Presseschau: "Welche Werte müssen wir teilen?"

Auch am Freitag bestimmt der Terrorangriff auf "Charlie Hebdo" die Berichterstattung. Ein Überblick.

Die internationalen Tageszeitungen sind auch am Freitag voll mit Kommentaren zum Anschlag auf das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo".

" Corriere della Sera" (Rom):

"Nicht der Westen muss die Sichtweise des Islam anerkennen, die uns auf historischer, kultureller und sozialer Ebene fremd ist. Der Islam muss die Sichtweise des Westens anerkennen. Leider versteht er sie aber nicht. Es scheint, als wolle er sie auch nicht verstehen. Deshalb antwortet er auf die Andersartigkeit (...) mit Intoleranz und Waffen - und tötet diejenigen, die eine Vision des Zusammenlebens vertreten, das sich von ihrer so radikal unterscheidet. Die Anhänger des Islam selbst müssen aus dem Mittelalter, in dem sie noch so tief verharren, heraustreten und in die Moderne eintreten, um die historischen Gründe für den Konflikt zu eliminieren."

"El Mundo" (Madrid):

"Toleranz und Freiheit sind die Essenz der europäischen Zivilisation und das, was zu ihrem Fortschritt beigetragen hat. Die Aufgabe, die sich nun stellt, ist, wie man der jihadistischen Herausforderung begegnet, ohne diese Identitätsmerkmale zu verlieren. Manche fordern extreme Maßnahmen und argumentieren, ein muslimisches Regime würde für westliche Werte niemals das Verständnis aufbringen, das in Europa gegenüber allen Glaubensbekenntnissen und Kulturen herrscht. Aber was wir gerade auf keinen Fall tun dürfen ist, uns so benehmen zu wollen, wie es diejenigen tun, die wir kritisieren (...) Man muss Entschlossenheit zeigen bei der Verteidigung universeller Werte wie Respekt des Lebens und der Menschenrechte."

"Independent" (London):

"Wie zu erwarten war stehen jetzt die überlebenden Redaktionsmitglieder von "Charlie Hebdo" unter scharfem Polizeischutz. In Europa hat nach diesem Anschlag das Thema Sicherheit eine noch größere Bedeutung gewonnen. Die Art des Angriffs lässt eine gewaltige Herausforderung für Nachrichtendienste erkennen: Die Terroristen haben gewiss in koordinierter und professioneller Weise gehandelt. Je klarer ein Plan ist, desto weniger Anzeichen gibt es im Vorfeld. Es ist unmöglich, die Gefahr derartiger Angriffe auszuschalten. Und die Kriege in Syrien und im Irak gießen Öl auf das Feuer der Jihadisten."

"De Standaard" (Brüssel):

"In Stadien wurde spontan die Marseillaise angestimmt. Franzosen schlossen sich zusammen, rings um liberté, égalité und fraternité - egal ob katholisch, islamisch oder nichtgläubig. Doch nicht nur in Frankreich droht diese Bürgerfront wieder zu zerbrechen. Immer wieder konfrontiert der radikale Islam die europäischen Gesellschaften mit der Frage, wer dazugehört und ob wir erklären können, dass einige nicht dazugehören. Welche Werte müssen wir teilen? Solche politischen Emotionen werden dadurch ausgelöst, dass jene, die uns angreifen, zu uns gehörten bis sie sich plötzlich gegen uns wandten. Die xenophobe Rechte schürt seit Jahrzehnten das Verlangen, Fremdlinge loszuwerden. Erst war es die Hautfarbe, später die Religion. Der Islam gehöre hier nicht her, behaupten sie. In den radikalisierten Muslimen haben Fremdenfeinde objektiv betrachtet Bündnispartner. So erscheint der Islam als der Feind."

"Münchner Merkur" (München):

Es sind von Tristesse und Verzweiflung gezeichnete Banlieues, bewohnt von Jugendlichen, die mangelnde Perspektiven und fehlende Chancen durch Gewalt zu kompensieren versuchen. Sie leben in Frankreich, doch dessen Werte sind nicht die ihren. Ein ideales Feld für islamistische Heilsversprecher. Zusammen verbreiten sie Angst. Und obwohl eine Minderheit, haben sie und aus Syrien zurückgekehrte kampferprobte Islamisten es geschafft, den Islam für die Mehrheit der Franzosen als Bedrohung erscheinen zu lassen. Was für ein Irrsinn in einem Land mit derart tiefgehenden muslimischen Verbindungen wie Frankreich. Und was für ein Nährboden für die kruden Ideen der Front-National-Hetzer um Marine Le Pen: Frankreich den Franzosen! Welchen Franzosen? 23 Prozent der Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund, nicht zuletzt aufgrund der kolonialen Vergangenheit des Landes.

