Wer mehr zu tun hat, schiebt weniger auf

Wer mehr zu tun hat, schiebt weniger auf.
Prokrastination ist die Kunst des Aufschiebens. Zeitmanagement ist Forschern zufolge ein Schlüssel zu mehr Produktivität.

Zu wenig Zeit, zu viel zu tun - man kennt das. Hinter dem gefühlten Alltagsstress steckt jedoch nicht selten der Hang dazu, Dinge grundlos aufzuschieben.

Andrew T. Stephen von der University of Pittsburgh hat das Phänomen der Prokrastination in einer aktuellen Studie untersucht. Stephens Untersuchungen zielten darauf ab, die Bedingungen, unter denen Menschen eher aufschieben, zu erforschen. Zusammen mit seinen Kollegen programmierte er eine App, in der die Probanden Ziele samt Deadline angeben und abhaken konnten, sobald diese erledigt waren.

Wer mehr zu tun hat, schiebt weniger auf

Es zeigte sich: Jene Testpersonen, die am wenigsten zu tun hatten, schoben am öftesten auf. Besonders beschäftigte Teilnehmer waren hingegen am produktivsten. Dabei würden Stephens zufolge Emotionen eine zentrale Rolle spiele. Wer eine Deadline verpasst, schiebt danach eher auf, weil er sich schlecht fühlt. Hat man ohnehin nicht viel zu tun, wird man noch unproduktiver. Vermutlich weil das durch die Aufgabe ausgelöste schlechte Gefühl einen dazu konditioniert einen Bogen um die nächste Aufgabe zu machen. Der Teufelskreis beginnt.

Probanden mit voller To-do-Liste ließen sich durch eine verpasste Deadline hingegen nicht unterkriegen. Da sie tatsächlich Gefahr liefen, noch weitere Deadlines zu versäumen, hatten sie wohl keine Zeit für schlechte Gefühle. Je mehr offene Aufgaben sie in der Zeitmanagement-App hatten, umso weniger schoben sie diese auf und umso häufiger erledigten sie einzelne Aufgaben sogar vor der Deadline.

Prokrastinieren als "Feel-Good-Methode"

Experten zufolge stellt chronisches Prokrastinieren in erster Linie eine Strategie für den Umgang mit Stress dar. Per Definition handelt es sich um das freiwillige Verzögern einer Handlung, im Angesicht offensichtlicher negativer Konsequenzen. Timothy Pychyl, Professor für Psychologie an der kanadischen Carleton University, erklärte gegenüber dem Wall Strees Journal, dass man beim Prokrastinieren "dem Verlangen nach guten Gefühlen nachgibt". Dabei strebt der Mensch nach kurzfristiger Erleichterung und Entlastung - auf Kosten langfristiger Probleme.

Was mit gelegentlichem Aufschieben beginnt, endet für manche in schwerwiegenden Problemen bei der Bewältigung alltäglicher Aufgaben. Das betrifft Beruf, Gesundheit, Beziehungen und finanzielle Belange gleichermaßen, wie Studien der britischen University of Sheffield belegen.

Dabei haben Betroffene oft eine falsche oder verzerrte Wahrnehmung davon, warum sie Aufgaben nicht erledigen. Meist handeln sie unter der Prämisse etwas besonders gut machen zu wollen und deshalb auf den richtigen Moment warten müssten, um damit anzufangen. Tatsächlich haben Psychologen jedoch herausgefunden, dass Prokrastinieren nicht mit Perfektionismus, sondern mit impulsivem Handeln zusammenhängt. Handlungen werden also nur dann gesetzt, wenn ein unmittelbarer Anlass, beispielsweise eine Deadline, besteht. Bessere Performance unter Stress gilt unterdessen für viele Menschen als Ausrede Aufgaben erst in letzter Minute zu erledigen. Echte Prokrastinierer empfinden jedoch bereits das Aufschieben an sich als Stressfaktor.

Jeder prokrastiniert, aber nicht jeder ist ein Prokrastinierer

Im Interview mit der American Psychcological Association weist Joseph Ferrari, Psychologie-Professor an der DePaul University in Chicago, darauf hin, dass nicht jeder, der gut und gerne Aufgaben aufschiebt, auch tatsächlich ein chronischer Prokrastinierer ist. "Wir alle schieben Dinge auf, aber meine Forschungen haben gezeigt, dass 20 Prozent der US-amerikanischer Bevölkerung chronische Prokrastinierer sind", so Ferrari. Diese 20 Prozent würden das Aufschieben als Lebensmodus begreifen. Betroffene würden zudem unter enormer Angst vor sozialer Ächtung leben, während Nicht-Prokrastinierer ein stärkeres Selbstbild aufweisen.

Moderne Technologien: Segen oder Fluch?

Ferrari betont auch, dass moderne Technologien Übel und Segen zugleich seien. Das Medium Internet trägt Forschern zufolge tatsächlich zur kollektiven Zerstreuung bei. Die Aufmerksamkeitsspanne sinkt, Aufgaben werden unterbrochen, man kann schlechter an ursprüngliche Gedanken anknüpfen.

Doch moderne Technologien können auch für ein besseres Zeitmanagement instrumentalisiert werden. "Heutige Technologien können uns helfen nicht zu prokrastinieren, vorausgesetzt wir nutzen sie weise", so Ferrari. Dabei spielt er nicht zuletzt auf die Fülle an verfügbaren Apps an, die versprechen der Aufschieberitis den Garaus zu machen.

Zeitmanagement als Schlüssel

Die Strukturierung des Alltags ist ein Schritt in die richtige Richtung, da sind sich Wissenschafter einig. Doch die positiven Effekte des verbesserten Zeitmanagements haben Grenzen. Leidet man an chronischem Prokrastinieren, so müssen die dahinterstehenden Emotionen, die wiederum zu bestimmten Handlungsmustern führen, verstanden werden. Im Falle einer Therapie werden allgemeine Bewältigungsmechanismen und das Vermeidungsverhalten im Speziellen hinterfragt und Lösungsansätze gesucht.

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