Das Brock-Haus ist eingestürzt

ARCHIV - Am Publikumstag erkunden Besucher am Samstag (22.10.2005) auf der Buchmesse in Frankfurt am Main die überdimensionale Installation des Brockhaus-Verlages. Der Brockhaus steht vor dem Aus. Der Medienriese Bertelsmann will das Geschäft mit Lexika aufgeben. Das teilte der Konzern am Dienstag mit. Zunächst soll der wichtige Direktvertrieb bis Mitte 2014 eingestellt werden. Die Online-Aktualisierungen sollen noch sechs Jahre fortgeführt werden. Der Vertrieb über den Buchhandel allein reiche aber nicht zum Überleben aus, hieß es. Foto: Boris Roessler/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
Das populärste deutschsprachige Lexikon stellt sein Erscheinen ein.

In seiner Tante Jolesch beschreibt Friedrich Torberg einen allumfassend gebildeten Herrn namens Eckstein so: „Man raunte sich zu, dass der Große Brockhaus, wenn er etwas nicht wusste, heimlich aufstand und im alten Eckstein nachsah.“ Im alten Eckstein kann man schon lange nicht mehr nachschauen, bald wird das aber auch im neuen Brockhaus nicht mehr möglich sein, gab doch die Verlagsleitung diese Woche bekannt, dass die Produktion des populärsten Lexikons im deutschen Sprachraum nächstes Jahr eingestellt wird. Noch kann man, wenn man im Brockhaus blättert, erfahren, dass das Ende ausgerechnet mit dem 200. Geburtstag des legendären Nachschlagewerks zusammenfällt.

Brockhaus, Friedrich Arnold, steht im Brockhaus, * Dortmund 4. 5. 1772, † Leipzig 20. 8. 1823; gründete eine Verlagsbuchhandlung… ab 1814 unter dem Namen F. A. Brockhaus… Verlegte Bücher, Zeitschriften, Konversationslexika, war der erfolgreichste und bekannteste deutscher Verleger seiner Zeit.

Seit wir denken können – und natürlich auch lange davor – gehört es zum guten Ton, dass die Angehörigen des so genannten Bildungsbürgertums den Großen (bis zu 30-bändigen) oder zumindest den Kleinen (sechsbändigen) Brockhaus in ihrer Bibliothek stehen haben. Im Brockhaus wurde und wird man präzise informiert, egal ob man unter Mozart, Wolfgang Amadeus, * 27. 1. 1756 in Salzburg, † 5. 12. 1791 in Wien… nachsieht oder unter Atomkraftwerk: Ein mit Kernenergie betriebenes Kraftwerk… Der erste elektrische Strom aus Atomkernen wurde am 20. 12. 1951 in Arco (USA) erzeugt...

Wikipedia ist schneller

Nichts, was man hier nicht erfahren könnte – außer, dass sich die Zeiten geändert haben. Statt im Brockhaus zu schmökern, klicken heutzutage auch Bildungsbürger Wikipedia oder andere Online-Lexika an. Die sind vielleicht nicht ganz so zuverlässig wie der zuletzt 2005 in 21. Auflage gedruckte Brockhaus, dafür geht’s schneller und kostenfrei, und im Brockhaus kann man natürlich auch die Information Thatcher, Margaret, brit. Politikerin, † 8. 4. 2013 nicht finden. Bei Wikipedia erfuhr man das schon wenige Minuten nach Bekanntwerden ihres Todes.

Der erwähnte Verlagsgründer Friedrich Arnold Brockhaus war als Sohn eines Kaufmanns, der aus einer alten Pastorenfamilie stammte, zur Welt gekommen. Mit 16 Jahren verließ er auf Wunsch seines Vaters das Gymnasium und begann eine kaufmännische Lehre, die er nach einem Streit mit dem Prinzipal abbrach. Seit früher Jugend lesebegeistert – er selbst beschrieb das als „Bücherwuth“ – besuchte Brockhaus als außerordentlicher Hörer an der Universität Leipzig Vorlesungen der Physik, der Mathematik und der Chemie, eröffnete dann aber eine Tuchhandlung. Das Geschäft blühte, doch geriet der als aufbrausend verschriene Brockhaus mit seinem Teilhaber wegen geplatzter Bankschecks in Streit. Friedrich Arnold Brockhaus wurde sogar vorübergehend festgenommen und stieg, als er wieder frei war, aus dem Stoffhandel aus, um sich 1805 endlich jenem Geschäftsfeld zuzuwenden, das ihn in seinem Wissensdrang faszinierte: dem Buch- und Verlagshandel.

