"Was wir bestimmt nicht brauchen, ist weniger Arbeit"

"Was wir bestimmt nicht brauchen, ist weniger Arbeit"
Für Thomas Vašek hat das alte Arbeitsmodell, das Arbeit und Freizeit voneinander trennt, ausgedient. Der Philosoph fordert deshalb aber nicht mehr Freiheit von, sondern mehr Freiheit innerhalb der Arbeit – und das gesetzlich verankert.

Wir arbeiten, um zu leben. Oder leben wir, um zu arbeiten?

Jeden von uns beschleicht einmal das Gefühl, von der Last des Arbeitsalltags erdrückt zu werden. Man ist unzufrieden, hadert für gewöhnlich nicht nur mit sich selbst, sondern auch mit dem Arbeitgeber.

Schuld daran seien unser kapitalistisches Arbeitsmodell und Unternehmer, die ihre Mitarbeiter nur als Mittel zum Zweck ansehen, sagt Thomas Vašek. Der österreichische Buchautor und Chefredakteur der Philosophie-Zeitschrift Hohe Luft erklärt im Gespräch mit dem KURIER, warum wir aus den Mühlen des Arbeitsalltags ausbrechen müssen.


KURIER: Herr Vašek, Sie vertreten den Standpunkt, dass unser bisheriges Arbeitskonzept neu definiert werden muss. Warum?

Thomas Vašek: Das alte kapitalistische Modell, das Arbeit und Leben voneinander trennt, passt nicht mehr zur flexiblen Ökonomie und heutigen Gesellschaft. Problematisch am derzeitigen Modell ist ja, dass es uns weismachen will, dass das gute Leben erst nach Dienstschluss beginnt. Wir brauchen ein Konzept, das die Anforderungen der Wirtschaft mit unserer Vorstellung eines guten Lebens verbindet.

Für viele Menschen ist die Trennung Freizeit/Arbeit sinnvoll.

Wir sollten uns aber alle fragen, warum das so ist. Wieso freuen sich Menschen auf den Feierabend? Macht ihnen der Job keinen Spaß? Laugt er sie aus? Ist er zu anstrengend und zermürbend? Bietet ihnen der Arbeitgeber keine Entfaltungsmöglichkeiten? Viele Menschen sind frustriert, weil sie das Gefühl haben, sich ständig im selben Hamsterrad fortbewegen zu müssen. Täglich stellen sie ihre Arbeitskraft für eine bestimmte Zeit zur Verfügung, werden dafür vom Arbeitgeber entlohnt, müssen aber all das, was sie sonst zu tun haben, was ihnen vielleicht wichtig ist, außerhalb der Arbeit tun. Diese Mühlen des Alltags können ja nicht im Sinne eines guten Lebens sein.


Wenn ich ein Arbeitsverhältnis eingehe, bedeutet das, dass ich bestimmte Aufgaben und Pflichten habe. Die können erfüllend sein, oder eben nicht. Tun muss ich sie ja trotzdem.

Das stimmt schon. Was der Arbeit wesentlich ist, ist, dass sie Verpflichtungen schafft. Wir nehmen an Meetings teil, halten Termine ein oder müssen innerhalb einer gewissen Zeit einen Ölwechsel machen. Es gibt allerdings eine ganze Reihe von Tätigkeiten, die ebenfalls Verpflichtungen mit sich bringen, in unserer Gesellschaft aber nicht als Arbeit anerkannt werden. Warum fällt beispielsweise die Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen nicht unter den Begriff Arbeit? Bei uns gilt: Wer Kinder erzieht oder Angehörige pflegt, arbeitet nicht - auch wenn diese Tätigkeiten wichtig und womöglich auch erfüllend sind.

Wie würden Sie denn Arbeit definieren?

Nach meiner Auffassung lässt sich Arbeit nicht auf bestimmte Tätigkeiten reduzieren. Sie ist weder ein Mittel zum Zweck noch ein notwendiges Übel zum Lohnerwerb. Arbeit ist fundamental für ein gutes, gelingendes Leben, stiftet Sinn und formt unsere Identität. Wer Arbeit aber nur mit einem gesicherten Einkommen am Monatsende verbindet, wird immer unzufrieden sein. Umso wichtiger ist es, dass wir auch Tätigkeiten als Arbeit deklarieren, die uns wichtig sind, für die uns keine Zeit bleibt und die im kapitalistischen Modell keine Verwendung finden.


