Der "Spiegel" blickt in ungewisse Zukunft

Franziska Augstein, Tochter des "Spiegel"-Gründers und Verlegers Rudolf Augstein, sitzt am 23.09.2012 in Hamburg auf der Bühne der zweitägigen Konferenz anlässlich des 50. Jahrestages der «Spiegel»-Affäre. Die "Spiegel-Affäre" im Herbst 1962 war die erste größere innenpolitische Krise der Bundesrepublik Deutschland. Foto: Marcus Brandt/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
Europas größtes Nachrichtenmagazin steckt in der Krise. Das Aufdeckerflaggschiff sucht einen Kapitän.

Der Dichter Gottfried Benn nannte ihn eine „unterhaltsame Revolverwochenschrift“. In den Augen des Bundeskanzlers Konrad Adenauer war er schlicht ein „Schmierblatt“. Für Gründer Rudolf Augstein zählte nur eines: „Im Zweifel links“ zu sein.

Die Ansichten über Deutschlands größtes Nachrichtenmagazin sind verschieden, doch eines ist sicher: Der Spiegel steckt in einer handfesten Krise. Nach wie vor ist das Magazin mit der Aufdecker-Tradition Nummer eins im Zitaten-Ranking, gekauft wird es trotzdem immer weniger: Die verkaufte Auflage ist seit 1998 um 15,7 Prozent gesunken. Und die Anzeigenverluste, die die gesamte Branche spürt, ließen auch den Spiegel nicht ungeschoren.

Auch inhaltlich setzt es Kritik. Das Blatt sei geschwätzig geworden, habe schon unter Ex-Chefredakteur Stefan Aust seinen Platz als Leitmedium verloren, lautet der Tenor. Jetzt muss sich das angeschlagene Magazin auch noch verhöhnen lassen: Angesichts des Covers „Hitlers Uhr“ von Anfang dieses Jahres spottete das Online -Branchen-Magazin Meedia: „Tickt der Spiegel noch richtig?“

Doppelspitze abgesetzt

Seit vergangener Woche ist das Magazin auf der Suche nach einem neuen Chefredakteur. Die bisherige Doppelspitze von Print-Chef Georg Mascolo und Digital-Chef Mathias Müller von Blumencron wurde abgesetzt. Die taz titelt frech „Spiegel sucht Führer“ – ein Seitenhieb auf die unzähligen Hitler-Cover des Spiegel.

Der "Spiegel" blickt in ungewisse Zukunft
ARCHIV - Die Bildkombo zeigt die beiden bisherigen Spiegel-Chefredakteure Mathias Müller von Blumencron (l) und Georg Mascolo. Der «Spiegel»-Verlag hat die beiden Chefredakteure des «Spiegel», Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron, abberufen. Grund seien «unterschiedliche Auffassungen zur strategischen Ausrichtung», teilte der Verlag am 09.04.2013 in Hamburg mit. Foto: dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
Grund für den Abgang von Mascolo und Müller von Blumencron , die seit der Ablöse von Stefan Aust 2008 die Redaktion gemeinsam geführt hatten, seien „unterschiedliche Auffassungen zur strategischen Ausrichtung“, teilte der Verlag mit. Streit soll es unter anderem um die Online-Strategie gegeben haben. Etwa darüber, ob und welche Inhalte von Spiegel Online kostenpflichtig werden könnten. Dazu kommt: Zum Amtsantritt von Mascolo und Müller von Blumencron hatte die verkaufte Auflage bei mehr als einer Million Exemplare gelegen, zuletzt betrug sie 891. 000 Exemplare. Der Einzelverkauf schwächelte zuletzt noch drastischer: Von der Ausgabe vom 25. März „Das ewige Trauma – Der Krieg und die Deutschen“ sollen weniger als 200.000 Exemplare im Einzelhandel abgesetzt worden sein.Spiegel Onlineerreicht allein in Deutschland monatlich 11,2 Millionen User.

Nachfolger

Branchenkreise nennen Kandidaten für die Nachfolge: Die größten Chancen werden dem anerkannten Sohn des Spiegel-Gründers Rudolf Augstein eingeräumt: Jakob Augstein ist Chefredakteur des links-liberalen Magazins Freitag und Kolumnist bei Spiegel Online. Auch seine Schwester, die Journalistin Franziska Augstein (Süddeutsche Zeitung) wird genannt. Um die Besetzung gänzlich zur Familienangelegenheit zu machen: Auch deren Lebensgefährte, Heribert Prantl, stellvertretender Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, gilt als aussichtsreicher Kandidat.

