren, die damit verbunden sind: Etwa für Konsumenten, wenn diese mit einer nicht fachgerechten Beratung oder mangelhaft ausgeführten Arbeiten konfrontiert sind und dann ihr Recht auf dem Klageweg suchen müssen. "Wenn Selbstständigkeit bedeutet, ohne Qualifikation ein Unternehmen gründen zu können, wird eine Welle an unqualifizierten Ein-Mann-Betrieben – vor allem aus dem benachbarten Ausland – die Folge sein", sagt Renate Scheichelbauer-Schuster, Obfrau der Bundessparte Gewerbe und Handwerk. Dadurch würden die Arbeitsplätze der heimischen Facharbeiter akut gefährdet.

"Ich denke, die Konkurrenz wird größer werden", sagt Angelika Gruber von der Änderungsschneiderei Birgit Felke in der Spiegelgasse in Wien. "Aber uns hier im ersten Bezirk wird das nicht betreffen, wir haben viele Stammkunden, die unsere Arbeit zu schätzen wissen." Bisher musste man als Änderungsschneider einen Lehrabschluss als Kleidermacher oder Bekleidungsfertiger nachweisen oder eine mindestens dreijährige berufsbildende Schule mit Schwerpunkt im Bereich Mode und Bekleidungstechnik absolviert haben sowie mindestens ein Jahr Praxis aufweisen. Die Nagelstudio-Betreiber, Friedhofsgärtner und Speiseeis-Erzeuger, mit denen der KURIER gesprochen hat, konnten nicht einschätzen, was die geplante Novelle der Gewerbeordnung für ihre Branche bedeutet: Weil sie davon noch nie gehört haben.

In Deutschland wurden bereits 2004 viele ehemals reglementierte Gewerbe für frei erklärt. Nach der Reform ist die Zahl der Betriebe, die Lehrlinge ausbilden, zurückgegangen. Allerdings ist auch in den reglementierten Gewerben die Anzahl der Lehrlinge gesunken. Dennoch stellt sich die Frage, wer die Lehrlinge ausbildet, wenn es in einigen Branchen keine Fachleute mehr gibt. Schließlich wird Österreich um das Erfolgsmodell der dualen Ausbildung weltweit beneidet.

Nebentätigkeit

Erleichterungen für alle Gewerbetreibenden bringt die Erweiterung der Nebenrechte beim Gewerbeumfang. Bei den reglementierten Gewerben auf 15 Prozent und bei den freien auf 30 Prozent. So kann etwa ein Fliesenleger künftig 15 Prozent seiner gewerblichen Tätigkeit mit Tischlerarbeiten bestreiten. Außerdem soll die Genehmigung von Betriebsanlagen schneller gehen, behördliche Bescheide in maximal vier Monaten erfolgen statt bisher sechs.

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