Nie böse über den Boss twittern

Nie böse über den Boss twittern
Erlaubt ist, was gefällt? Mitnichten – jetzt zeigen Guides, was geht. Und was nicht.

Ein Mitarbeiter mit dem Twitter-Account #Bürohengst bezeichnet in einer Kurz-Nachricht an seine vertrauten Kollegen und Kolleginnen den gemeinsamen Vorgesetzten mit dem digitalen Pseudonym #Superboss als „ein Riesen-Arschloch“. Blöd, dass sein Boss mitlesen konnte. Die Kündigung folgte umgehend, mit dem nächsten Tweet an alle ...

Firmen fürchten um ihr Image in sozialen Netzwerken. „Don’t be stupid!“ Diese simple Botschaft gibt Microsoft seinen Mitarbeitern mit auf den Weg im Umgang mit sozialen Netzwerken. Diesem Beispiel folgen viele Unternehmer und erstellen für ihre Leute eine Social Media Guideline, also eine Aufstellung von Benimmregeln, wie sich Menschen im Social Web präsentieren sollen.

Eigene Regelwerke

Judith Denkmayr, Geschäftsführerin der Wiener Medienagentur Digital Affairs erzählt: „Solche Guidelines können von einem Satz – wie bei Microsoft – bis zu zwanzig Seiten lang sein. Wir empfehlen Firmen, diese Empfehlungen nicht länger als zwei Seiten lang zu halten und klar zu formulieren. Wichtig ist, diese Benimmregeln in der Firma zu thematisieren, also vorzustellen und zu besprechen, und nicht einfach dem Arbeitsvertrag beizulegen.“

Aber nicht nur Unternehmen machen sich Gedanken zum guten Benehmen im Social Web. Die Kommunikationsagentur Scholz&Friends veröffentlichte vor Kurzem den Knigge „Alle meine Freunde – über den Umgang mit Facebook und Co.“ Der Ratgeber enthält zehn Regeln für das makellose Auftreten in sozialen Netzwerken. Den springenden Punkt beschreiben die beiden Autoren, Matthias Spätgens und Oliver Handlos, so: „Nur wer offline etwas erlebt, hat online etwas zu erzählen.“

Auch nicht unwichtig: „Unsere Hinterlassenschaften im Social Web sind wie ein Tattoo: Man kann sie irgendwie entfernen, aber Spuren bleiben immer. Und nicht jeder Freund auf Facebook ist wirklich unser Freund.“

Auch der Deutsche Knigge-Rat beschäftigt sich mittlerweile mit den neuen Kommunikationsmedien. Die Experten für gute Umgangsformen im täglichen Lebens raten dazu, das favorisierte Netzwerk sorgsam auszuwählen und zu bedenken, ob man dieses privat oder beruflich nützen möchte. Eine Vermischung sei zu vermeiden.

Knigge-Tipp: „Bleiben Sie authentisch, bauen Sie keine fiktive Identität auf.“ Sonst leiden Glaubwürdigkeit und guter Ruf. Genau überlegen sollte man sich auch den Freundeskreis im Internet. User sollten sich nicht davor scheuen, unerwünschte Kontaktanfragen abzulehnen.

Arbeitgeber

Eindringlich hingegen die Warnungen des Arbeitsrechtexperten Günter Köstelbauer von der Wiener Arbeiterkammer: „Wir können nicht oft genug den Arbeitnehmern nahelegen, auf Postings und Tweets zu achten und keinesfalls Bemerkungen über Arbeitgeber zu äußern. Dies kann Folgen haben, bis hin zur Entlassung.“ Ebenso problematisch und vielen nicht bewusst: „Äußert ein Mitarbeiter eine Bemerkung nicht selbst, sondern wird nur mittels einer Markierung verlinkt, kann auch dies der Ausgangspunkt für arbeitsrechtliche Probleme werden.“

Sogenanntes Background Checking, also das Überprüfen der Social-Media-Konten von Arbeitnehmern, ist zwar datenschutzrechtlich bedenklich, aber bei einem begründeten Verdacht zulässig, sagt Köstelbauer. Grundsätzlich rät der Experte, die Sicherheitseinstellungen gewissenhaft zu prüfen und Social Media während der Arbeitszeit nicht zu nützen. Bei den Wiener Linien habe man bereits reagiert: „Wegen zu häufiger Nutzung wurde dort der YouTube-Zugang gesperrt.“

"Twitter ist ein Megaphon, Facebook ein Spiegel", zu diesem Schluss kommt eine kürzlich veröffentlichte Studie der US-Universität in Michigan. Für Narzissten sind Facebook und Twitter ideale Podien zur Selbstdarstellung.