Genannt werden weiters der Chefredakteur der dpa, Wolfgang Büchner und die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel, Lebensgefährtin der ARD-Talkerin Anne Will. Bereits abgewinkt haben Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo und Gabor Steingart, Geschäftsführer der Verlagsgruppe Handelsblatt.

Bis auf weiteres wird der Spiegel von den stellvertretenden Chefredakteuren Klaus Brinkbäumer und Martin Doerry geführt.

Die Nachbesetzung wird schwierig: Personalentscheidungen nehmen die Gesellschafter des Spiegel vor: Das sind zu 50,5 Prozent die Mitarbeiter. Sie geben zwar den Ton an, müssen sich aber mit den Minderheitseignern, dem Verlag Gruner + Jahr und den Erben des Gründers Rudolf Augstein einigen. Grotesk: Gruner + Jahr, Europas größtes Verlagshaus, ist Herausgeber des Stern. So wird nun ausgerechnet der größte Mitbewerber des Spiegel über dessen neuen Chef und somit die Richtung des Magazins bestimmen.

„Eine Geschichte wie von Shakespeare“ nennt es Produzentin Gabriela Sperl: Die Rede ist von der Spiegel-Affäre, über die die ARD gerade einen Fernsehfilm dreht. Die Redaktion des Nachrichtenmagazins war 1962 wegen eines Bundeswehr-Berichts durchsucht und Herausgeber Rudolf Augstein verhaftet worden.

Der Spiegel-Gründer, der im November 2002 starb,hat auch privat turbulente Zeiten erlebt. Nach seinem Tod machte der Verlag Gruner + Jahr eine Klausel geltend, die sich im Testament des Verstorbenen fand. Augstein hatte Jahre vor seinem Tod als letzten Willen festgelegt, dass nach seinem Ableben die Erben vom 25-prozentigen Familien-Anteil am Magazin Der Spiegel ein Prozent jeweils zur Hälfte an Gruner + Jahr und die Mitarbeiter KG abgeben sollten. Was deren Mitsprache im Unternehmen marginalisiert.

Die Erben sind seine vier Kinder aus drei von fünf Ehen, unter ihnen zwei Journalisten, Franziska und Jakob, die, schrieb die Zeit, jedenfalls nicht wegen, allenfalls trotz ihres Namens in ihrem Beruf mehr als Ansehnliches geleistet haben.

Links-liberal

Der 45-jährige Verleger und Journalist Jakob Augstein wurde während der Ehe Rudolf Augsteins mit der Übersetzerin Maria Carlsson geboren. Sein Erzeuger ist der Schriftsteller Martin Walser. Dass Walser sein leiblicher Vater ist, erfuhr Jakob Augstein nach dem Tod von Rudolf Augstein auf Nachfrage von seiner Mutter.

Jakob Augstein ist Chefredakteur des links-liberalen Magazins Freitag und Kolumnist beim Spiegel Online.

Seine Kolumne heißt wie seines Vaters Zeitungs-Credo: „Im Zweifel links“.

Just der deutsche Publizist Henryk M. Broder, der 2012 Vorwürfe gegen Jakob Augstein wegen dessen Äußerungen über die Politik Israels erhoben und sich zur Aussage verstiegen hatte, Augstein sei ein „lupenreiner Antisemit“, stellte diesem in der Welt ein Empfehlungsschreiben als neuer Spiegel-Chef aus. Titel: „Er kann es!“

Neben Jakob Augstein gilt auch dessen Schwester, die Journalistin Franziska Augstein als Kandidatin. Sie hatte sich in der Vergangenheit schon öfter über Spiegel-Angelegenheiten geäußert und den ehemaligen Chefredakteur Stefan Aust wegen inhaltlicher Verflachung kritisiert. Nun ärgerte sie sich wieder – abermals öffentlich: Gegenüber der TV-Agentur Statement TV monierte sie, dass Interna aus dem Gesellschafterkreis des Spiegel nach außen dringen. „Dergleichen Gequatsche macht die Jahresbilanz nicht besser“, sagte die 49-jährige Journalistin.

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