Billiges Schiefergas zieht Konzerne wie voestalpine an
Amerikanische Großfamilien schlagen hier am Wochenende ganze Dörfer auf – mit Zelten, Gartenmöbeln und Grillanlagen. Sie genießen die texanische Sonne, das grün schimmernde warme Meerwasser und die Aussicht auf ein Dutzend Bohrinseln am Horizont.
An den Strand der Padre-Insel vor der kleinen Stadt Corpus Christi an der Küste des Golf von Mexiko darf man praktischerweise gleich mit dem Auto fahren. Unweit davon liegt eine gehobene Wohngegend mit geräumigen Einfamilienhäusern und künstlich angelegten Kanälen, damit die Oil-Johnnys – wie man hier die kleineren Ölmillionäre nennt –, ihre Motorboote vor der Haustür parken können. Corpus Christi ist billige Strandurlaub-Destination, vor allem aber die Stadt der Ölindustrie. Jetzt kommen auch die Gas-Johnnys dazu.
Gas-Boom
Schiefergas ist hier das neue große Geschäft – anders als in Europa. Die erst seit ein paar Jahren eingesetzte Technologie der hydraulischen Rissbildung, auch als Fracking bekannt, hat die Gewinnung dieses Rohstoffs zu einem günstigen Preis ermöglicht. Der Wirtschaft der Region hat das noch einmal einen Schub gegeben. „Es ist ein Boom, den man hier noch nie gesehen hat“, sagte Silvestre Vazques von der PR-Firma Quatro Strategic Solutions zum KURIER. Besonders in den vergangenen zwei Jahren ging es steil aufwärts.
Der niedrige Gaspreis zieht nicht nur Energiekonzerne aus den USA und der Welt nach Texas, sondern auch andere ausländische Produzenten. Auch die voestalpine ist dabei, in Corpus Christi ein neues Stahlwerk zu errichten. Es wird die größte Auslandsinvestition des Unternehmens mit 550 Millionen Euro und rund 150 neuen Arbeitsplätzen.
Unweit der Voest plant der italienische Verpackungsproduzent M & G eine neue Anlage. Dort soll 2016 die weltgrößte Produktionsstätte für Plastikflaschen und andere Verpackungen entstehen. Noch einmal 700 neue Jobs für den texanischen Arbeitsmarkt. Die Schweizer Firma Trafigura – der drittgrößte Ölhändler auf dem Globus – hat bereits im vergangenen Jahr Anlagen in Corpus Christi gekauft, um nah am boomenden Energiegeschäft zu sein.
Nicht nur die Europäer zieht es wegen des billigen Schiefergases nach Texas. Die chinesische Firma Tianjin Pipe (Group) Corporation (TPCO) investiert dort eine Milliarde Dollar (etwa 766 Millionen Euro) in eine Fabrik für Metallröhren für die Öl- und Gasindustrie, die Ende 2014 fertig sein soll. Dies sei die größte chinesische Investition in einer Anlage auf der grünen Wiese, gibt TPCO an. Auch die internationale Chemiebranche von der deutschen BASF bis zur südafrikanischen Sasol zieht es ins Schiefergas-Land. Das billige Gas wird in Diesel umgewandelt, es wird zur Produktion von Ammoniak und Düngemitteln verwendet.
Laut Analysten der US-Firma Wood Mackenzie ist Eagle Ford das weltgrößte Öl- und Gasprojekt, wenn man das Investitionsvolumen betrachtet: 30 Milliarden US-Dollar flossen allein in diesem Jahr in das Projekt. Im Moment betreiben dort etwa 16 Firmen 261 Bohrtürme. Eagle Ford deckt bereits 30 Prozent der gesamten Öl- und Gasversorgung der USA ab. Etwa 30 Jahre lang soll Gas und Öl aus dem Schiefergestein von Eagle Ford gepresst werden.
Job-Motor
Der Schiefergas- und -ölboom beflügelt auch die lokale Wirtschaft. „Das alles hat eine enorme Auswirkung“, sagt der Vorsitzende des Eagle Shale Consortium, Leodoro Martinez, zum KURIER. Das Konsortium hat es sich zu Aufgabe gemacht, die Industrie mit der Bevölkerung zusammen zu bringen. „Wir haben Gemeinden, in denen die Arbeitslosigkeit nur noch etwa 3,5 Prozent beträgt“, so Martinez. Das ist weniger als die Hälfte des US-Durchschnitts.
Dabei ist Texas im Schiefergas-Geschäft nicht allein. Seit es vor etwa vier Jahren technologisch möglich wurde, Schiefergas anzuzapfen, stecken auch andere US-Staaten, etwa Nord- und Süddakota und Montana, im Schiefergasrausch. Mit einem Mal scheint sich der Trend der Industrie, Produktionen in die Schwellenländer zu verlagern, umzukehren. Nun kommt die Industrie zurück in die USA, sogar aus China.
Teresa Carrillo ist besorgt. Wo andere den Wirtschaftsaufschwung für die USA sehen, erkennt die Biologin aus der südtexanischen Stadt Corpus Christi vor allem Risiken.
Die Förderung von Schiefergas bringe viele Gefahren mit sich, sagt Carrillo, vor allem die Grundwasserverschmutzung durch die beim Fracking benutzten Chemikalien. Auch die Luft sei unrein. „Schiefergas ist toll für diejenigen, die Jobs bekommen haben, und auch für die Nebenindustrie“, sagt Carrillo zum KURIER. Die Umweltverschmutzung sei aber schlimm. „Das ist wie in den Ländern der Dritten Welt“, meint sie.
Nach der Ölindustrie und dem neuen Boom mit Schiefergas muss man im Süden von Texas nicht lang suchen. Kilometer lang ziehen sich hinter Corpus Christi Ölraffinerien an der Straße entlang. Auf der Bundesautobahn 37 Richtung Norden nach San Antonio geht es direkt ins Land des Schiefergases: Ab der 60. Meile tauchen Rohrleitungen in den verlassenen Feldern auf. Neue Bohrtürme stehen in der weiten Buschlandschaft. Flammen brennen aus den Gasleitungen. Auf der Autobahn rasen Lastwagen, die Öl transportieren. Der Verkehr sei in den vergangenen Jahren massiv gewachsen, auch die Unfälle häuften sich und die Straßen gingen kaputt.
Schäden
„Die Wahrheit über Fracking: viel Geld, aber auch viel Schaden“, sagt Schwester Elisabeth Riebschlaeger, eine Gegnerin der Schiefergasbohrungen, zum KURIER. Jobs für die Region bringt das Schiefergas gar nicht so viele, denn die Öl- und Gasfirmen nähmen ihre hoch qualifizierten Mitarbeiter von einem Projekt zum anderen mit. Menschen vor Ort schafften es kaum, Arbeit zu finden, meint sie. Kleine Farmen hätten durchaus Geld gemacht, da sie ihre Bohrrechte verkauft haben. „Aber diejenigen, die kein Land haben, die hat man hinausgeworfen“, meint Schwester Elisabeth. Ölfirmen zahlen für die Unterkunft der Mitarbeiter höhere Mieten. Und dann gibt es die kleinen Erdbeben. Die seien für die Gegend gar nicht üblich, meint Carrillo.
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