Dokumentarfilm: Im Kampf gegen Body-Shaming

Taryn Brumfitt
Wieso fällt es so vielen Frauen schwer, ihren Körper zu akzeptieren? Ein neuer Dokumentarfilm begibt sich auf Spurensuche.

Anfang Mai. Die Fastenzeit ist vorbei, der post-weihnachtliche Diät-Wahnsinn ebenfalls. Dennoch zerbrechen sich Millionen Frauen gerade (wieder) den Kopf über ihren Körper – schließlich bleiben nur noch wenige Monate, um die Figur "bikinifit" zu machen. Das zumindest ist die Botschaft, die ihnen im Frühjahr permanent um die Ohren gehauen wird. In Zeitschriften, in der Werbung, auf Instagram.

Taryn Brumfitt hatte irgendwann genug davon, ständig mit der Optimierung ihres Körpers beauftragt zu werden. Und sie konnte nicht mehr zuhören, wie ihre Freundinnen nonstop über vermeintliche Problemzonen klagten. Vor vier Jahren postete die dreifache Mama deshalb ein ungewöhnliches Vorher-Nachher-Foto auf Facebook: Das linke Bild zeigt sie auf der Bühne eines Bodybuilding-Wettbewerbs. Auf dem rechten Bild hat Brumfitt ein paar Kilo mehr, der Busen hängt, der Bauch auch, sie sitzt nackt auf einem Stuhl und lächelt zufrieden in die Kamera.

Dokumentarfilm: Im Kampf gegen Body-Shaming
embrace film

Normalerweise kennt man solche Bilder anders herum – von mollig zu schlank, von grimmig zu glücklich. "Ich wollte ausdrücken, dass ich meinen Körper auf dem zweiten Foto genauso geliebt habe wie auf dem ersten Bild", schrieb die Australierin dazu und stellte eine Frage in den Raum: "Wurden wir so konditioniert, dass wir unsere Körper nur dann lieben, wenn sie in ‚perfekter Verfassung‘ sind?"

Mit ihrem offenen Posting landete Brumfitt einen Social-Media-Hit, erreichte 100 Millionen Menschen rund um den Globus und schaffte es auf die Cover einiger großer Magazine. Doch sie wollte noch mehr.

91 Prozent unzufrieden

Aus Taryns Botschaft entstand ein Dokumentarfilm, der nun, am 11. Mai, einmalig in den heimischen Kinos gezeigt wird. Darin geht die australische Fotografin der Frage nach, warum so viele Frauen ihre Körper hassen. Im Zentrum steht sie selbst: Wie sie drei Kinder bekam, unglücklich mit ihrem Körper wurde, hungerte, exzessiv Sport betrieb und trotzdem noch nicht glücklich war. Und wie sie schließlich doch noch zu einem gesunden Körperbild fand.

Dokumentarfilm: Im Kampf gegen Body-Shaming
25.04.2015, Wien, Hofburg, Romy 2015

Produziert wurde der Film, der durch Crowdfunding finanziert wurde, von der deutschen Schauspielerin Nora Tschirner. "Ich beobachte seit Langem, wie sehr Unwohlsein mit dem Selbstoptimierungswahn einhergeht. Der dauerhafte kritische Blick in den Spiegel hält einen vom Leben ab. Vom Lösen gesellschaftlich relevanter Probleme ganz zu schweigen", so die 35-Jährige zum KURIER. Sie selbst habe lange ebenfalls mit sich gehadert: "Ich werde glücklicherweise besser darin, nicht zu hart mit mir selbst zu sein."

91 Prozent aller Frauen sind mit ihrem Aussehen unzufrieden, heißt es im Trailer von "Embrace", wie die Doku heißt. Weitere 45 Prozent der normalgewichtigen Frauen schätzen sich als zu dick ein – worauf fußen diese hohen Zahlen? Die Gründe liegen zu einem großen Teil an der zunehmenden Bilderflut in den sozialen Medien, meinen Experten.

