Experten fordern mehr Schutz für die Stars

Schrecksekunde: Superstar Neymar mit einem Wirbelbruch auf dem Boden – Sekunden zuvor war er vom Kolumbianer Zúñiga brutal gefoult worden. Für Brasiliens Superstar war die WM damit zu Ende.
Fouls an technisch begabten Spielern sollen von den Schiedsrichtern konsequenter unterbunden werden.

Mehmet Scholl hatte seinen Humor verloren, der ihn als WM-Experte der ARD normalerweise so sympathisch macht. "Wenn die Schiris nicht in der Lage sind, brutale Fouls zu stoppen, dann wird ein Neymar vom Platz getragen", giftete der 43-Jährige. Er war in seiner aktiven Zeit als Fußball-Profi selbst ein guter Techniker, der selbst immer wieder Ziel rüder Attacken war. "Wenn wir zulassen, dass die Techniker vernichtet werden, ist es nicht mehr meine Sportart", sagte er.

54-mal hatte Schiedsrichter Carlos Velasco Carballo auf Foulspiel entscheiden – so viele Fouls gab es bei keinem anderen der vorangegangenen 57 WM-Spiele. Die Attacke, die das WM-Aus von Neymar bedeutete, hatte der Spanier dabei gar nicht als Foul gewertet.

"Der Schiedsrichter war der mieseste, den ich in den letzten zehn Jahren gesehen habe", sagte Argentiniens Idol Diego Maradona. Der war in seiner Zeit der beste Fußballer der Welt und ebenfalls Freiwild für brutale Verteidiger gewesen. Andoni Goikoetxea hatte Maradona im Jahr 1983 mit einer brutalen Grätsche schwer am Knöchel verletzt und für 108 Tage außer Gefecht gesetzt. Dem Deutschen Bernd Schuster hatte der Bilbao-Verteidiger zwei Jahre zuvor das Knie so zertreten, dass der Edeltechniker ein Jahr pausieren musste. Der heute 58-jährige Baske wurde "Der Schlächter von Bilbao" genannt.

Treter-Festival

Manche fürchten nun einen Rückfall in die finsteren Zeiten der Blutgrätschen. "Der Ball wird zur Nebensache. Die WM verkommt zu einem Treter-Festival", stellte der frühere Top-Schiedsrichter Urs Meier aus der Schweiz fest. Er schreibt auf Focus Online: "Das hat die FIFA mitzuverantworten. Der Fußball bei dieser WM ist viel zu physisch und körperbetont, die Messlatte für Gelbe Karten viel zu hoch angesetzt." Velasco zeigte am Freitagabend nur vier Gelbe Karten. Verteilten die Referees bei der WM 2010 in Südafrika noch 245, waren es bei dieser Endrunde bis Freitagabend lediglich 159.

Nach der Schnalzerei von Fortaleza gab es vom brasilianischen Teamchef aber keinerlei Schuldzuweisung an die Kolumbianer. Im Gegenteil: Luis Felipe Scolari streute Asche auf sein Haupt. Auch Brasilien habe "gewaltsam" gespielt, sagte er der Nachrichtenagentur AFP. 31 zu 23 gewannen die Brasilianer das Foul-Spiel. Vor allem der kolumbianische Jungstar James Rodríguez war so etwas wie Freiwild. Er wurde ständig getriezt, gecheckt und getreten. "Der Schiedsrichter hätte in bestimmten Situationen unser gewaltsames Spiel unterbinden müssen und ihr gewaltsames Spiel. Vielleicht wäre es dann nicht so weit gekommen", sagte Scolari mit Blick auf das brutale Foul an Neymar.

Der Kolumbianer Zúñiga war dem Brasilianer in der 86. Minute mit dem Knie in den Rücken gesprungen. Neymar brüllte und weinte vor Schmerzen und wurde vom Platz getragen, wurde auf einer Trage mit Atemmaske vor dem Mund und Infusionsbeutel in eine Privatklinik gebracht. Dort wurde ein Bruch des dritten Lendenwirbels festgestellt. Rodrigo Lasmar, einer der Mannschaftsärzte, sagte: "Es ist keine ernsthafte Fraktur und auch keine schwierige Behandlung. Aber es wird einige Wochen dauern, bis er seine volle Bewegungsfähigkeit wiedererlangt. Er wird nicht binnen einer Woche genesen."