Im KURIER-Gespräch sagte Mondi-Chef Peter Oswald allerdings, dass man heute viel mehr Wert auf die Work-Life-Balance legt, mehr Freizeit haben will und Teilzeit ein Riesenthema sei.

Verstehen Sie mich nicht falsch, aber anstatt mehr Freizeit zu fordern, sollten wir für mehr Freiheit innerhalb der Arbeit eintreten. Was wir bestimmt nicht brauchen, ist weniger Arbeit. Das ist ein Irrglaube.

Sie plädieren also für mehr Arbeit.

Ich fordere mehr gute Arbeit, also Arbeit, die sich den individuellen Lebenssituationen der Mitarbeiter anpasst. Heute ist es noch immer so, dass Menschen ihr gesamtes Leben nach der Arbeit richten. Das Hamsterrad-Konzept eben. Nun stellen Sie sich aber einen Lebens-Arbeits-Vertrag vor, der jedem Menschen das Recht gibt, die Arbeitszeit auf die jeweilige Lebenssituation abzustimmen – und für eine gewisse Zeit aus dem alltäglichen Hamsterrad auszusteigen, um ein anderes Projekt verfolgen zu können.

Ihr Lebens-Arbeits-Vertrag klingt doch sehr nach einem Sabbatical (siehe Erklärstück unten).

Es gibt allerdings einen kleinen, aber entscheidenden Unterschied. Im Gegensatz zum Sabbatical, das vom Unternehmen als eine Art Goodwill freiwillig gewährt wird, handelt es sich beim Lebens-Arbeits-Vertrag um einen Rechtsanspruch, ähnlich dem gesetzlichen Urlaubsanspruch oder der Höhe des Einkommens. Es wäre Teil des Arbeitsvertrags, dass jeder Mitarbeiter ein gewisses Zeitkontingent in Anspruch nehmen kann, um andere Dinge zu machen, die er für wichtig hält. Einen Roman schreiben zum Beispiel, oder einmal um die Welt reisen, oder eben Angehörige pflegen.

Wenn ich Sie richtig verstehe, soll es gesetzlich verankert werden, dass Arbeitnehmer für eine bestimmte Dauer eine Auszeit nehmen, um das zu machen, was sie wollen.

Um Dinge zu tun, die gerade in ihre jeweilige Lebensphase passen, ja. Diese Tätigkeiten wären dann eben auch Arbeit, weil sie gesetzlich Teil des Arbeitsverhältnisses sind. Wenn Sie einen Roman schreiben, wären Sie also nicht arbeitslos, hätte einen Job, ohne Ihren alltäglichen Job zu machen und bekämen dafür noch bezahlt. Das klingt vielleicht widersinnig, aber gute Arbeit bedeutet, in den Blick zu nehmen, was dem Menschen wichtig ist.

Wer würde für das Gehalt eines Mitarbeiters aufkommen, der dieses Zeitkontingent in Anspruch nimmt?

Darüber habe ich lange nachgedacht. Am sinnvollsten lässt sich das Modell mit einem befristeten Grundeinkommen verbinden, das jedem Mitarbeiter für die Dauer der Auszeit zusteht. Der Staat müsste einen finanziellen Beitrag leisten, um seinen Bürgern ein gutes Leben zu ermöglichen. Es wäre aber nicht ganz bedingungslos, weil man das Grundeinkommen ja nur dann bekommt, wenn bereits ein Arbeitsverhältnis vorhanden ist.

Wieso nicht gleich ein unbefristetes Grundeinkommen?

Ich stehe dem skeptisch gegenüber. Erstens, weil ich glaube, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht gerecht wäre. Und zweitens, weil niemand genau weiß, ob Menschen dann noch arbeiten werden, wenn sie ohnehin Geld bekommen. Aber in meinem Konzept ist das Ausüben einer Arbeit wichtig für das gute Leben des Menschen.

Recht euphorisch werden Unternehmer auf Ihr Modell wohl nicht reagieren.