"Es gibt viele gefährlich Botschaften, die zu diesem verzerrten Körperbild führen", glaubt Nora Tschirner. "Wir leben in einer Leistungskultur, die uns vermittelt, nicht auszureichen, wie wir sind. Der Druck, sich verbessern zu müssen, um überhaupt mithalten zu können, erzieht uns zu unseren härtesten Kritikern. Dabei ist diese Kausalkette schlicht falsch." Die junge Mutter ist überzeugt: "Gemein zu uns selbst zu sein, wird uns niemals glücklich machen."

Info: www.facebook.com/embrace.derfilm

Retuschierte Bilder auf der einen, "Body-positivity"-Kampagnen auf der anderen Seite – so werden Körpernormen durch das Internet beeinflusst.

KURIER: Wie hat sich das Körperbild von Frauen durch die sozialen Netze verändert? Michaela Langer: Nun ja – durch die Flut der Bilder im Internet ist die Unzufriedenheit nicht geringer geworden. Früher hat man Plakate gesehen und gewusst, das sind Stars oder Models, die sind sowieso unerreichbar. Durch die sozialen Medien kommt eine neue Dimension hinzu: Die Freundin retuschiert ihre Fotos plötzlich genauso, einfach, weil die Möglichkeit gegeben ist. Ein ganz normaler Mensch schaut also plötzlich ganz toll aus. Der soziale Vergleich ist nicht mehr weit weg, sondern sitzt direkt neben mir. Das erhöht den Druck um ein Vielfaches.

Sport und gesundes Essen sind prinzipiell ja begrüßenswert. Wo ist die Grenze zum Krankhaften?

Die Frage ist immer: Mache ich den Sport noch mit einer gewissen Freude? Viele junge Menschen, die ins Fitnessstudio gehen, wollen nicht besser werden, sondern den Körper in eine idealisierte Form bringen. Genuss an der Bewegung spielt oft keine Rolle mehr. Das kann schnell zu einem Zwang werden.

Wer gibt heute Ideale vor – die "Meeedchen" bei Germany’s next Topmodel? Hollywoodstars? Blogger und YouTuber?

Das hat sich bis zu einem gewissen Grad verselbstständigt. Weit zurück in der Evolution, als die Menschen noch keine Sicherheit, keine Gesundheitsvorsorge hatten, war ein gewisses Aussehen – zum Beispiel Symmetrie – ein Zeichen für Gesundheit, für eine erfolgreiche Fortpflanzung. Gewisse Schönheitsstandards kommen aus dieser Entwicklung. In den vergangenen 70, 80 Jahren kamen die Massenmedien dazu, zuletzt das Internet. Wer hat vor 150 Jahren schon Bilder gesehen? Das Ausgesetztsein von Idealen war minimal. Die Beeinflussung hat begonnen, als die Masse der Bilder aufgekommen ist. Jetzt gibt es viele Einflüsse, darunter neue Phänomene wie Modeblogger.

Dennoch: Zuletzt gab es in den sozialen Medien unzählige Kampagnen pro Körpervielfalt, etwa den Hashtag #mermaidthighs für kräftige Oberschenkel. Was können diese Aktionen bewirken?

Einiges, denke ich. Wir dürfen nur nicht erwarten, dass es von heute auf morgen wirkt. Letztendlich wird in der Öffentlichkeit gezeigt, dass es noch andere Körperformen gibt. Indem wir etwas sichtbar machen, schaffen wir Vorbilder.

Was können Eltern tun, um ihre Kinder rechtzeitig zu schützen?

In erster Linie positiv über den eigenen Körper sprechen. Wenn Mütter mit ihrer Figur unzufrieden sind, geht das auf das Kind über, das wissen wir von essgestörten Frauen. Zweitens: Den Selbstwert nicht nur auf einer Säule aufbauen. Es ist wie bei einem Klavier: Wenn es nur eine Taste hätte, wäre die Melodie öd. Zum Glück hat es viele, auf denen man tolle Musik machen kann. Wenn eine nicht so gut ist, geht sie im Klanggemälde einfach unter.

Kommentare