Kriminelles

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Neymar
Damit verliert der fünffache Weltmeister seinen vierfachen Torschützen und bisher herausragenden WM-Spieler. Die Anteilnahme mit dem verletzten Star war groß. Staatschefin Dilma Rousseff hatte sich besorgt gezeigt über den Gesundheitszustand des Stürmers. Sprint-Olympiasieger Usain Bolt schrieb: "Traurig, die Nachricht zu hören. Erhol’ dich schnell." Tormann Júlio César sagte: "Jeder weiß, wie er hier brillieren wollte und wie sehr er dem brasilianischen Volk Freude schenken wollte." Auch für Fans und Journalisten war die Diagnose ein Schock. Aber es schwang auch eine Jetzt-erst-recht-Stimmung durch. Stürmer Fred meinte: "Wir werden alles tun, um dich in den Momenten der Traurigkeit glücklich zu machen." Stürmer Hulk: "Wir wollen für Neymar den Titel holen!"

Dafür muss man am Dienstag Deutschland ausschalten. Dabei muss jedoch nicht nur Neymar ersetzt werden, sondern auch Innenverteidiger Thiago Silva – wegen einer Gelb-Sperre.

Der verletzte Superstar traut seinen Mitspielern aber auch ohne seine Tore den WM-Titel zu. "Mein Traum als Spieler ist ein WM-Finale, aber der Traum vom WM-Titel ist noch nicht vorbei", wurde der 22-Jährige am Samstag auf der Internetseite des brasilianischen Fußball-Verbandes zitiert. "Es fehlen noch zwei Spiele, und ich bin sicher, dass meine Teamkollegen alles tun werden, um diesen Pokal zu heben", erklärte Neymar, der das Trainingslager der Selecao in Teresopolis in einem Hubschrauber am Samstag verließ und sich nun im Kreis seiner Familie erholen will.

Freunden des italienischen Fußballs ist Juan Camilo Zúñiga Mosquera seit Jahren sicherlich bekannt. Der 28-jährige Kolumbianer absolvierte seit 2009 118 Spiele für den SSC Neapel, dem Boom-Verein der Serie A. Davor war er ein Jahr bei Siena.

Seit Freitag, knapp vor Mitternacht, ist der Rechtsverteidiger nun einer Millionenschar von Fußballfans ein Begriff. Zúñiga hatte sich nach dem Spiel für das Einsteigen gegen Neymar gerechtfertigt. "Als ich da reingegangen bin, habe ich an nichts Böses gedacht. Ich hoffe, dass er sich mit Gottes Hilfe wieder erholt", sagte er. Trotzdem kündete der brasilianische Fußball-Verband CBF an, die Möglichkeit einer juristischen Klage zu prüfen. Er glaube aber nicht, dass Zúñiga in böser Absicht gehandelt habe, sagte aber Teamchef Scolari. Der Kolumbianer habe den Spielzug unterbinden wollen, als Neymar nach einem Eckball den Ball bekommen hatte. "Ich glaube nicht, dass es absichtlich war."

Eine Sprecherin der FIFA sagte der brasilianischen Zeitung O Estadão, die Bilder der Szene und die entsprechenden Berichte sollen geprüft werden, danach werde die Disziplinarkommission eine Entscheidung treffen.

Im Internet manifestierte sich die ganze Wut über das Foul an Neymar. "Ganz egal, welches Team du unterstützt – du hasst diesen Typen, weil er Neymars Weltmeisterschaft beendet hat", stand unter einem Bild Zúñigas, das sich über Twitter verbreitete. Unzählige Nutzer machten ihrer Wut auf den Kolumbianer mit teils heftigen Verwünschungen oder gar Morddrohungen Luft. Manche sprachen von einem "Attentat auf Neymar".

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