Wenn wir von Arbeit sprechen, geht es immer um Machtbeziehungen. Der Lebens-Arbeits-Vertrag zielt darauf ab, den Mitarbeitern mehr Rechte, Freiheit und Selbstbestimmung zu geben. Ein Arbeitnehmer würde vom Unternehmer nicht länger bloß als Humankapital betrachtet werden, der seine Arbeitskraft verkauft. Er könnte nämlich jederzeit sein Zeitkontingent in Anspruch nehmen, wenn er mit der Situation im Unternehmen unzufrieden ist. Das erhöht den Druck auf den Arbeitgeber, für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen. Umgekehrt profitieren sie von zufriedeneren und loyaleren Mitarbeitern, die die Arbeit nicht länger als Feind des guten, gelingenden Lebens sehen, sondern als dessen zentralen Bestandteil. Das ist im Interesse aller Beteiligten.

Und doch stellt sich die Frage, warum es überhaupt ein Gesetz dafür geben muss, wenn Arbeitgeber ein Interesse am Wohle ihrer Mitarbeiter haben.

In den vergangenen Jahren hat sich einiges geändert. Aber auch wenn viele Unternehmen sensibler geworden sind, was die Arbeitnehmerbedürfnisse angeht, glaube ich nicht, dass wir an einer rechtlichen Regelung vorbeikommen werden. Die Geschichte der Arbeiterbewegung zeigt, dass die großen Veränderungen durch Gesetze vorangetrieben wurden. Denken Sie an den Achtstundentag oder den Urlaubsanspruch. Ein Zeitkontingent für Mitarbeiter wird keine Ausnahme darstellen.

Wäre das nicht auch die Aufgabe von Gewerkschaften?

Selbstverständlich, sie müssen ein künftiges Modell entwickeln, das sich an den Bedürfnissen der Arbeitnehmer orientiert. Ein Gesetz dafür ist aber dringend notwendig. Wenn der Lebens-Arbeits-Vertrag nur vom Goodwill des Unternehmers abhängt, bleiben die Machtverhältnisse asymmetrisch, das Sagen würden weiterhin die Arbeitgeber haben. Ich fordere keinen neuen Klassenkampf, wohl aber mehr Selbstbewusstsein von Gewerkschaften und Selbstbestimmung für Arbeitnehmer.

Mit Verlaub, Ihr Modell klingt angesichts der wirtschaftlichen Lage und der steigenden Arbeitslosigkeit schon sehr utopisch.

Ich denke nicht, dass das wirklich so utopisch ist. Es bewegt sich doch schon einiges. Das deutsche Unternehmen Trumpf hat ein Modell entwickelt, das meinem ziemlich nahekommt. Alle zwei Jahre können Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten neu ausverhandeln und an ihre Lebenspläne anpassen. Ich sehe kein Problem, warum das nicht auch auf andere Berufe wie Reinigungskraft oder Supermarktkassierer angewandt werden kann.

Glauben Sie, dass dieses Modell praktisch umgesetzt werden kann?

Es ist ein Modell. Wenn es politisch diskutiert wird, wird es einige Einwände geben. Branchenvertreter werden aufschreien, Arbeitnehmerverbände vielleicht auch. Das ist eines der Ziele eines solchen Modells; eben dass in Unternehmen darüber nachgedacht wird, was gute Arbeit eigentlich bedeutet. Wenn Arbeitgeber von ihren Mitarbeitern immer mehr Flexibilität verlangen, dürfen das die Mitarbeiter ebenfalls von ihren Arbeitgebern einfordern.


Zur Person: Thomas Vašek wurde 1968 in Wien geboren, ist Chefredakteur des philosophischen Magazins Hohe Luft und Buchautor. Zuvor war er unter anderem als Ressortleiter beim Nachrichtenmagazin profil tätig. Zu seinen bekanntesten Büchern gehören "Work-Life-Bullshit" (2013) und "Ein Funke genügt..." (1999), eine umfassende Aufarbeitung der Briefbomben-Causa rund um Franz Fuchs.

Immer mehr Unternehmen bieten unterschiedliche Arbeitszeitmodelle für ihre Mitarbeiter an.