In Österreich zählt Facebook 2.916.580 User. Dies verzeichnet das Social-Media-Radar, das vierteljährlich von der Wiener Kommunikationsagentur Digital Affairs erhoben wird. Dabei nützen mit rund 50,7 Prozent nahezu gleich viele Männer wie Frauen einen Account.

Die meisten Facebook-User sind zwischen 20 und 29 Jahre alt (1.020.000), gefolgt von den Altersgruppen 30 bis 39 und 13 bis 19. Die mit großem Abstand größte Fangemeinde verzeichnet in Österreich das Facebook-Profil des Getränkeherstellers Red Bull mit über 37.000.000 Freunden weltweit. Auf Platz zwei liegt der auch in Österreichs sozialen Netzwerken hochaktive US-Eisproduzent Ben und Jerry’s (6.845.633). 2012 knackte Facebook die Milliarden-Marke – statistisch gesehen ist jeder siebte Mensch Mitglied.

Twitter ist mit knapp über 95.000 Usern in Österreich nur ein Randphänomen. Der stellvertretende Chefredakteur der Wiener Zeitung, Franz Zauner, hat dieses soziale Netzwerk einmal in Anspielung auf seine Branche als „eine Art Restaurant Gutruf für uns Journalisten“ bezeichnet. In der Tat findet man unter Österreichs Twitter-Usern auffallend viele Vertreter aus der Medienbranche – viele mit dem persönlichen Hinweis, dass sie hier ihre private Meinung vertreten.

Außer Anonymous Austria befinden sich auf den Top-10-Plätzen des Rankings ausschließlich Journalisten – weit in Front mit rund 87.000 Followern liegt ZiB-2-Moderator Armin Wolf. Auch einige Journalisten des KURIER twittern regelmäßig. Social-Media-Neuling Papst Franziskus gilt übrigens als äußerst aktiver Twitter-User. Fasttäglich lässt er die Welt via Internet an seinem Alltag teilhaben – wohl deshalb wird er schon „Twitter-Papst“ genannt.

Twitter ist wie eine Schulklasse mit unterschiedlichen Cliquen, die eines gemeinsam haben: Sie finden sich selbst großartig und wichtig. Eine Attitüde, die sich vor allem aus einem Selbstverständnis speist, einer kleinen elitären Gruppe anzugehören. Die für sich in Anspruch nimmt, den Geist zu besitzen, die Welt auf 140 Zeichen erklären zu können. Oder, was oft noch schlimmer ist: zu müssen. In der Twitter-Klasse sitzen natürlich Streber, die immer aufzeigen und glauben, in jedem Fall alles besser zu wissen. Das sind meistens die Journalisten. Es lungern aber auch die (anonymen) Schweiger herum, die entweder zu schüchtern, zu feig oder zu listig sind, um sich vor den anderen klar zu positionieren. Das sind meistens auch die Journalisten. Und es gibt im gleichen Maße die Schmähführer, die vor lauter Pointen meistens den Stoff versäumen sowie die Krawallmacher, die bei jeder Gelegenheit versuchen, mit geballten Fäusten Hierarchien und Gruppendynamik zu erzeugen. Das sind meistens erst recht die Journalisten.

Kunststücke

Und dennoch mag ich diesen Ort. Auch, weil sich zwischen den Journalisten so viele andere spannende Denker tummeln, die aber nicht zwangsweise dem eitlen Irrtum verfallen, die tägliche Jagd nach News und die parallel geführten Diskussionen würden das Land verändern. Die stattdessen mit maximal 140 Zeichen wunderbare Geschichten erzählen. Die auf engstem Raum das gigantische Spektrum unserer Sprache abbilden. Die in aller Kürze Klugheit und Witz zum Kunststück machen. Ich bewundere das. Und werfe daher täglich mit Sternen der Anerkennung um mich. Und entziehe mich gleichzeitig (wie auch auf Facebook) allen jenen Dialogen, die von Gehässigkeit statt Respekt, Vernaderei statt mildem Spott, Gerülpse statt Sprache geprägt sind. Das ist auch im Internet eine Frage der Kultur. Wie im richtigen Leben.

Michael Hufnagl auf twitter: @MHufnagl

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