"Frankfurter Rundschau" (Frankfurt):

"Mehr Schutz vor Terroranschlägen, wie ihn Hollande in Aussicht stellt, kann es in einer offenen demokratischen Gesellschaft wie der französischen kaum geben. Zumal die Täter meist aus der Mitte der Gesellschaft kommen, oft erst als handelnde Terroristen auf sich aufmerksam machen. Diejenigen, die an die Angst der Franzosen appellieren, dürften sich auf alle Fälle leichter tun als der Differenzierungsvermögen einfordernde Präsident. Die Rechtspopulisten des Front National, die den Problemen des Landes mit Schuldzuweisungen an die Adresse der EU, der Immigranten und der Muslime zu begegnen pflegen, sehen ihre Stunde gekommen. Bleibt nur die Hoffnung, dass Frankreichs Demokraten dagegenhalten (...)."

"Tagesspiegel" (Berlin):

"Wo es so viel gibt, das trennt, wird es doppelt wichtig, jene Werte zu beschwören, die den Zusammenhalt eines Landes ausmachen. Als Staatspräsident Francois Hollande von der französischen Identitätskrise sprach, war der Mord an den Redakteuren von 'Charlie Hebdo' noch nicht geschehen. Hollande bezog sich vielmehr auf den gerade erschienenen Roman von Michel Houellebecq, in dem das Frankreich des Jahres 2022 von einem Muslim präsidiert wird. Die Krise, die Hollande meint, ist nicht nur eine der Wirtschaft. Es ist eine Krise des Selbstwertgefühls, der Angst vor der Zukunft, der Ungewissheit. Deutschland ist nicht Frankreich. Aber nachzudenken über das, was uns zusammenhält, gäbe es auch auf dieser Seite des Rheins Grund genug."

"Politiken" (Kopenhagen):

"Seit der Tragödie in Paris haben Bürger zu Tausenden in den Straßen spontan zusammengefunden, vereint in Abscheu. Über ihrer Rasse oder Religion steht die große Gemeinschaft als eine leuchtende Manifestation der Ziele, die alle, die frei, offen und demokratisch leben wollen, teilen. Die Terroraktion gegen das satirische Magazin "Charlie Hebdo" in Paris vorgestern war ein Angriff auf die Meinungsfreiheit. Die grundlegenden Rechte der westlichen Gesellschaft sind nicht kostenlos dahergekommen. Sie sind über Jahrhunderte gewonnen worden und dürfen nicht als selbstverständlich angesehen werden. Sie müssen verteidigt werden."

"Le Monde" (Paris):

"Seit zehn Jahren wurden sie bedroht, und sie wussten es. Hasserfüllte, verrückte Islamisten verfolgten diese "Gotteslästerer", die es wagten, sich über ihren Propheten lustig zu machen. Die Mannschaft von "Charlie Hebdo" hat keine Zugeständnisse gemacht, hat weitergemacht, ohne mit der Wimper zu zucken. Jede Woche haben die Journalisten und Zeichner, nur mit ihren Stiften bewaffnet, ihren Kampf für die Meinungs- und Gedankenfreiheit fortgesetzt. Einige fürchteten sich, doch sie alle haben ihre Furcht unterdrückt. Sie sind als Soldaten unserer Freiheit gestorben. Gestorben für ihre Zeichnungen."

"Liberation" (Paris):

"Gewiss werden in unseren vom Geschäftsleben geprägten Gesellschaften die Grundwerte häufig aus den Augen verloren. Doch in schweren Prüfungen tauchen sie wieder auf. Freiheit ist wie frische Luft. Man atmet sie, ohne darüber nachzudenken. Doch sollte sie uns fehlen, dann erstickt jeder und ringt sofort darum, wieder Luft zu schnappen. In ruhigen Zeiten ist die Freiheit nur eine Desillusion. Doch im Sturm ist sie einziger Kompass. Der gestern noch enttäuschte Bürger will gern sein Leben einsetzen, um sie zu bewahren. Das haben auch die Journalisten von Charlie Hebdo gemacht, die ihre Aufgabe bei uns (in der "Liberation"-Redaktion) weiter fortsetzen werden, in aller Freundschaft und Freiheit."

"Le Figaro" (Paris):

"Sollte ihre Gefährlichkeit unterschätzt worden sein? Das scheint wahrscheinlich. Sicherlich, die Herausforderung ist riesig. Und sie stellt sich allen demokratischen Ländern, denen die geheiligten Prinzipien der bürgerlichen Freiheiten lieb sind. Keinem Land ist es bisher gelungen, sich vor Anschlägen zu schützen. Und das Schlimmste wiederholt sich. (...) Müssen wir also noch weiter gehen? Sicherlich. (...) Die ständige, lückenlose Überwachung der 'inneren Feinde', wie sich (Premierminister) Manuel Valls ausgedrückt hat, ist das einzige Mittel uns zu schützen. Dies ist der Preis für unsere Sicherheit, im Namen unserer Freiheit."

"Pravo" (Prag):

"Es ist sicher notwendig zu überlegen, warum der Schutz einer gefährdeten Redaktion so tragisch scheitern konnte. Was kann getan werden, um so etwas zu verhindern? Es wäre aber ein Fehler, wenn es nun zu einer undurchdachten und großflächigen Verschärfung von Sicherheitsmaßnahmen und der allgemeinen Bespitzelung der Bürger kommt. Die Ersten rufen bereits nach einem Ende der Zuwanderung oder sogar der direkten Abschiebung von Muslimen. Auch dieser Weg führt nirgendwohin."

Kommentare