Im Dschungelcamp am Rio Negro

Die Millionenstadt Manaus ist der exotischste WM-Austragungsort aller Zeiten.

Am schönsten ist es, wenn die Lastwagen vorbeirasen auf der Avenida Constantino Nery, sie führt von der Altstadt direkt zum WM-Stadion. Die Lastwagen sind laut und stinken, und wenn ein Fußgänger die Avenida überqueren will und darauf hofft, dass einer der Lastwagen anhalten würde ... nun ja.

Aber was wäre Manaus am Nachmittag ohne seinen Schwerlastverkehr? Ohne den Fahrtwind, den die Lastwagen produzieren und der dem Spaziergänger ein wenig Kühlung verschafft in dieser Millionenstadt im tropischen Regenwald? So ein Nachmittag in Manaus wird eigentlich erst durch den Fahrtwind erträglich.

Vier Weltmeisterschaftsspiele finden in Manaus statt. Keine Lastwagen werden ihre Runden durch die Arena de Amazônia drehen. Was die künstliche Kühlung betrifft, hätten sie mal nachfragen können in Katar, aber das ist bei der FIFA im Augenblick ein diffiziles Thema.

Denn wenn in Manaus gespielt wird, ist es in Österreich schon nach Mitternacht, in der Stadt mitten im Dschungel allerdings erst früher Abend. Anlass für einen kleinen Selbstversuch im Spaziergängertempo.

WM-Stimmung

Die 90 Minuten von Manaus beginnen in der Altstadt, unten am Hafen, wo sich die Amazonas-Schiffe drängen und tatsächlich so etwas wie WM-Stimmung herrscht. Alle paar Meter bieten Low-Budget-Boutiquen zu Kampfpreisen von drei, vier Euro gelbe und blaue und blau-gelbe Brasilien-Trikots an, und sie werden reichlich gekauft, vor allem von Einheimischen.

Ein ähnlich gutes Geschäft machen nur die vielen Kneipen. Nicht, dass Manaus eine Stadt von Säufern wäre. Aber ohne Flüssigkeit geht hier einfach gar nichts.

Englands Trainer Roy Hodgson, der mit seinem Team zum Duell mit Italien nach Manaus musste, hatte schon im Dezember vor der Auslosung erzählt, ihm sei eigentlich alles egal, nur Manaus würde er ganz gern umgehen. Das hat nicht geklappt.

In Großbritannien brach daraufhin das große mediale Zetern über die Strafexpedition in ein "crime-ridden hellhole" nach "murderous Manaus" aus. Brasiliens Sportminister Aldo Rebelo veranlasste dies zu der Bemerkung, im Irak und in Afghanistan hätten junge britische Männer doch auch keine Probleme mit der Hitze.

Manaus ist der exotischste WM-Standort der Geschichte: Eine Stadt mitten im Urwald gelegen am Rio Negro, der Äquator ist drei Breitengrade entfernt und der Atlantik 1700 Kilometer. Bei Temperaturen um 40 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von über 75 Prozent schwitzt der unbedarfte Europäer schon im Stehen, und die Schritte des Spaziergängers werden nach einer halben Stunde beim Verlassen der Altstadt bedenklich schwer.

Weiter, vorbei an Manaus’ berühmtesten Bau, dem urwaldbunten Teatro Amazonas, der deutsche Regisseur Werner Herzog und sein unvergleichlicher Hauptdarsteller Klaus Kinski haben es mit ihrem Film "Fitzcarraldo" weltberühmt gemacht.

Noch einen Hügel hinauf, vorbei an Autohäusern und Fabriken und Supermärkten, dann ist die erste Halbzeit endlich rum. Gelegenheit zum Trikottausch, er ist dringend nötig, was hier aus ästhetischen Gründen nicht vertieft werden soll.

Längst ist es stockdunkel, aber die Hitze drückt, als wäre es 12 Uhr mittags. Eigentlich war das Spiel zwischen England und Italien ja für drei Stunden später angesetzt gewesen, zu einer für Europa eher fernsehungünstigen Zeit nachts um drei Uhr, und das wollte der Weltverband FIFA seinen Sponsoren dann doch nicht zumuten. Immerhin mussten sie nicht um 12 Uhr mittags wie bei der WM 1986 in Mexiko spielen, sondern erst um 18 Uhr.

WM-Arena

Eine Viertelstunde vor Schluss ist die Arena da Amazônia erreicht. Zeit genug für eine Runde um das Stadion, dessen Design die Bauherren mal als schlafende Schlange angepriesen hatten. Das ist sehr fantasievoll formuliert für geschlängelten Beton, der im Gewerbegebiet nur auffällt, weil er noch größer und noch wuchtiger ist als die umliegenden Silos.

Das Stadion, das vom deutschen Architekturbüro gmp entworfen worden ist, braucht hier eigentlich niemand, weil der beste Klub in Manaus nur in der dritten Liga spielt. Aber die WM soll halt eine gesamtbrasilianische Veranstaltung sein, deswegen muss auch der Urwald mitspielen, und zum Bespielen der Arena verpflichtet der brasilianische Verband während der Meisterschaft öfter mal Mannschaften.

Nach der Stadionrunde ist auch die Nachspielzeit überstanden, mit schwerem Atem und Stolz auf die Weitsicht, einen zweiten Trikottausch eingeplant zu haben. Um kurz vor acht steht die Hitze immer noch wie eine Wand, wären da nicht die himmlischen Lastwagen.

37 Grad war die Höchsttemperatur beim Generalprobenspaziergang, zur WM-Premiere am Samstag sollte es es kühler werden: Zum Anpfiff der Samstag-Partie England gegen Italien verhieß der Wetterbericht 28 Grad im Schatten – wenn es denn mal welchen geben sollte.

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