Kahn: "Der Mensch ist mir heilig"

Ex-Teamtorhüter Oliver Kahn ist jetzt TV-Experte.
Der deutsche Ex-Welttorhüter Oliver Kahn über seine Rolle als TV-Experte bei der WM in Brasilien.

Frage: Inwieweit hat für Ihr Expertendasein noch Ihre Lebensweisheit Relevanz: "Wenn man in einer Karriere fast alle Ziele erreicht hat, kommt der gefährlichste Punkt"?

Oliver Kahn: Ich würde das Wort gefährlich streichen und durch "schwierigste" ersetzen.

Vermissen Sie den Geruch von Gras?

Wirklich nicht. Ich vermisse nur in manchen Situationen das Zusammensein mit der Mannschaft, das Flachsen und das Gefühl, gemeinsam auf ein Ziel hinzuarbeiten.

Gibt es eine Halbwertzeit für TV-Experten?

Auf jeden Fall. Das hat Günter Netzer vorbildlich gemacht. Er hat genau zu einer Zeit als Experte aufgehört, als ihn die Leute auf dem Schirm noch mochten.

Kennen Sie Lampenfieber?

Nein, dafür hatte ich immer meinen eigenen Begriff: Druck. Und Druck führte bei mir als Spieler in der Regel immer zu Spitzenleistung. Um als Experte gute Leistungen zu erbringen, braucht es Entspanntheit.

Gar keine Angst, sich um Kopf und Kragen zu reden?

Ich nehme mich da nicht so wichtig. Wenn ich etwas beitragen kann, ist das schön, wenn nicht, auch nicht so schlimm.

Wetter, Demos, die Dengue-Fliege: Wovor fürchten Sie sich am meisten in Brasilien?

Vor gar nichts. Die Brasilianer lieben mich ja, seit ich 2002 dazu beigetragen habe, dass sie Weltmeister geworden sind. Ich erwarte also, wie ein Staatsmann am Flughafen empfangen zu werden.

Wer ist besser organisiert: der DFB oder das ZDF?

Der DFB ist schon extrem gut organisiert. Mir ist es nach der Karriere öfter passiert, dass ich in Hotels aufgewacht bin und mich gefragt habe, wo der weiße Zettel ist.

Der weiße Zettel?

Den findet jeder Nationalspieler beim Aufwachen unter seiner Zimmertür. Da steht der gesamte Tagesablauf drauf: 9 Uhr Frühstück, 10 Uhr Training, 13 Uhr Autogrammstunde, 15 Uhr zweites Training, 18 Uhr Abendessen, 19 Uhr Massage, 23 Uhr Bettruhe. Das ist regelrecht irritierend, wenn es den Zettel nach 15 Jahren plötzlich nicht mehr gibt. Beim ZDF gibt’s keinen Zettel.

Wer kann besser feiern: Fußballer oder Journalisten?

Ich habe beim ZDF noch keine Party mitgemacht. Und: Was gibt es schon groß zu feiern unter Journalisten?

Michael Ballack sagt, seine schönste Erinnerung als Nationalspieler sei die Party nach dem WM-Halbfinale 2002 gewesen.

Da war ich nicht dabei. Da saß ich auf dem Zimmer und konzentrierte mich aufs Finale.

Wie sahen die Kollegen am nächsten Morgen aus?

Keine Ahnung, ich wusste bis jetzt nichts von dieser Party. So viele Jahre später kommt es heraus: Ich war also gar nicht schuld am verlorenen WM-Finale. Schuld waren die, die Party gemacht haben (lacht).

Als Spieler war für Sie Vorbereitung alles. Und als TV-Experte?

Ohne Vorbereitung würde ich mich im Studio unwohl fühlen. Aber ich habe in den Jahren beim ZDF gelernt, dass es wichtig ist, den Blick auf das Wesentliche zu richten.

Das heißt?

Ich schaue nicht mehr nach, ob der Linksverteidiger ein inverser Abwehrspieler ist, der im letzten Spiel zwei Mal mit links und vier Mal mit rechts aufs gegnerische Tor geschossen hat.

Die deutsche Mannschaft verliert im WM-Finale unglücklich den Titel. Teamchef Joachim Löw kommt ins Studio. Wie sollte man ihm als TV-Analyst entgegentreten?

Mit Empathie und Respekt. Der Journalist muss sich in die Situation versetzen, dass Joachim Löw in diesem Moment das Größte verloren hat, das es im Fußball gibt. Das ist ein schmaler Grat. Die Frage, ob die Niederlage ein Grund sein könnte, zurückzutreten, sollte man sich verkneifen.

Gab es mit Löw abseits der Kamera im Studio schon einmal Diskussionen oder Zoff?

Nein, ich haue ja auch keine Sprüche raus, nur um Aufmerksamkeit zu erregen. Ich halte es mit Otto Rehhagel: "Der Mensch ist mir heilig." Aber in der Sache kann ich mich durchaus ereifern.

Ihr bisher größter Fauxpas als TV-Experte?

Bei einem Champions-League-Spiel von Dortmund habe ich mal einen Spieler erwähnt, der gar nicht im Kader stand.

Was kann ARD-Experte Mehmet Scholl besser als Sie?

Er ist ein völlig anderer Mensch als ich. Schon als Spieler war ich der Disziplinierte und Mehmet der Lockere, der immer einen coolen Spruch auf den Lippen hat. Das setzt sich ein Stück weit fort.

Sie wirken entspannt ...

Leute haben sich schon beschwert, ich wäre seit meinem Karriereende zahm geworden. Was erwarten die? Dass ich mit gestrecktem Bein über den Moderationstisch fliege oder Katrin Müller-Hohenstein in den Hals beiße?

Kommentare