Melancholische Haustyrannin mit Herz

Das vierteilige Prestige-Drama von HBO läuft am Dienstag auf der Viennale.
Die famose Frances McDormand als "Olive Kitteridge": Bei der Viennale und auf Sky.

Auf Filmfestivals werden längst nicht mehr nur Filme gezeigt. Auch die Viennale folgt dem internationalem Trend, hochkarätige Fernsehproduktionen in ihre Festivalprogrammierung aufzunehmen. Zu Beginn zeigte das Filmfest Bruno Dumonts Detektiv-Mehrteiler "P’tit Quinquin", das seine Erstaufführung in Cannes erlebte. Zum Ende der Viennale hin beweist eine Produktion des Bezahlsenders HBO, dass Fernsehen manchmal das bessere Kino bietet: "Olive Kitteridge" (Dienstag, 15.30 und 18.00, Gartenbaukino) ist ein vierteiliges Prestige-Drama von Regisseurin Lisa Cholodenko ("The Kids Are Alright") und bringt seine famose Hauptdarstellerin Frances McDormand bestens zur Geltung. Die Oscarpreisträgerin ("Fargo") spielt nicht nur die ruppige Hauptfigur Olive Kitteridge, sondern tritt auch als Produzentin der Mini-Serie auf.

Bei der Premiere in Venedig verkündete die 57 Jahre alte McDormand das, was alle wissen: Dass mit zunehmendem Alter das Rollenrepertoire für Schauspielerinnen im Film-Biz immer kleiner wird. Im Fernsehen hingegen, so die Ehefrau von Regisseur Joel Coen, "kann man sich neu erfinden".

Scharfzüngig

"Olive Kitteridge" basiert auf den Kurzgeschichten der Pulitzer-Preisträgerin Elizabeth Strout (siehe Info rechts) und ist der reschen McDormand wie auf dem Leib geschneidert: Als hätte sie in ihrem Leben nie etwas anderes gemacht, spielt sie die scharfzüngigen Mathematiklehrerin Olive Kitteridge, die in einer Küstenstadt im US-Bundesstaat Maine mit ihrer bärbeißigen Art Ehemann, Sohn und Schüler auf Trab hält.

Die erste Episode des Vierteilers beginnt mitten in der Ehekrise: Olive flirtet heftig mit einem Lehrerkollegen, während ihr Mann – gespielt von dem lammfrommen Richard Jenkins – in seiner Apotheke die Gehilfin anschmachtet. Beide unterdrücken ihre außerehelichen Gelüste und tragen ihre gespeicherten Aggressionen am Familientisch aus. Es vergeht kaum ein Abendessen, wo nicht mindestens ein Familienmitglied aufspringt und verbittert sein Nachtmahl in den Mistkübel fegt.

McDormand ist als Haustyrannin mit weichem Kern gleichermaßen witzig und furchterregend. Wenn sie ihrer aufgeblasenen Schwiegertochter mit Leuchtstift den weißen Pulli ruiniert, bleibt man auf ihrer Seite. Gleichzeitig aber lässt sich mühelos nachvollziehen, warum der Sohn seine Mutter hasst.

Provinzpanorama

Meisterlich entwirft Regisseurin Cholodenko ein komisch-melancholisches Provinzpanorama und beobachtet mit großer Genauigkeit die Rituale der Familie und ihrer Nachbarn. Dabei bietet sie McDormand die perfekte Bühne, ohne jemals ihre anderen Figuren aus den Augen zu verlieren. Wenn nach vier Stunden die Geschichten aus dem Leben der "Olive Kitteridge" zu Ende gehen, hat man noch lange nicht genug.

INFO: Der Eintritt zu den Screenings ist frei. Zählkarten sind am 4.11. ab 14.30 im Gartenbaukino erhältlich. Anfang 2015 läuft die Serie auf Sky.

Melancholische Haustyrannin mit Herz
epa01703643 A undated handout photograph released by the Purlitzer Board on 20 April 2009 showing Elizabeth Strout, US writer of 'Olive Kitteridge'. Strout is the winner of the 2009 Pulitzer Prize for Fiction. as announced by the Pulitzer Prize Board in New York USA, 20 April 2009. EPA/PULITZER BOARD / HO FOR USE ONLY IN CONTEXT WITH THE 2009 PULITZER PRIZE WINNERS
Immer wieder passiert das: Dass einem Buch dank Kitsch-Cover und ebensolchem Titel sehr, sehr unrecht getan wird. Tatsächlich mutet Elizabeth Strouts literarische Vorlage zur „Olive Kitteridge“-Miniserie auf den ersten Blick wie seichte Urlaubslektüre an: Das pulitzerpreisgekrönte Buch, das im Original schlicht „Olive Kitteridge“ heißt, trägt im Deutschen den Namen „Mit Blick aufs Meer“ (Luchterhand, 20,60?€) und sieht auch so aus.

Dabei entlarvt die lebenskluge Geschichte einer missmutigen Mathematiklehrerin eben jene Scheinidylle, die das Setting des hübschen Städtchens in Maine vorspielt: Hinter gepflegten Vorgärten verstecken sich Selbstmord, Verrat und Tablettensucht. Auch das jüngste Buch der 1956 in Maine geborenen Schriftstellerin berichtet meisterhaft aus der Vorhölle Kleinstadt. Und wird der Titel dem Buch nicht gerecht: Im Original heißt es „The Burgess-Boys“, auf deutsch rätselhafterweise „Das Leben, natürlich“ (Luchterhand, 20,60 €) . Man soll sich davon nicht abschrecken lassen. Elizabeth Strout ist eine dringende Empfehlung.

Barbara Mader

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