Trauer und Wut in Brasilien

Ein Meer aus Tränen: David Luiz (links) und Luiz Gustavo taten das, was die Brasilianer bei der abgelaufenen 20. Weltmeisterschaft wohl am besten machten – weinen.
Nach der letzten peinlichen Schlappe gegen die Niederlande hängt der Haussegen schief.

Trainer Luiz Felipe Scolari sorgte für den überraschenden Schlusspunkt. "Wir haben die Top Vier erreicht. Ich denke nicht, dass wir das Nationalteam kritisieren können", erklärte der Weltmeistertrainer von 2002 entgegen jeder Erwartungshaltung. Dabei wurde von der Seleção nur eines verlangt: der Titel. Stattdessen marschierte man nach den letzten beiden Spielen als geprügelte Hunde vom Platz: 1:7 im Semifinale gegen Deutschland, am Samstag 0:3 im kleinen Finale gegen die Niederlande.

Top Vier? In Erinnerung blieb die in erster Linie die schlimmste Pleite der Brasilianer bei Weltmeisterschaften: Das 1:7 gegen Deutschland war ein Stich ins Herz der brasilianischen Seele. Nicht nur ein Fußball-Ergebnis.

Inferior

Und die Wiedergutmachung am Samstag gegen die Niederländer ging ebenfalls in die Hose, vor allem die Abwehr präsentierte sich einmal mehr inferior. Und vorne konnte Neymar nie ersetzt werden – was fehlte, waren Weltklassespieler, die die Südamerikaner fast bei jeder WM ausgezeichnet haben. "Wir haben den europäischen Fußball kopiert, weil wir keine Spieler mit Qualität haben", sagte Denilson, der Weltmeister von 2002, der Nachrichtenagentur dpa. "Der einzige Spieler mit Qualität und Dribbelkünsten ist Neymar. Mehr haben wir nicht. Die anderen sind Spieler, die den Ball erobern und Neymar suchen."

Gedemütigt und ausgepfiffen schlichen Brasiliens WM-Versager einer ungewissen Zukunft entgegen. Nach dem völlig missratenen Abgang im Spiel um Platz drei ist die Seleção nur noch ein Scherbenhaufen. "Dass es so zu Ende geht, haben wir nicht verdient. Wir müssen uns beim Volk entschuldigen", jammerte Kapitän Thiago Silva.

Unausweichlich

Trauer und Wut in Brasilien
A Brazil fan waves a sign targeted at Brazil's coach Luiz Felipe Scolari before the 2014 World Cup third-place playoff between Brazil and the Netherlands at the Brasilia national stadium in Brasilia July 12, 2014. REUTERS/Jorge Silva (BRAZIL - Tags: SOCCER SPORT WORLD CUP) TOPCUP
Ein Umbruch ist nach dem Totalzerfall mit 1:10 Toren in den letzten zwei Partien unausweichlich, aber der entzauberte Luiz Felipe Scolari sperrt sich noch gegen den Abschied als Nationaltrainer. Der designierte Präsident des brasilianischen Verbandes CBF, Marco Polo Del Nero, hatte sich zuletzt für einen Verbleib des Weltmeistertrainers von 2002 ausgesprochen. Mit Adenor Bacci (zuletzt Corinthians São Paulo) und U-20-Nationaltrainer Alexandre Gallo sind bereits Nachfolger im Gespräch.

Die Presse ist nicht für den 65-jährigen Scolari. Die Folha de São Paulo schreibt: "Felipão muss ersetzt werden. Scolaris Situation ist nach dem neuen Fiasko unhaltbar geworden." Die Zeit drängt für den Verband: Am 5. September steht in Miami gegen Kolumbien das nächste Länderspiel an. Routiniers wie Torwart Júlio César, Dani Alves und Dante haben aller Voraussicht nach keine Zukunft in der Seleção. Die neuen Führungsfiguren sollen Abwehrspieler David Luiz und natürlich der 22-jährige Neymar sein.

Zumindest Neymar schien die Zeichen der Zeit erkannt zu haben: Der verletzte Superstar humpelte nach dem blamablen 0:3 gegen die Niederländer während der Pressekonferenz auf die Bühne und unterbrach Scolaris Verteidigungsrede. Neymar herzte den störrischen Coach, der sich mit ein Küsschen auf die Wange bedankte. Danach gab Neymar auch dem technischen Direktor Carlos Alberto Parreira die Hand. Es wirkte wie eine Verabschiedung am Ende des frustrierenden Heimturniers, das ursprünglich den Hexacampeão, den sechsten WM-Titel, hätte bringen sollen. Schon während der Partie litt Scolaris Ansehen unter den Spielern. Immer wieder diskutierten die Profis heftig miteinander, einmal sprang sogar Neymar auf und redete eindringlich auf Silva ein.

Felipãos Zeit ist vorüber.

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