Automobillogistik: "Wo ich Probleme sehe? Überall"

Sanktionen oder dichte Grenzen: „Probleme lösen ist unser Job“, sagt Pierre-Jean Lorrain
Von Portugal bis Dubai: GEFCO-Vorstand Lorrain verwaltet eine Riesenregion – von Wien aus.

Nagelneue Autos aus Trnava (Slowakei) für die britische Insel. Pkw-Transportzüge, die von Spaniens Fabriken nach Russland rollen. Französische Fahrzeuge für Nordafrika: Solche Abläufe sind für GEFCO das tägliche Brot. Der Logistiker mit Zentrale in Paris ist Europas Marktführer, wenn es drum geht, Fahrzeuge von A nach B zu bringen. Vorstand Lorrain managt 25 Länder, von Portugal bis zu den Balkan-Staaten, vom Maghreb bis Dubai – und das vom Wiener Andromeda-Tower aus.

KURIER: Warum sind Sie ausgerechnet im Wien angesiedelt?

Pierre-Jean Lorrain:Weil es mittendrin in der Region liegt. Wir haben Osteuropa von hier aufgebaut und sind geblieben, weil das logistisch komfortabel ist. Ich stehe fast jeden Tag auf dem Flughafen Schwechat.

Abgesehen von den Flugverbindungen: Was ist Ihnen am Standort Österreich wichtig?

Es sind extrem viele unserer Kunden in der Nähe. 17 Autofabriken und Tausende Zulieferfirmen liegen allein im Korridor von Polen bis Slowenien. Neue kommen laufend dazu, wie Jaguar Land Rover in Nitra (Slowakei).

Welche Wünsche oder Kritik haben Sie an Österreich?

Die Miet- und Wohnpreise sind in Wien um einiges höher als anderswo. Ich habe beobachtet, dass einige andere Firmen deswegen bereits nach Bratislava umziehen.

Und in Sachen Infrastruktur?

Wien ist günstig am Ost-West-Korridor gelegen, diese Route ist sehr stark beansprucht. Die Verbindung von Wien nach Prag ist hingegen weniger effizient. Ich habe zwei, drei Mal das Auto genommen – seither fliege ich.

PSA will Opel kaufen. Wie wirkt sich das auf Ihr Business aus?

Die Frage habe ich erwartet, aber noch ist nichts geschehen. Zudem ist General Motors schon jetzt unser Kunde, wir sind seit 2012 Logistikpartner. Sollte Opel unters PSA-Dach kommen, werden wir darüber reden, ob sich Synergien heben lassen.

Russian Railways will seit Jahren die Breitspurbahn vom ostslowakischen Kosice bis nach Wien verlängern. Ist das angesichts der Ukrainekrise und Sanktionen noch realistisch? Politische Themen möchte ich nicht kommentieren, geschäftlich sind wir natürlich interessiert. Wien oder Bratislava würde zu einem Hub in beide Richtungen: Russland ist ein Riesenmarkt, in den wir schon jetzt viele Konsumgüter aus Italien, Deutschland oder Frankreich liefern. Heute vor allem mit Lastwagen, das funktioniert auch. Aber der Bahnweg könnte für große Industriekunden effizienter sein.

Was hätte Österreich von so einem Umschlagplatz?

Es würde ein großer Logistikhub entstehen. Auch wenn dieser selbst nicht so viele direkte Jobs erzeugt, wäre drumherum viel Infrastruktur nötig. Es würde wohl Kunden geben, die sich hier ansiedeln und große Lagerhäuser errichten würden.

Österreich möchte sich über die Breitspur in Chinas Seidenstraßen-Projekt einklinken. Wie beurteilen Sie die Chancen?Wien liegt zwar nicht auf der geplanten Route, aber warum nicht? Die neue Seidenstraße sehe ich als alternativen Weg nach Westchina. Denn für Transporte in den chinesischen Südosten ist der Seeweg wettbewerbsfähiger. Eine Bahnstrecke von Duisburg nach Chongqing gibt es ja schon, einige Kunden nutzen das. Um das im industriellen Maßstab zu entwickeln, braucht es Zeit – nicht Monate, sondern eher Jahre.

GEFCO wollte in Russland kräftig wachsen, die Politik kam in die Quere. Was hat sich durch Russian Railways, den neuen Eigentümer seit 2012, geändert?Wir kennen jetzt den russischen Markt viel besser. Natürlich mussten wir wegen der Sanktionen manche Geschäfte einstellen. So hat General Motors seine Produktion in St. Petersburg komplett stillgelegt. Aber unser Job ist es, das flexibel zu managen.

Wie wirkt sich der Brexit aus?

Alle Hersteller kämpfen mit der Unsicherheit. Das verhindert Investitionen, weil niemand weiß, wie die Situation nach dem EU-Austritt aussieht. Wir sehen auch, dass britische Konsumenten weniger Autos kaufen.

Manche finden, der Brexit habe gar nicht so sehr geschadet. Die Marktanteile und der Gesamtmarkt in Großbritannien schrumpfen, das zeigen alle Zahlen. Zum Glück läuft das Automobilgeschäft in Gesamteuropa aktuell sehr gut.

Wo findet Ihr Wachstum statt?

In der Region erwarten wir heuer mehr als 12 Prozent Plus. Wir wollen bei Gesundheit, Pharma und Konsumgütern rascher wachsen als im Automobilbereich, um breiter aufgestellt zu sein.

Sie sind als Logistiker auf offene Grenzen angewiesen. Nehmen Sie mehr Protektionismus, also Abschottungstendenzen, wahr?Das kann sich immer von Tag zu Tag ändern. Vor einigen Monaten gab es kurzfristige Grenzschließungen zwischen Türkei und Bulgarien. Und zwischen Libyen und Italien war das Geschäft überhaupt schlagartig komplett vorbei. Den Idealzustand gibt es eigentlich nie. Wenn Sie mich also fragen, wo ich Probleme sehe: überall (lacht).

Der Logistiker Groupages express de Franche-Comté wurde 1949 von der Peugeot-Citroën-Gruppe (PSA) gegründet. Autos und Autoteile machen 70 Prozent des Umsatzes aus, der 2016 rund 4,23 Mrd. Euro betrug (12.000 Mitarbeiter). Seit 2012 hält PSA nur ein Viertel der GEFCO-Anteile, 75 Prozent wurden an Russian Railways (RZD) verkauft.
In Österreich zählt man 60 Mitarbeiter. Pierre-Jean Lorrain ist seit 1989 bei GEFCO und seit 2017 als Vorstandsmitglied für Zentraleuropa, Balkan, Mittlerer Osten und Afrika zuständig. Das Management der Region kommt mit nur vier Mitarbeitern aus.

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