Ohne Lizenz

Da er noch keine Lizenz hatte, firmierte der Verlag vorerst unter dem Namen seines Kompagnons Rohloff & Co. und brachte drei Jahre nach der Firmengründung das erste Konversationslexikon heraus. Dessen vierte Auflage ging dann im Jahre 1814 zum ersten Mal als Brockhaus in Druck.

Neben Lexika erschienen bei Brockhaus auch andere Bücher wie das Frühwerk des noch wenig bekannten Philosophen Schopenhauer, Arthur,* 22. 2. 1788 in Danzig, † 21. 9. 1860 in Frankfurt am Main... Oder die pikanten Erinnerungen des damals bereits verstorbenen Frauenhelden Casanova, die Brockhaus zum ersten Skandal in seinem sonst so seriösen Unternehmen verhalfen.

Casanova, Giacomo, so steht’s im Brockhaus, * Venedig 2. 4. 1725, † Dux (Böhmen) 4. 6. 1798, Schriftsteller, Abenteurer, Frauenheld… Berühmt durch seine Memoiren, deren stark erotischer Aspekt bewirkte, dass er lange Zeit ausschließlich als maßloser Liebhaber gesehen wurde.

Friedrich Arnold Brockhaus war bereits tot, als seinen Söhnen Friedrich und Heinrich eine der ärgsten Schlappen in der Firmengeschichte widerfuhr, als nämlich Goethe, Johann Wolfgang von, Dichter, * 28. 8. 1749 in Frankfurt am Main, † 22. 3. 1832 in Weimar seine Werke nicht bei Brockhaus, sondern (obwohl der weniger zahlte) bei seinem bisherigen Verleger Cotta erscheinen ließ.

Die Enttäuschung darüber hinderte den Brockhaus Verlag nicht, Filialen in Paris, London und St. Petersburg zu eröffnen und in zwei Jahrhunderten mehrere Millionen Lexika zu verkaufen.

Selbst als die Welt aus den Fugen geriet, konnte das dem Brockhaus nichts anhaben: Im Weltkrieg I., 1914–1918 (Brockhaus), in dem mehr als 200 Verlagsmitarbeiter an die Front mussten, ging die Produktion des Lexikons ebenso weiter wie 1933, als die Neuauflage von den Nationalsozialisten kontrolliert und mit NS-Propaganda versehen wurde.

Die Enteignung

Der Leipziger Verlag überstand seine fast völlige Zerstörung durch einen alliierten Bombenangriff im Weltkrieg II., 1939–1945 und danach die Enteignung durch DDR-Behörden. Brockhaus ließ sich nicht unterkriegen und druckte seine Lexika von da an im westdeutschen Wiesbaden – manchmal mit österreichischer Unterstützung: Die 19. Auflage der Brockhaus Enzyklopädie wurde 1986 von Friedensreich Hundertwasser gestaltet und die 20. im Jahr 1996 von André Heller.

Der Brockhaus hat Revolutionen, Weltkriege und Diktaturen überlebt. Erst Wikipedia sollte sich dann als allzu mächtiger Gegner erweisen.

Der Medienkonzern Bertelsmann gab am Dienstag bekannt, dass der Direktvertrieb der traditionsreichen Brockhaus Enzyklopädie und aller anderen Lexika (Kinder-Brockhaus, Brockhaus Lernhilfe etc.) Mitte 2014 eingestellt wird. Der Vertrieb über den Buchhandel allein reiche zum Überleben nicht mehr aus.

Die Online-Aktualisierungen des Lexikons sollen noch sechs Jahre fortgeführt werden. Die Marke Brockhaus gehört zum Wissenmedia Verlag. Ein Großteil der mehr als 300 Arbeitsplätze wird verloren gehen. Der F. A. Brockhaus Verlag war bis 2008 zum Teil noch im Besitz der Familie Brockhaus, danach wurde er vom Bertelsmann-Konzern übernommen.

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