Hasspostings: Im Bürgerkrieg der Meinungen

Die Flüchtlinge spalten das Land – zumindest online. Hassposter hier, Antihassposter dort: Dennoch kein Spiegelbild der Gesellschaft, sagen Experten und Betroffene
In der Asyldebatte schreiben radikale Lager gegeneinander an. Die stumme Mehrheit schaut ratlos zu.

Versinken wir plötzlich im Hass? Am Asylthema entzündet sich im Internet eine Debatte, die ausschließlich aus Extrempositionen besteht: Die einen hetzen gegen Asylwerber, die anderen gegen die Hetzer. Dazwischen bleibt derzeit rhetorisch wenig übrig. Besucht man die neuen digitalen Stammtische Facebook und Twitter, treten schlimme Entgleisungen zutage. Ein Jugendlicher fantasiert dort von einem Flammenwerferangriff auf ein kleines Asylwerbermädchen, der deutsche "Tatort"-Kommissar Til Schweiger beschimpft im Gegenzug die ausländerfeindlichen Hassposter. "Ihr seid zum Kotzen", hinterließ er ihnen auf seiner Facebookseite. Zersplittert hier ein gesamtgesellschaftlicher Diskurs?

Überrepräsentiert

Hasspostings: Im Bürgerkrieg der Meinungen
Social-Media-Forscher Axel Maireder, der beim Umfrageinstitut GfK in Wien arbeitet, glaubt das nicht. Er verweist auf einen grundlegenden Mechanismus der digitalen Kommunikation: Wer zu einem Thema ein Posting verfasse, habe "eine dezidierte Meinung und das Bedürfnis, diese Meinung zu artikulieren". Meist sind das radikale, kompromisslose Botschaften von den weltanschaulichen Rändern. Die schweigende Mehrheit, die sich ihrer Meinung nicht so sicher ist, sei hingegen zögerlicher, sich zu artikulieren – "damit sind extreme Positionen immer massiv überrepräsentiert". Ein Phänomen, das nicht nur bei politischen Themen zu beobachten sei. Auch die Internetpostings zu Unternehmen teilen sich fast ausschließlich in massiv positive oder massiv negative Meinungen auf, so Maireder.

Anstrengend

Was sich also derzeit auf Facebook abspielt, ist demnach kein neuer Mainstream, sondern zeigt Meinungspole im digitalen Schreiduell: Die einen thematisieren die angeblichen ausländischen Schmarotzer, von der anderen Seite schallt es ihnen "Rassist, Pöbel, dummes Pack" entgegen.

Sich zu deklarieren, kann anstrengend sein. Das niederösterreichische Rote Kreuz trennte sich etwa von einer Mitarbeiterin, die sich über ein Flüchtlingslager auf eine Weise geäußert hatte, die mit den Werten der Organisation nicht unter einen Hut zu bringen waren.

Hasspostings: Im Bürgerkrieg der Meinungen
Seither prasseln auf Facebook die absurdesten Vorwürfe auf die Helfer ein. "Meinungslosigkeit, sonst fliegst raus", schreibt etwa ein User. Andere drohen mit Austritt und Spendenboykott. Wohlgemerkt: Wegen einer – freiwilligen – Mitarbeiterin, die gehen musste.

Zu Selbstmitleid sieht die Landesorganisation jedoch keinen Anlass, wie Pressesprecher Andreas Zenker schildert: "Viele Mitarbeiter schätzen uns dafür, dass wir uns gegen diesen Strom stellen. Für jeden, der da austritt, gibt es zwei neue." Man nehme die Nörgler und Schimpfer auch nicht besonders ernst: "Die, die am lautesten schreien, sind immer eine gefühlte Mehrheit, aber das entspricht nicht der Realität." Dass die Kollegin gehen musste, sei außerdem klar anhand der Regeln des Roten Kreuzes erfolgt. "Wir können uns über Schutzbefohlene nicht abfällig äußern. Das Rote Kreuz ist gewaltfrei, unbewaffnet und wir beschimpfen unsere Klienten nicht."

An die Wand stellen

Gleichzeitig dringt der Zorn auch in Bereiche vor, in denen sonst fein gedrechselte Sätze in Gebrauch sind:"Es gibt schon schöne Trotteln", entfuhr es am vergangenen Mittwoch "ZiB2"-Moderator Armin Wolf live auf Sendung, als er einen Beitrag über Hasspostings abmoderierte.