Teilzeit: Früher hieß das meist, halbtags zu arbeiten. Heute ist die Bandbreite größer, von geringfügiger bis zu vollzeitnaher Beschäftigung. Ob Sie nun 80, 50 oder 30 Prozent arbeiten, ist individuell mit dem Arbeitgeber zu klären. Daraus ergibt sich dann auch die Art der Arbeit: täglich arbeiten und früher nach Hause gehen früher oder an wenigen Tagen in der Woche arbeiten, dafür aber Vollzeit.

Gleitzeit: Es wird eine Kernzeit (zumeist von 9 bis 16 Uhr) festgelegt, in der Mitarbeiter im Büro sein müssen. Die Zeit davor und danach kann von Ihnen als Arbeitnehmer frei eingeteilt werden. Vor allem Büroangestellte nutzen die Gleitzeit. Neu ist der Gedanke, dass sich auch Schichtarbeiter flexibel absprechen dürfen, wann sie ihre Schichten abtauschen.

Vertrauensarbeitszeit: Dieses Modell ist weitaus flexibler als die Gleitzeit, denn hier gibt es keine Kernzeit. Der Arbeitgeber vertraut dem Mitarbeiter, dass er die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit (z.B. 38,5 Stunden) abarbeitet - egal wo und egal wann. Doch im Arbeitsalltag tun sich Hürden auf, wenn Sie zu bestimmten Zeiten an Meetings teilnehmen oder wenn Sie erreichbar sein müssen. Konkrete Zielvereinbarungen können hier sehr hilfreich sein.

Jobsharing: Mindestens zwei Teilzeitstellen teilen sich eine Vollzeitstelle - das ist der Jobsharing-Gedanke. Die Arbeitszeiten, der Verdienst und die freien Tage können sich die Arbeitnehmer selbst aufteilen. Positiv ist die Flexibilität, negativ die Abhängigkeit vom Kollegen, mit dem Sie die Arbeitszeiten absprechen.

Arbeit auf Abruf: Die kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit bedeutet, wenn Arbeit zu tun ist, wird gearbeitet; ist keine Arbeit vorhanden, wird nicht gearbeitet. Im Endeffekt wird auf Abruf gearbeitet. Die Vorteile sind zumeist eher gering, da man sehr flexibel sein muss und zudem nicht mit einem festen Einkommen rechnen kann.

Jahresarbeitszeit-Modell: Es wird zu Beginn festgelegt, wann gearbeitet werden soll. Zum Beispiel kann im Winter mehr gearbeitet werden, im Sommer weniger. Am Ende muss die Zeit passen, das Gehalt bleibt monatlich gleich.

Arbeitszeitkonten: Mit sogenannten Arbeitszeitkonten werden Arbeitsstunden gesammelt, auf die der Arbeitnehmer bei Bedarf später zurückgreifen kann. Ein Mitarbeiter soll damit eigenständig über sein Zeitbudget verwalten und kann eine Auszeit planen oder sich die Stunden in den letzten Karrierephasen auszahlen lassen.

Sabbatical: Mitarbeiter erhalten die Möglichkeit, sich für eine längere Zeit aus dem Arbeitsalltag zurückzuziehen. Es gibt allerdings weder einen Rechtsanspruch auf ein Sabbatical noch darf ein Arbeitnehmer zu einem Sabbatical gezwungen werden. Sabbaticals sind Vereinbarungssache zwischen Arbeitnehmer und Unternehmen.

Schichtarbeit: Vor allem in Unternehmen, deren Maschinen niemals stillstehen, gilt Schichtarbeit. Arbeitnehmer werden versetzt nacheinander an der gleichen Arbeitsstelle eingesetzt werden. Für Nachtstunden erhält man eine Zulage, die dem Arbeitgeber teurer kommt.

Telearbeit/Home-Office: Internet, Skype, Telefon- und Videokonferenzen - Immer mehr Menschen arbeiten teilweise oder ganz von zu Hause aus.

Baukastensystem: Dabei handelt es sich um eine Kombination unterschiedlicher Arbeitszeitmodelle. Die Arbeitszeit wird zum Beispiel in Form von täglichen, wöchentlichen oder monatlichen Modulen organisiert. Man stellt sich sozusagen seine Arbeitszeit à la carte zusammen - in Absprache mit dem Arbeitgeber natürlich.

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