Amerika wendet sich von Europa ab

Zwei Männer in Anzügen sitzen auf einer Bühne und diskutieren mit Mikrofonen vor einem roten Hintergrund.
Wie die USA das Potenzial Asiens erschließt – und Europa zunehmend negiert.

In zwei Monaten wird eine Brücke fertiggestellt. Sie beginnt im südkalifornischen San Diego und endet im mexikanischen Tijuana. Eine Fußgängerbrücke über die Mauer, die die Grenze zwischen den USA und Mexico markiert: Sie verbindet künftig die Flughäfen der beiden Nationen.

Das Projekt hat handfeste wirtschaftliche Gründe: Das transpazifische Flugverkehrsvolumen in Südkalifornien wächst rasant. In den vergangenen acht Jahren um über 25 Prozent. Heute findet 37 Prozent des weltweiten Reiseaufkommens in der Pazifikregion statt – 2031 wird es über die Hälfte sein. San Diego International Airport ist von den umliegenden Siedlungen eingeschlossen, ein Ausbau auf US-Territorium ist unmöglich.

"Diese Brücke versinnbildlicht die gemeinsame Ausrichtung Mexikos, der USA und Kanadas nach Asien. Mexiko ist erstmals ein zentrales Bindeglied Nordamerikas: Der wichtigste U.S.-Handelspartner, mit mehr Volumen als Argentinien und Brasilien zusammen", erklärt Michael Werz vom Center for American Progress in Washington DC.

Der Pazifische Ozean entwickelt sich zu einem politischen und ökonomischen Kraftfeld, das die USA nachhaltig verändert. Die entscheidenden Handelswege verlaufen dort, der Raum verfügt über gigantische Potenziale: zur ökonomischen Kraft von Hongkong, Taiwan und Singapur, gesellt sich die technologische Expertise von Japan, Südkorea, Mexiko und der U.S.-Westküste, sowie der Rohstoffreichtum Australiens, Kolumbiens, Kanadas, Chiles, Indonesiens und Neuseelands. Nicht zu vergessen sind die chinesischen, vietnamesischen und burmesischen Fabriks-Imperien.

Hin zu Asien

Die 21 APEC Staaten (Asiatisch-Pazifische Wirtschaftsgemeinschaft) zeichnen für 41 Prozent der Weltbevölkerung, knapp 56 Prozent der globalen Produktion und 49 Prozent des Welthandels. Schon jetzt schaffen Exporte in die Region drei Millionen Arbeitsplätze in den USA.

Und das ist erst der Anfang: "2022 werden 54 Prozent der weltweiten Mittelschichten im Pazifischen Raum leben. Bis dahin steigen die Waren- und Dienstleistungsimporte der Anrainernationen von heute vier Billionen auf zehn Billionen Dollar. Die Obama Administration hat ambitionierte Ziele: Die Verdopplung des Handelsvolumens innerhalb von fünf Jahren", erklärt Werz. Der Pazifik sei die Zukunft Nordamerikas, das gelte insbesondere für die neuen, jungen Generationen. China liegt bereits an fünfter Stelle als Ziel amerikanischer Auslandsstudenten, auch die Zahlen in Japan und Südkorea steigen überdurchschnittlich stark. In Asien wiederum sind die Mittelschichten seit Beginn des Jahrhunderts um das Siebenfache gewachsen. Über 40 Prozent der internationalen Studenten in den USA kommen aus Asien. Werz: "Schon Präsident Obama ist lebendiger Ausdruck dieser globalen Verschiebungen. Aufgewachsen in Indonesien, Hawaii und Kansas, bezeichnete er sich als ersten Pazifischen Präsident der USA."

Weg von Europa

Diese wirtschaftliche und geografische Wirklichkeit droht Europa – aus U.S.-Perspektive – an die Peripherie zu drängen. "Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich in der starken Hinwendung Amerikas zum Pazifik eine Ent-Europäisierung der USA ausdrückt. Der US-Präsident hat in den vergangenen Jahren eine umfassende Neuausrichtung der Außenbeziehungen eingeleitet", sagt Werz. Ein Viertel des U.S.-Außenhandels wird mit China, Japan, Südkorea und Taiwan abgewickelt – die EU hingegen macht weniger als 17 Prozent aus. Diese amerikanische Westwärts-Tendenz werde durch Entwicklungen innerhalb der Bevölkerung noch stark beschleunigt.

Westwärts

Werz zeigt das anhand der demografischen Verschiebungen, in den USA. An den Daten der letzten amerikanischen Volkszählungen ist deutlich zu erkennen, wie die Bevölkerung von Nordosten nach Südwesten zieht – und zwar mit einer Geschwindigkeit von fünf Kilometern im Jahr. "Die Amerikaner ziehen merklich Richtung Pazifik, nach Texas, Colorado, Arizona und Kalifornien – statistisch gesehen um imposante 15 Meter pro Tag", erkärt Werz.

Das heißt damit auch: Amerika entfernt sich alltagskulturell und physisch von Europa. Dass die wirtschaftliche Zukunft der USA im Westen am Pazifik und nicht im Osten am Atlantik liegt, zeigt auch die jährliche Wirtschaftsleistung Kaliforniens: Sie entspricht mittlerweile der Italiens oder Russlands mit rund zwei Billionen US-Dollar.

Die Diskussionen über TTIP hält Werz aus amerikanischer Sicht für erledigt. "Amerikas strategische Priorität ist nicht das Handelsabkommen mit Europa, sondern TPP, die transpazifische Partnerschaft." Jedoch zweifelt Werz auch an deren Realisierung: Hillary Clinton und Donald Trump fahren derzeit eine Linie gegen den Freihandel.

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