In der Favela, wo Beckhams Haus steht

Vidigal hat einen eigenen Badestrand, den sich die Bewohner mit den Urlaubern eines nahen Hotels teilen.
Mord, Drogen, viel Theater und eine prominente Überraschung: die Favela von Vidigal.

Es sorgt noch heute für Lacher in der Favela Vidigal. Dieses Bild – damals, als sie heraufgestöckelt kam in die Heruntergekommenheit. In ihren High Heels. Auf der engen, steilen und löchrigen Straße. Victoria, an der Seite von David. Es war erst im April. Ein Abstecher der Beckhams ins Armenviertel, das sich an den Berghang am Ende des Luxusstrände von Ipanema und Leblon schmiegt.

David tat Gutes. Er spendierte eine Perspektive, einen Sportplatz für die Kinder. Griff hernach in seine Portokasse und erstand ein Haus um eine Million Reais (300.000 Euro). Mit Blick auf Meer und Rio. Ohne Aussicht auf künftigen Genuss, denn Vidigal ist kein bleibender Wohnort für einen David Beckham.

Für Christophe sehr wohl. Er ist Franzose, lebte 15 Jahre in London, dann in Australien und wohnt jetzt freiwillig in der Favela am Rande Rios. Warum? Weil er seinem Lebenspartner gefolgt ist, sich zudem in die Stadt verliebt hat, als Friseur zu Fuß seinen Arbeitsplatz in Leblon erreichen kann und nur 250 Reais Monatsmiete für sein Haus zahlen muss. Strom und Wasser sind einfach da. Von irgendwoher, abgezweigt. Ungefähr 20.000 Einwohner profitieren davon.

Kugelsicher

Zweieinhalb Reais kostet die etwas andere Taxifahrt hügelaufwärts. Motorradfahrer verrichten diesen Dienst. Sie warten an der einzigen Einfahrt von Vidigal. Gleich daneben parkt ein Polizeiwagen. Schwer bewaffnet sind die in kugelsicheren Westen verpackten Beamten. Friedenspolizei (UPP) ist die offiziell gewünschte Bezeichnung. Viele Uniformen demonstrieren starke Präsenz. Ein Zeichen der Stadtverwaltung soll es sein, gegen die Gewalt, das Morden, gegen die Drogengeschäfte. Christophe sieht das anders: "Die Polizisten sind seit zwei Jahren hier. Aber sie scheren sich eigentlich um nichts. Alles soll jetzt besser sein? Das ist doch Bullshit."

Zuerst seien die Gangsterbosse ausgehoben und verhaftet worden. "Mit ihnen sind aber auch die Gangster-Rules verschwunden, die Regeln, die sie in der Favela aufgestellt haben." Früher wurde jemand zwei Mal aufgefordert, in der Siedlung nicht zu stehlen. "Dann hat man plötzlich Menschen ohne Hände herumlaufen gesehen. Jetzt musst du aufpassen, dass du in keine Schießerei zwischen Polizei und irgendeinem Typen gerätst", sagt Christophe. Ja, das Leben hier hatte eigene Gesetze. "Harte Gesetze, aber, so komisch es klingt, es ist auch sicherer gewesen."

Dennoch wartet Vidigal mit einer Besonderheit auf: mit Kultur, mit Theater im Besonderen. "Das ist gut so. Keiner sagt gerne, dass er aus dem Elend kommt, dass er in einer Favela wohnt. Das lässt nicht nur Touristen zusammenzucken, sondern auch die Leute in Downtown Rio", erklärt Christophe. Ihre Gemeinschaft bezeichnen Vidigals Bewohner schlicht als Nos do Morro, "Wir vom Hügel". Und diesen Namen gab sich auch die Theatertruppe, die einen Stellenwert hat in Brasiliens Kulturszene.

Christophes Grinsen beinhaltet den Stolz, mit dem er das Image weit weg von Mord und Totschlag zu rücken vermag. "Nicht nur Beckham, sondern auch viele Künstler wurden angezogen von Vidigal." Der französische Schauspieler und Filmemacher Vincent Cassel zum Beispiel, bekannte brasilianische, französische und auch deutsche Bands drehten hier ihre Videoclips. Mit teils heftigem Inhalt. Seu Jorge, selbst in einer Favela aufgewachsen, jetzt Schauspieler und Sänger mit Kultstatus, begann seine Karriere hier im Theater. Er verkörperte eine authentische Rolle im Film "City of God", der wohl schonungsloseste und 2004 für vier Oscars nominierte Streifen über das Dasein und die Gnadenlosigkeit in Brasiliens Favelas.

Wie alle Favelas in Rio ist Vidigal ein in sich geschlossenes System. Eines, das sich Rechte herausnimmt und sie dementsprechend verteidigt.

Chancenlos

Am Fuße des Hügels steht wie ein Prellbock zwischen den Behausungen von Arm und Reich ein Sheraton-Hotel. Den Strand wollte der Betreiber nur für seine Gäste beanspruchen. Doch die Bewohner von Vidigal ließen sich ihren Zugang zum Meer nicht verbieten. Harte Auseinandersetzungen waren die Folge. Heute liegen alle gemeinsam in der Sonne, Leute aus der Favela und die Touristen.

Immerhin, Es tauchen keine schwer bewaffneten Typen mehr auf in der Küche des Hotels. "Alles funktioniert, wenn man nur will", meint Christophe.

Kommentare