Überschießende Emotionen? "Ich stehe total dazu", sagt Wolf auf Nachfrage. "Der Beitrag vorher hat mit einem Posting geendet, in dem gefordert wurde, Flüchtlinge an die Wand zu stellen und in den Kopf zu schießen. Da finde ich ,Schöne Trotteln‘ sogar ziemlich harmlos. Einfach das Wetter anzumoderieren hätte ich wirklich unpassend gefunden."

Ein einsamer Briefeschreiber habe sich beim ORF-Publikumsrat beschwert. "Das habe ich auf meine Facebookwand gepostet und dazu bisher an die 2000 Kommentare bekommen, von denen mir 90 Prozent gratulieren." Auch so eine Eigenschaft der Onlinedebatte: Die Fans applaudieren, also kann man nicht so falsch liegen. Oder?

Die Profiteure

Mit der Radikalisierung auf den Social-Media-Plattformen tun sich vor allem die Mainstream-Parteien ziemlich schwer, meint Social-Media-Experte Maireder. Besonders die Freiheitlichen könnten daraus Profit schlagen und auch die Grünen hätten "eher ein kleineres Problem damit". Beide Parteien würden ein Klientel mit klar definierten Positionen ansprechen, die sich in den Postings und Foreneinträgen widerspiegeln.

Ob sich daraus auch neue Stimmen ergeben können, sei nicht gesagt, so Maireder. "Einerseits erzeugt die Polarisierung einen Druck, sich zu deklarieren, gleichzeitig kann es aber auch zu einer Abstumpfung führen – bis hin zu dem Punkt, wo jemand nicht mehr wählen geht."

Mit den klassischen Shitstorms, die nach wenigen Tagen vorüberziehen, seien die Hasspostings zu Themen wie Asyl jedoch nicht zu vergleichen, stellt er klar. "Das Flüchtlingsthema ist eine relevante gesellschaftspolitische Frage, die sich massiv auswirkt." Sprich: Ob ein "Zuckerdieb" als Kellner gefeuert wird, ist den Menschen bald wieder egal – die Flüchtlinge hingegen: Sie bleiben.

Laut dem Jahresbericht des Bundesamts für Verfassungsschutz sind im vergangenen Jahr 3354 Hinweise bei der Meldestelle NS-Wiederbetätigung, die auch für rassistische und verhetzende Äußerungen zuständig ist, eingegangen. Davon waren 630 auch strafrechtlich relevant.

Alleine die Anzeigen wegen verhetzender Postings sind im vergangenen Jahr um 30 Prozent gestiegen. Ab 1. Jänner 2016 tritt die überarbeitete Version des Verhetzungsparagrafen 283 StGB in Kraft, in der unter anderem die Grenze der erreichten Leser bzw. Zuhörer, ab der eine Aussage strafbar wird, heruntergesetzt. Strafbar war bisher, wer z. B. gegenüber einer Religionsgesellschaft oder einem Volk zu feindseligen Handlungen bzw. Gewalt aufforderte oder aufreizte und diese Aussagen vor mindestens 150 Personen tätigte. Viele Verfahren wurden jedoch eingestellt, weil Äußerungen oft für eine deutlich geringere Anzahl an Personen öffentlich wahrnehmbar waren. Durch die Absenkung auf 30 Personen sollen nun auch kleineren Foren oder Versammlungen strafrechtlich Rechnung getragen werden. Zusätzlich reicht dann das "Aufstacheln zum Hass" gegen ein Kollektiv. Somit sind künftig auch Gruppen als Gesamtes und nicht nur einzelne Personen geschützt.

Die Folgen der Hetze

Mit Jahresbeginn droht Hasspostern dann schon eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren, wenn vor mehr als 30 Personen zum Hass angestachelt oder eine Aufforderung zur Gewalt ausgesprochen wird. Die Strafe für Hetze vor größerem Publikum (ab 150 Personen) wurde von zwei auf bis zu drei Jahre Haft erhöht. Ist die Folge öffentlicher Hetze Gewalt, drohen bis zu fünf Jahre Gefängnis.

Das Netzwerk Facebook bietet eine eigene Funktion an, um unangemessene Inhalte zu melden und entfernen zu lassen. Während von Nutzern gemeldete Fotos mit stillenden Müttern oder nackten Personen schnell entfernt werden, verbleiben Hasspostings häufig ungelöscht. Löschanträge werden dann meistens aufgrund eines nicht feststellbaren Verstoßes gegen die Richtlinien abgelehnt.

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