42 Sekunden zu viel: Augenzeuge bereut Mord-Video

42 Sekunden zu viel: Augenzeuge bereut Mord-Video
Jordi Mir hatte mit Handy Mord an Polizisten Ahmed Merabet gefilmt und Video ins Netz gestellt. "Ein dummer Reflex", wie er jetzt sagt.

Es ist das schockierendste Zeugnis jener Attentate, die seit vergangener Woche ganz Europa, der ganzen Welt den Atem rauben: Ein verpixeltes Handyvideo - unscharf und verwackelt gefilmt. Gerade einmal 42 Sekunden lang, zeigt es, wie die beiden Attentäter Chérif (32) und Saïd Kouachi (34) aus ihrem Auto sprangen und den Polizisten Ahmed Merabet, der sich ihnen in den Weg gestellt hatte, aus nächster Nähe in den Kopf schießen.

Aufgenommen hat das kurze Video Jordi Mir. Von seinem Balkon aus hatte er die erschreckende Szene, die sich unmittelbar nach dem Attentat auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" zugetragen hatte, gefilmt - und sie anschließend direkt auf Facebook hochgeladen.

"Dummer Reflex"

Eine Aktion, die er bereue, wie er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Associated Press nun erzählte. "Ich war komplett in Panik", wird der Mittfünfziger darin zitiert. Wieso genau er es auf das soziale Netzwerk hochlud, könne er auch jetzt noch nicht sagen. Vielleicht hätte er es einfach aus Gewohnheit gemacht. "Ich mache Bilder - von einer Katze zum Beispiel - und stelle es auf Facebook." Das Video zu posten wäre derselbe Reflex gewesen. "Ein dummer Reflex."

Schon nach 15 Minuten hatte Mir aus schlechtem Gewissen gegenüber den Angehörigen des toten Polizisten den Clip bei Facebook wieder gelöscht. Doch da war es schon zu spät. Tausendfach geteilt, hatte die erschütternde Szene in den sozialen Netzwerken bereits die Runde gemacht. Ein anderer User hatte das Video auf Youtube hochgeladen, von wo aus es innerhalb kürzester Zeit von TV-Stationen und Nachrichtenagenturen übernommen wurde.

Zeugnis des Terrors

Die 42 Sekunden bleiben das eindrücklichste Zeugnis der Grausamkeit der Attentäter. Unter dem Motto "Je Suis Ahmed" führte es auch zu einer Welle der Solidarität mit dem getöteten Polizisten - aber auch zu kontroversen Reaktionen. Während Deutschlands Innenminister Thomas de Maizière Youtube bat, das Videomaterial zu löschen, wiesen viele Medien auf die emotionalisierende Wirkung der Bilder hin. Zeit Online konstatierte etwa: "Die Hinrichtung wurde zum kollektiv erlebbaren abscheulichen Ereignis. Und jeder Politiker, jeder Friedensaktivist, jeder Bürger, der dieses Video angeklickt hat, wird wohl nicht mehr über eine Bedrohung Europas durch islamistischen Terror sprechen können, (...) ohne dass die Sekunden dieses Films in seinem Kopf auftauchen." Die Bilder würden den "Iconic Turn" des Islamismus in Europa markieren. "So wie die Fernsehaufnahmen der brennenden Twintowers in New York die globale Dimension des Terrorismus auf ewig in ein Motiv bannten."

Doch für Jordi Mir bleibt der Umgang der Medien mit dem Bild irritierend. Angebote, das Material zu kaufen, hätte er abgelehnt. Ihn sei wichtig gewesen, dass die Bilder nur verpixelt oder geschnitten gezeigt würden. Doch viele Medien hätten die Bilder einfach ungeschnitten ausgestrahlt, kritisiert Mir im Interview mit AP. "Auf Facebook gibt es einfach keine Vertraulichkeit", sagt er. "Das ist mir eine Lektion."

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